An dieser Stelle muss ausnahmsweise einiges vorausgeschickt werden. In der Regel ist es nämlich so, dass wir die Autos, die wir testen, von den Importeuren oder den Werken zur Verfügung gestellt bekommen. Bei einer Fahrzeugpräsentation ist das für mehrere Stunden der Fall, im Zuge eines Tests haben wir das Auto einige Tage. Das war in diesem Fall ganz anders. Das Model 3 von Tesla, das hier besprochen wird, ist ein Privatfahrzeug, und es wurde mir völlig überraschend für eine Testfahrt zur Verfügung gestellt. Darum gibt es auch keine Fotos von dem Auto – der Besitzer soll anonym bleiben.

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Das Model 3 von Tesla ist das derzeit wohl am meisten gehypte Auto, das nicht selten als das beste der Welt bezeichnet wird. Warum das so ist, war gar nicht so schwer herauszufinden.
Foto: AP

Das ist ja nicht das große Drama, wir alle wissen, wie das Model 3 aussieht, und alternative Bilder, die ich verwenden kann, gibt es ja auch. Die kurze Testfahrt bringt allerdings mit sich, dass ich keine schlüssigen Aussagen über die Reichweite und die Ladung des Fahrzeugs machen kann. Als ich ihn bekommen habe, waren die Akkus etwa halbvoll, und mir wurde eine Reichweite von rund 250 Kilometern angezeigt. Ich habe aber keine Ahnung, wie das Auto zuvor gefahren wurde – sehr gemütlich, was eine höhere Reichweite ergibt, oder besonders sportlich, was das Gegenteil bedeuten würde.

Kein übliches Presse-Auto

Einen weiteren großen Unterschied gibt es in diesem Test, der nicht außer Acht gelassen werden darf. Wenn uns die Hersteller ein Fahrzeug zur Verfügung stellen, dann bereiten die das Auto in der Regel davor auf. Das heißt, es wird wohl nicht nur gereinigt, sondern man schaut sich auch an, ob sonst alles in Ordnung ist – von den Reifen bis zum Motor. Das war hier ganz bestimmt nicht der Fall.

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Normalerweise werden Presse-Autos vor jedem Test einmal durchgecheckt – das war hier nicht der Fall.
Foto: Reuters

Trotzdem wollte ich die Gelegenheit nicht verpassen, einmal mit dem Auto zu fahren, das hier im Forum stets über den grünen Klee gelobt wird. Und nicht nur hier. In Testberichten und Videos überschlagen sich die Verfasser ja regelrecht vor lauter Begeisterung. Sogar vom schlicht besten Auto der Welt ist oft die Rede.

Vorurteile

Die Erwartungshaltung war also entsprechend groß – auch wenn es schon davor eine Reihe von Vorbehalten gab, etwa was die Armaturen im Innenraum angeht oder die Verarbeitung. Aber ob die Stoßstange jetzt schlecht montiert war oder der Besitzer schon einmal wo ein bisserl angefahren ist, muss offen bleiben, wie es kurz darauf auch der Mund tat. Aber nicht wegen zugefallener Ohren ob der überraschend lauten Windgeräusche, die wir auch schon vom Model X und Model S kennen. Das wäre übertrieben.

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Weil die Akkus im Boden verbaut sind, die E-Motoren wenig Platz brauchen, hat das Model 3 gleich zwei Kofferräume.
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Beim Tritt aufs Gaspedal entglitt die Gesichtsmuskulatur. Himmel! Das Model 3 metert an, dass einem die Luft wegbleibt. Sakrament. 3,4 Sekunden, sagt Tesla, dauert der Sprint aus dem Stand auf 100 km/h mit dem Performance-Modell. Im Vergleich dazu: Der Hyundai Ioniq electric braucht dafür fast zehn Sekunden, der BMW M8 schafft es sogar in 3,3 Sekunden. Obwohl es sich da beim Beschleunigen der beiden Fahrzeuge um zwei komplett unterschiedliche Erfahrungen handelt. Der Achtzylinder des BMW ist laut und legt permanent an Schub zu – der Antrieb des Tesla ist dagegen leise und haut schon vom Start weg mit dem vollen Drehmoment zu. Das drückt einen in den Sitz, so etwas hab ich noch nicht erlebt. Und ich habe diesbezüglich wohl schon viel erlebt.

Beschleunigung wie ein Formel-Auto

So erklärt sich wohl auch, warum das Model 3 in so vielen Vergleichstests auf Zeit so gut abschneidet. Weil er einfach aus den Ecken schießt, dass die Hälfte reicht. Es muss sogar die Beschleunigung der Grund dafür sein, denn das fette Grinsen verschwindet in der Sekunde aus dem Gesicht, in der eine Kurve kommt. Kalter Schweiß rinnt dir über den Körper, wenn du es wagst, auch noch in diese Kurve hineinzubremsen. Dann kommt zur Lenkung, die dir nicht den Hauch von Feedback gibt, auch noch die Bremse, die der Lenkung diesbezüglich um nichts nachsteht. Ein Joystick bei einem Computerspiel ist vom tatsächlichen Geschehen nicht weniger entkoppelt.

Getoppt wird das Ganze aber erst in der Kombination mit dem Fahrwerk, das anscheinend gerne sowohl straff wie auch komfortabel wäre – und an beiden Anforderungen kläglich scheitert. Beim etwas härteren Anbremsen bis zum Kurvenscheitel kriegt man es mit der Angst zu tun. Man weiß nicht, ob einen gleich das Heck überholt oder der Wagen zu schieben beginnt. Man merkt irgendwie, dass man schon sehr früh im Grenzbereich ist, doch nicht, wohin die Reise geht, wann, warum und wie schnell. Die Frage, wie man da am besten reagiert, ist nur für Leute mit dem Hang zum Glücksspiel befriedigend. Dabei reden wir an dieser Stelle nicht von einer Fahrt auf einer Rennstrecke, sondern von einer abschüssigen Autobahnabfahrt.

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Das Model 3 hat eine ganze Reihe von Vorteilen. Beim Handling kann man aber noch nachbessern.
Foto: Reuters

Aber da muss ich mir auch gleich wieder relativierend Einhalt gebieten. Ein Spezifikum vieler Teslas sind Vorderreifen, deren Kanten schwer niedergefahren sind. Man kennt man das auch von anderen Autos. Das passiert, wenn man in Kurven zu früh ans Gas geht oder eben beim Anbremsen ins Schieben kommt, die Lenkung aber nicht auf-, sondern aus Angst weiter zumacht. Jetzt hab ich mir die Pneus vom Testwagen blöderweise nicht so genau angeschaut, weshalb natürlich auch die ein Grund sein können, warum Kurven mit diesem Auto eine kleine Mutprobe sind.

Und das Gewicht

Dafür muss ich meinen eigenen Gedanken, den ich hier ursprünglich anführen wollte, nämlich, dass das hohe Gewicht des Wagens bei solchen Manövern ein Problem ist, ebenfalls relativieren. Nehmen wir wieder den M8 her. Der wiegt um 120 Kilogramm mehr und hat damit keine Probleme. Aber gut, der kostet auch rund 200.000 Euro und darf sich solche Sperenzchen gar nicht erlauben. Der Jaguar i Pace, der mit 79.710 bis 93.760 Euro ebenfalls deutlich teurer und um mehr als 360 Kilogramm schwerer als der Tesla ist, hat bei der gleichen Übung genau gar keine Probleme. Viel mehr macht er das Handling zu seiner Spezialdisziplin. Gut, dafür muss er beim Schnellladen Federn lassen. Das Model 3 Performance kommt auf nur (sic!) 61.890 Euro. Trotzdem muss er sich bei Fahrwerk, Lenkung und Bremsen weit hinter jedem Ford Focus anstellen.

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Tesla hat auch beim autonomen Fahren die Nase vorn. Wir haben den adaptiven Tempomaten auf der Autobahn und der Landstraße getestet.
Foto: Reuters

Aber Handling und Fahrdynamik – nicht nur in die Längs-, sondern auch in die Querrichtung – sind anscheinend keine Tugenden mehr, die bei einem aktuellen Auto zählen. Das wird mir auch klar, als ich den Platz wechsle und am Beifahrersitz den Gurt schließe. Statt auf die Straße zu schauen, fuhrwerkt der neue Steuermann lieber am Touchdisplay herum. Das muss man auch, will man die Verstellung der Position des Lenkrades aktivieren.

Neue digitale Welt

In dem Tablet tut sich eine wunderbare digitale Welt auf. Da macht Tesla keiner was vor. Es gibt unzählige gute und ebenso viele sinnlose Einstellungen, die man verändern kann. Warum der Tesla furzen muss, wenn man den Blinker betätigt – auch das kann man einstellen und soll angeblich die lustige Antwort auf das erzwungene Fahrgeräusch sein, das E-Autos bis 30 km/h machen müssen –, wird sich mir nicht so schnell erschließen. Aber genauso funktioniert dieser Wagen. Es gibt Spotify, aber keinen Knopf, an dem man schnell die Lautstärke reguliert. Man kann die Beschleunigung zwischen "lässig" und "Standard" auswählen – bei älteren Autos macht man das halt altvatrisch mit dem Fahrpedal – dafür kann man nicht einmal die aktuelle Geschwindigkeit im Blickfeld sehen. Auch dafür muss der Blick aufs Tablet springen. Hinter dem Lenkrad sind dafür Lüftungsdüsen, die einem mitten ins Gesicht blasen können.

Futuristisch – oder nackert – ist der Innenraum des Model 3. Es gibt kaum Knöpfe im Auto, bedient wird fast alles über den Bildschirm in der Mitte der Konsole.
Foto: APA

Die Ablenkung durch das Tablet ist enorm. Nicht nur zur Geschwindigkeitskontrolle hüpft der Blick dorthin. Als der Fahrer das Karaoke-Programm startet und begleitet von den Fürzen vom Blinker ein Lied mit der Textzeile "Ich bin ein Döner" oder so anstimmt, den Text dazu aber vom Bildschirm liest, bitte ich, ob wir noch einmal Platz tauschen können. Ich möchte eines der wenigen Features ausprobieren, die man nicht über den Bildschirm aktivieren muss.

Teilautonomes Fahren

Der Autopilot. Er hat schon mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Ganz autonom fährt der Test-Tesla nicht. Das Lenkrad muss man schon halten. Aktiviert wird der adaptive Tempomat über den rechten Lenkstockhebel, mit dem man eigentlich die Fahrstufe einlegt. Drückt man ihn beim Fahren zweimal runter, ist der Assistent fürs teilautonome Fahren aktiv.

Und los geht's. Das Model 3 findet sich auf der Autobahn perfekt zurecht. Dass er am Bildschirm auch alle anderen Autos in der Nähe, noch dazu in der richtigen Größe, darstellt, sorgt für Sicherheit – BMW macht das inzwischen so ähnlich, allerdings knapp unterhalb des Blickfeldes, auf dem Display hinter dem Lenkrad. Die Darstellung im Tesla lenkt da wieder deutlich stärker ab. Ablenkung und Unachtsamkeit sind die Hauptursachen der tödlichen Verkehrsunfälle in Österreich, noch vor nicht angepasster Geschwindigkeit.

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Für Digital Natives ist das Model 3 kinderleicht zu bedienen. Sie klicken sich auch mit einer Selbstverständlichkeit durch die Menüs, dass es nur so ein Wunder ist. Gelernte Drehschalter-Bediener haben da aber mitunter ihre unliebe Not.
Foto: Reuters

Aber das System funktioniert einwandfrei. Zumindest auf der Autobahn. Wenige Minuten später, auf der Landstraße, wären wir ohne Brems- und Lenkeingriff wohl im Straßengraben gelandet. Die Situation war so brenzlig, dass der gute Mann, der nun am Beifahrersitz Helene Fischer nachträllerte, für Minuten verstummte. Also hatte die Schrecksekunde auch ihr Gutes. Erst beim nächsten Blinkfurz fing er wieder hemmungslos zu lachen an.

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Zum Schluss gibt es noch eine Heckansicht des Wagens.
Foto: Reuters

Am Ende bleibt der Eindruck, dass sich da jemand wirklich genau überlegt hat, wie das Auto der Zukunft aussehen und funktionieren soll. Und die Reaktionen darauf zeigen, dass Tesla das auf ganzer Linie gelungen ist. Was heute zählt, ist Konnektivität, das ist Entertainment beim Autofahren, und auch eine sensationelle Beschleunigung ist nur ein Vorteil. Das Auto wird sich auch noch weiter in diese Richtung bewegen. Je besser das autonome Fahren funktioniert, desto wichtiger werden die Features abseits des Fahrens. Tesla nimmt das schon gut voraus.

Ein alter Hund wie ich, der noch gerne selber fährt, auch noch mit der Hand schaltet und wissen will, wie man ein Auto im Grenzbereich bewegt, der kann damit halt recht wenig anfangen. Aber das macht nichts. Schon gar nicht Tesla. Unsereins zählt auch gar nicht zur Kundengruppe. Die wissen schon, dass wir lieber die alten emotionsgeladenen Autos fahren, solange wir das noch dürfen und die Kraxn das noch mitmachen. (Guido Gluschitsch, 9.3.2020)