Um ein Bild vernünftig betrachten zu können, tut es oft gut, einen Schritt nach hinten zu machen. Um das Bild einer Branche vernünftig betrachten zu können, tut es oft gut, ein paar Stockwerke nach oben zu fahren. Gesagt, getan: Das 66. Wohnsymposium des Standard und des Fachmagazins Wohnen Plus fand in der Sky Conference der Raiffeisen Bausparkasse im 14. Stock hoch über Wien statt. Zahlreich hatten sich die Interessierten angemeldet, denn das Thema der Stunde ist in aller Munde.

Zeichnung: Oliver Schopf

Eile als größter gemeinsamer Nenner

"Wohnbau im Klimanotstand: behutsam oder radikal." Wenn es um die Klimakrise geht, sind es stets die gleichen Branchen, denen der schwarze Peter zugeschoben wird. Die Autoindustrie wird angehalten, die Fleischproduktion bekommt ihr Fett weg, und Reisen an sich ist ein No-Go. Dass dabei aber oft eines unserer grundlegendsten Bedürfnisse, das Wohnen, außen vor gelassen wird, ist ungewöhnlich. Und dass das zu lange so war, bestätigten auch die anwesenden Vortragenden.

Eile war der größte gemeinsame Nenner. Während die Themen der Vortragenden variierten – Baustoff Lehm, Begrünung, Photovoltaik, Bauklimatik –, glichen sie sich in einem Aspekt: Egal, was passiert, es muss jetzt passieren. Denn besonders Anna Lindorfer, Aktivistin und Sprecherin von Fridays for Future, appellierte hoffnungsvoll an die anwesenden Branchenmitglieder. Doch sie war nicht allein. Immer wieder schlossen die Experten ihre Vorträge mit Appellen ab.

Einfamilienhäuser als Problem

Hans-Christian Vallant, Geschäftsführer der Raiffeisen Bausparkasse, machte bereits in seinen einleitenden Worten klar, wie es nicht weitergehen kann: "Österreich ist das Land der Häuslebauer." Das sei vor allem dann ein Problem, wenn rund die Hälfte dieser Häuser nach einiger Zeit nicht mehr von einer Familie, sondern nur noch von ein oder zwei Personen bewohnt wird. Der Flächen- und Energieverbrauch pro Kopf sei dann schlicht zu hoch. Ebenfalls seien die immer noch verbreiteten Ölheizungen ein echter Klimakiller.

Wie eine komplette Stadt klimafreundlich aussehen könnte, wollte vor Jahren das Projekt der Masdar City zeigen. Die utopisch geplante Metropole in der Wüste Abu Dhabis sollte keinerlei Emissionen verursachen, mit Energie aus nachhaltiger Produktion versorgt werden und trotzdem ein Wohnort für rund 50.000 Menschen sein. Geplant war die Fertigstellung 2016, durch die Wirtschaftskrise wurde dieses Ziel aber schnell wieder verworfen – und auch das von der Emissionsfreiheit. Jetzt wird ab 2030 mit einer Fertigstellung gerechnet. Wie nachhaltig es ist, eine Stadt aus einer kargen Wüste zu stampfen, ist eine ganz andere Frage.

Jeder kann etwas tun

Doch es muss nicht immer direkt das große Kaliber sein. Die Vorträge auf dem Wohnsymposium zeigten, dass jeder Haushalt etwas verändern kann. Das ist aber nicht so einfach. Bei den Tischgesprächen wurde immer wieder die Forderung nach klaren Kennzahlen gestellt, die die Transparenz erhöhen würden. Wer weiß, wie es um die energetische Qualität seiner Wohnung oder seines Haus steht, kann etwas tun, um sie zu verbessern.

Zudem wurden die Stimmen oft laut, wenn es um das Verhältnis zwischen Neubau und Bestand ging. Daniela Trauninger, Leiterin des Zentrums für Bauklimatik und Gebäudetechnik, kritisierte, ein Neubau wäre oft wirtschaftlicher als eine Sanierung des Bestands. Mike Bucher, Geschäftsführer Wienerberger, hielt dagegen, nicht jede Bausubstanz sei erhaltenswert. Und doch war der Tenor, dass besonders beim Bestand und seiner Sanierung darauf zu achten sei, diese Aufgabe klimafreundlich in die Hand zu nehmen. Der Neubau sei generell auf einem guten Weg.

Und um diesen Bestand zu sanieren, stand vor allem das Thema Fassadenbegrünung ganz oben auf der Agenda. Roland Gnaiger, Professor für Architektur an der Kunstuniversität Linz, bemängelte vor allem die immer noch existenten Regularien, die in der Regel gegen eine Fassadenbegrünung sprechen. Dabei betonte er besonders den Brandschutz: "Wir entscheiden uns lieber für die sichere Verglühung als für den möglichen Brand." Ähnlich äußerte sich Karin Kieslinger, Leiterin der Projektentwicklung beim Bauträger EGW Heimstätte, über die Schwierigkeit, den aus eigenen Photovoltaikanlagen gewonnenen Strom an die Mieter des Hauses zu verteilen, statt ihn ins Netz zu speisen.

Passivhaus als eine Alternative

Die traditionelle Debatte zeigte den aktuellen Stand der Branche in Sachen Klimakrise wohl am besten. Statt dass sich zwei Parteien über das Für und Wider des Passivhauses stritten, redeten sie gemeinsam über die verschiedenen Alternativen, zu denen auch das Passivhaus gehörte.

Das Wohnsymposium zeigte, dass das Thema "Bauen im Klimanotstand" in den Köpfen der Branche angekommen ist. Nur, und das wurde auch öfter angesprochen: Reden und Vorstellen reicht nicht.

Einen Überblick über die Branche aus luftigen Höhen zu geben war wichtig. Dass dieselben Vertreter dann aber den Aufzug auf den Boden der Tatsachen genommen haben, war umso wichtiger. (Thorben Pollerhof, 5.3.2020)