Eine kalte Dusche kostet nichts und ist frei von unerwünschten Nebenwirkungen. Vorausgesetzt, man ist gesund.

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Als Sebastian Kneipp 1849 sein Theologiestudium beginnt, ist er bereits durch seine Lungentuberkulose schwer geschwächt. Die Ärzte geben ihn auf. Inspiriert durch das Büchlein "Unterricht von Krafft und Würkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen" des Mediziners und Wasserheilkundlers Johann Siegmund Hahn, das Kneipp in der Münchner Hofbibliothek fand, beginnt er, jeden zweiten Tag ein kurzes Tauchbad in der winterkalten Donau zu nehmen. "Müde ging ich hinaus, neu aufgefrischt und gestärkt ging ich heim", schreibt der damals 28-jährige Kneipp. Langsam besserte sich seine Gesundheit, und fortan therapierte er andere Kranke mit kaltem Wasser. Schon 2.500 Jahre zuvor kurierte der griechische Arzt Hippokrates zahlreiche Leiden seiner Zeitgenossen mit Eiswasser. Auch Goethe liebte es, im Winter regelmäßig ein Loch in die zugefrorene Ilm zu hacken und darin zu baden.

Auch einige Österreicher schätzen das Eisbaden im Winter, um sich abzuhärten. Da aber nur regelmäßige Anwendung einen Effekt verspricht, sind Methoden für zu Hause praktischer: nach dem Duschen den Wasserhahn einige Zeit auf kalt drehen oder sich draußen unter die kalte Gartendusche stellen bringt die gleichen Effekte.

Bei welchen Beschwerden nasses Abkühlen tatsächlich hilft, ist wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt. Vielmehr basiert der Glaube an die Wirkung auf zahlreichen überlieferten Erfahrungsberichten. Doch 2016 dokumentierten niederländische Forscher des Academic Medical Center in Amsterdam im renommierten Wissenschaftsjournal "PLoS ONE" erstmals in größerem Rahmen Effekte. Sie ließen rund 3.000 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren 90 Tage lang entweder normal mit warmem Wasser duschen oder ihren Duschgang für 30 bis 90 Sekunden mit einer Kaltdusche enden. Das Ergebnis: In den Studienmonaten meldeten sich die Kaltduscher fast ein Drittel weniger wegen Infekten von der Arbeit krank als die Normalduscher. Neun von zehn Probanden sagten nach der Studie, dass sie mit dem Kaltduschen unbedingt weitermachen wollten. Viele von ihnen berichteten zudem über zusätzliche Energie am Tag und Motivation nach dem Kaltduschen, ein Wachmacher ähnlich wie ein Espresso.

Dreimal pro Woche kalt duschen

"Der kurze Kältereiz ruft eine starke Wiedererwärmung im behandelten Körperteil hervor", erklärt Regina Webersberger, Allgemeinmedizinerin und Kurärztin in Bad Mühllacken, Oberösterreich. Durch den Kältereiz ziehen sich die Blutgefäße zunächst zusammen, um sich danach stark zu erweitern, wodurch mehr Blut hindurchströmt – die Durchblutung verstärkt sich. "Das verringert die Muskelspannung, es kommt zu einer Schmerzreduktion, das Gewebe wird besser mit Sauerstoff versorgt, und es tritt eine immunstimulierende Wirkung ein", sagt Webersberger.

Eine oftmalige Wiederholung des Kältereizes trainiere zudem das körpereigene Regulationssystem für die Durchblutung, sodass eine Wiedererwärmung mit der Zeit schneller und effektiver erfolgt, weil sich der Körper an die regelmäßigen Kältereize gewöhnt. Webersberger empfiehlt dazu mindestens dreimal die Woche den kurzen Kältereiz.

Kleinere Studien fanden zudem auch Hinweise, dass der Kältereiz gegen Müdigkeit, Nervosität und niedrigen Blutdruck wirken könne. Auch Glückshormone sollen dabei ausgeschüttet werden und für gute Laune sorgen sowie depressive Verstimmungen vertreiben. Dass das Wiedererwärmen des Körpers zusätzlich nennenswerte Mengen an Kalorien verbrennt, dass es zu einer Gewichtsabnahme kommt, dürfte dagegen eher ein Mythos sein.

Auf den Kälteschmerz warten

Muskelverspannungen, Rücken- oder Kopfschmerzen sollen nach dem kalten Wasserbad nachlassen oder verschwinden eine Zeitlang ganz – vermutlich weil durch den Kältereiz die Weiterleitung des Schmerzsignals überlagert wird. Besonders vor Physioanwendungen kann Kälte in Form von Wasser- und Eisbädern, Kältepackungen, kaltem Duschen oder Kneippen daher hilfreich sein. "Bei chronischen Erkrankungen und Schmerzen erfordern die Kältereize zudem das aktive Mittun des Patienten, stärken so die Selbstwahrnehmung, die Selbstverantwortung und aktivieren die Selbstheilungsprozesse", sagt Webersberger. Einige Untersuchungen liefern Hinweise dafür, dass auch Patienten mit entzündlichen Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Schuppenflechte von der Kältetherapie profitierten, indem der Körper als Reaktion entzündungshemmende Stoffe ausstößt.

Auch bei der Kneipp-Wassertherapie sind kalte Güsse ein wesentlicher Bestandteil, behandeln aber meist nur einzelne Körperregionen und lassen sich so einfach zu Hause oder im Garten mit dem Wasserschlauch, in der Badewanne oder unter der Dusche durchführen. Viele machen das kühle Nass zum sozialen Ritual mit Freunden und gehen zusammen zum klassischen Wassertreten in eine Kneipp-Anlage. Kälteempfindliche Menschen wechseln anfangs zwischen kaltem und warmem Guss oder regulieren anfangs das Wasser nicht zu kalt.

Einzelne Körperstellen werden so lange mit kaltem Wasser aus dem Hahn oder Gartenschlauch begossen, bis sich die Haut leicht rötet und ein erster Kälteschmerz auftritt. Dabei an der herzfernsten Stelle mit dem kalten Guss beginnen, also etwa am Fuß- oder Handrücken, damit am Herzen keine Gefäßkrämpfe auftreten, und dann am Körper von rechts nach links und von unten nach oben fortsetzen. Nach dem Guss das Wasser lediglich mit der Hand oder dem Handtuch leicht abstreifen und die Haut selbst trocknen lassen. Sofort nach dem Guss den Körper bei der Wiedererwärmung unterstützen durch Gymnastik, leichtes Umherlaufen, rasches Ankleiden oder (wenn vor dem Zubettgehen) sich ins vorgewärmte Bett legen. Auch Kneipp ist nach dem Eisbad im Fluss so schnell, wie er nur konnte, wieder ins Kloster zurückgelaufen, um wieder warm zu werden.

Keine Studien zum Effekt der Kältesauna

Der Wirkmechanismus kalter Kneipp-Güsse ist identisch mit kaltem Duschen, entsprechend kommen Untersuchungen zu ähnlichen Ergebnissen. Forscher der Universität Jena fanden zudem in kleinen Untersuchungen heraus, dass kaltes Abspülen von Armen und Oberkörper den Kreislauf stabilisiert, schnellem Frieren vorbeugt und allgemein anregend wirkt. Mediziner der Universität Essen stellten fest, dass schon dreimal in der Woche ein kalter dicker Wasserstrahl an Stirn und Wangen ausreicht, um nach einer Woche 25 Prozent mehr Abwehrkörper in der Schleimhaut von Mund, Nase und Rachen zu produzieren als vorher. Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität in München bemerkten, dass ein kalter Guss beim Einschlafen hilft, Schlafstörungen der Probanden verringerten sich im Schnitt um 30 Prozent.

Der Vorteil einer kalten Dusche und des Kneippens: Ausprobieren kostet nichts, Nebenwirkungen gibt es bei gesunden Menschen keine. Wichtig ist, dass sich danach ein Wohlbefinden einstellt, was ein Zeichen dafür ist, dass man den Körper nicht überanstrengt und auch der Seele etwas Gutes tut. Aufpassen sollten Menschen mit hohem Blutdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gefäßkrämpfen, Asthma oder offenen Wunden. "Auch Ältere oder Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen sollten vorab ihren Hausarzt befragen", rät Webersberger.

Noch recht modern und nicht unumstritten sind Kältesaunen oder -kammern, die den ganzen Körper extremer Kälte aussetzen. Sie funktionieren nicht mit Wasser, sondern mit kalter Luft bis minus 110 Grad Celsius. Die Betreiber versprechen sie als linderndes Mittel gegen chronische Schmerzen wie bei Arthrose oder Rheuma. Auch hier sind gute Studien allerdings Fehlanzeige. Ob die Kältekammer besser wirkt als einfache Anwendungen mit kaltem Wasser, ist ebenso ungeklärt. Sicher ist nur, dass ein Besuch in der Kältekammer mit 40 bis 50 Euro deutlich mehr kostet als der kalte Wasserstrahl zu Hause. (Andreas Grote, 5.3.2020)