Rosenkavalier und Lumpi: Swamp Dogg versenkt sich auf seinem neuen Album tief in die Sujets des Deep Soul. Ein gebrochenes Herz gehört dabei zur Grundausstattung.

David McMurr,

Einsamkeit kennt kein Alter. Noch mit 77 kann man sich daran immer noch nicht gewöhnt haben. Im ersten Song seines am Freitag erscheinenden Albums Sorry You Couldn’ Make It liegt Swamp Dogg auf seinem Polster und weint sich durch die Nacht, am Plattenspieler dreht sich ein trauriges Lied.

"Sleeping without you is a dragg", singt er. Die Orgel mollt, das Piano tröpfelt wie Regen aufs Dach. Swamp Dogg, waidwund, ist in seinem Element, der Song klassischer Deep Soul: Midtempo, ein gebrochenes Herz, Flehen, Verzweiflung.

Solche Stücke sind die Spezialität des als Jerry Williams geborenen Sängers und Produzenten. Schon mit zwölf Jahren stand der Veteran auf der Bühne. Muttern spielte damals Schlagzeug, Vater Gitarre, und Little Jerry tat so, als sei seine Stimme schon mindestens so gebrochen wie sein Herz. Erstaunlicherweise hat man ihm das abgenommen.

Der erste mit "gg"

Seit den 1950ern ist der Mann aus dem US-Bundesstaat Virginia im Geschäft. Ende der 1960er-Jahre gab er sich den Namen Swamp Dogg. Williams besteht darauf, der erst Hund mit Doppel-g gewesen zu sein; nicht das jemand meint, Snoop Dogg hätte da die Nase vorn gehabt.

Als Swamp Dogg nimmt er seit 1970 Platten auf, über 20 Studioalben sind entstanden, darunter welche, die regelmäßig in Listen auftauchen, die die geschmacklosesten Cover aller Zeiten präsentieren. Das Cover von Rat On! zeigt ihn auf einer großen weißen Ratte sitzen. Wohlwollend kann man ihm das als satirisches Talent auslegen.

Geschmackssicheres Cover – die Musik hingegen: 1A.
Jonah Olson

Der entrische Humor des Mannes sagt jedoch wenig über seine Musik aus. Er wählte den Namen Swamp Dogg, weil er oft in Studios in Alabama aufgenommen hat. Deren Sound wurde mehr als einmal Swamp Music genannt, das schien ihm passend.

Im Süden produzierte Dogg in den späten 1960ern und frühen 1970ern einige tolle Alben. Unter anderem Doris Dukes I’m A Loser. Das Debüt der im Vorjahr verstorbenen Sängerin gilt als ein Klassiker des Fachs.

Ein Klassiker: Doris Duke.
Doris Duke - Topic

Williams mag sich bis heute als verdrehtes Schlitzohr verkaufen, hinter der clownesken Fassade schlägt jedoch ein großes Herz, bewohnt ein zärtlicher Geist den "small-sized body" seines Wirts. Das bemerkten ein paar wichtige Leute. Etwa Jerry Wexler.

Von Isaac Hayes bis F.S.K.

Der berühmte Produzent des Atlantic Label förderte Williams, die Qualität seiner Songs wiederum erkannten Künstlerinnen und Künstler wie Waylon Jennings, Gene Pitney, Taj Mahal, Diana Ross, Irma Thomas, Jimmy Cliff, Loretta Lynn, Isaac Hayes bis hin zur süddeutschen Denker-Combo F.S.K. Die Liste ist sehr lang. Sie alle spielten seine Songs, nicht wenige landeten Hits damit. Tantiemen bescheren dem Mann bis heute ein geregeltes Einkommen. Außerdem hat er nie aufgehört, selbst zu veröffentlichen.

"Sleeping without you is a dragg" – nur echt mit mit doppeltem "g".
Joyful Noise Recordings

Zu seinen jüngsten Fans zählt Justin Vernon, besser bekannt als Bon Iver. Der Indie-Folk-Star war Gast auf Doggs letztem Album Love, Loss, And Auto-Tune. Darauf ergab Williams sich orgiastisch der Torheit des Auto-Tune. So heißt ein Stimmkorrektur-Werkzeug, das jene zwitschernden Fistelstimmchen hervorbringt, die viele Bereiche des Mainstream-Pop dominieren. Eine Seuche für die Ohrwaschln.

Bon Iver war von Swamp Dogg so angetan, dass er ihn für einige Konzerte ins Vorprogramm seiner US-Tour buchte. Swamp Dogg, der noch weiß, wie es sich als Afroamerikaner anfühlt, über den Dienstboteneingang in den Konzertsaal gelangen zu müssen, fand sich plötzlich im ausverkauften Ryman Auditorium in Nashville wieder. Das ehrwürdige Gemäuer beherbergte über drei Jahrzehnte lang die Grand Ole Opry und war somit das Epizentrum der Country Music.

Zart modernistisch

Wie gut Swamp Dogg an diese Stätte passt, untermauert sein neues Album. Viele der darauf befindlichen Lieder erblühen an der Schnittstelle von Soul und Country. Dort, wo die Hautfarbe im gemeinsamen Elend egal wird.

Swamp Dogg geht damit zurück an seine Wurzeln, wenn man so will. Gleichzeitig erlaubt sich die Produktion ein paar zeitgenössische Elemente wie elektronische Rhythmen aus dem Synthie. Nichts, was komplett artfremd wirkte. Zwar tuckert es in Don’t Take Her She’s All I Got sanft elektronisch, eine Hammondorgel und einschlägige Gitarrenlicks verorten das Lied dennoch im zeitlos gültigen Fach des Herzrausreißer-Soul.

Memories – ein Duett mit John Prine.
Joyful Noise Recordings

Als Band stehen Swamp Dogg einschlägige Studio-Cracks aus Nashville zur Seite, mit ihnen bringt er das Werk in einen lässigen Schwebezustand. Family Pain klingt mit seinem federnden Uptempo-Beat wie ein auf Hi Records entstandener Song, nur dass Swamp Dogg dazu die Country-Fraktion fideln lässt.

Alte Haberer

Aus dieser Welt hat er sich auch einen alten Haberer eingeladen: Der große kleine Songwriter John Prine schaut für zwei Tracks vorbei. Das zartbittere Memories singen sie gemeinsam, das finale, das Album beschließende Please Let Me Go Round Again ist so eine Art gemeinsames Flehen um eine 127. Chance zweier alter Lumpis.

Die im Herbst des Lebens stehende Songwriter drücken darin ordentlich Herzschmerz aus der Tube. Das ist so würdig wie einnehmend – und gewürzt mit trockenem Humor, man möchte sie fast herzen. Das geht natürlich nicht, aber das Album gleich noch einmal von vorne anhören, das geht schon. Ein Glück. (Karl Fluch, 3.3.2020)