Das linke Känguru und Marc-Uwe (Dimitrij Schaad), der Kleinkünstler: In den "Känguru-Chroniken" steigen sie erstmals im Kino in den Ring.
Foto: Lunafilm

Ein Kommunist und ein Anarchist unter einem Dach, geht das? Die Geschichten um das Leben des Langschläfers und Kleinkünstlers Marc-Uwe und eines Kängurus, das Schnapspralinen liebt, gelten längst als kulturelles Phänomen. Erfunden wurde das mittlerweile auf (Hör-)Bücher, Radiosendungen, Theaterstücke und Spiele angewachsene Franchise vom Berliner Autor Marc-Uwe Kling. 2009 erschien das erste Buch, drei weitere folgten, jedes davon wurde zum Hit.

Nun kommt der Film ins Kino, Die Känguru-Chroniken, inszeniert von Dani Levy. Als erfolgsversprechend gilt das schon deshalb, weil Erwachsene wie auch der Nachwuchs an den Unterhaltungen zwischen dem Känguru und seinem Kompagnon Gefallen finden. Eine Dosis Nostalgie ist im Spiel, wenn das Känguru, das im Vietnamkrieg gekämpft haben will, von seiner Vorliebe für Terrence Hill oder Bands wie Nirvana spricht. Es geht aber auch oft um Politik, Kling hat vor allem das Milieu der Bobos im Visier – "Gesunder Patriotismus klingt für mich wie gutartiger Tumor", ist einer der Denksätze aus dem Repertoire des Kängurus.

Im Film steht wie in der Buchserie das Känguru anfangs vor der Tür, um sich Eier auszuborgen – ein Marxismus-geschulter Schnorrer, der wenig später bei Marc-Uwe (Dimitrij Schaad) einzieht. Das Weltgeschehen wird auf Kreuzberger Verhältnisse geschrumpft: Eine Art Trump will am Görlitzer Bahnhof ein Hochhaus bauen. Paulus Manker ist übrigens als Therapeut zu sehen. (kam)


PROBLEMQUARTETT

"Was machst’n da?", fragt es,
während es im Kühlschrank nach Schnapspralinen sucht.
"Ich denke mir ein Problemquartett aus", sage ich.
"Ein was?"
"Kennst du noch diese Autoquartett spiele?", frage ich. "Ach nee, du bist ja
im Osten aufgewachsen."
"Auch Leute, die im Osten aufgewachsen sind", sagt das Känguru, "kennen sehr wohl Autoquartettspiele."
"Ihr hattet Autoquartettspiele?", frage ich skeptisch. "Waren das nur zwei Karten? Trabant und Wartburg? Und dann habt ihr gemischt, und wer den Trabbi gezogen hat, hat verloren?"
"Haha. Du hältst dich wohl für
sehr witzig."
"Bei euch hieß das wahrscheinlich
Autoduett."
"Es gab auch noch Škodas und Ladas!"
"Oh, Verzeihung! Das ist ja dann schon ein ganzes Quartett."
Das Känguru setzt sich mit einer Schachtel Schnapspralinen zu mir an den Tisch.
"Es gab auch noch Saporoschs", sagt es schmatzend. "Und Moskwitschs."
"Also jetzt denkst du dir doch einfach Wörter aus!"
"Nein! Der Stasi-Typ, der meine Mutter beschattet hat, fuhr einen Moskwitsch."
"Wie dem auch sei", sage ich.
"Jedenfalls kennst du die Spiele.
Da hätte ich dann zum Beispiel irgend einen Audi auf der Hand und hätte gesagt ,Zylinder 8‘, und du hättest dann sagen müssen ,Zylinder 2‘, und dann hätte
ich beide Karten gewonnen."
"Sowieso ein super doofes Spiel",
sagt das Känguru.
"Ganz deiner Meinung.
Deep Lobbying der Automobilindustrie, wenn du mich fragst. Und deswegen, quasi als Gegenkraft, will ich mir halt für die Kids von heute ein Problemquartett ausdenken. Ein Spiel, das kritisches
Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit schafft."
"Und zu welchen Problemfeldern hast
du bisher Karten?"
"Äh … Klimakrise."
"Natürlich."
"Rechtsextremismus, Corona,
die Finanzindustrie …"
"Die ganze Finanzindustrie, oder wie?"
"Meinst du, man muss da
differenzieren?"
"Nee."
"Dann Lobbyismus, Facebook, Twitter, Google …"
"Was auch immer aus ,don’t be evil‘
wurde …"

"Youtube."
"Hast du vor, jetzt jeden Daten sammelnden, überwachungskapitalistisch agierenden Internetkonzern aufzuzählen?
Das würde nämlich das Zeitbudget,
das mir heute für Gespräche mit dir zur Verfügung steht, sprengen."
"Aber das Spiel funktioniert leider
nicht so richtig, weil die Klimakrise ist wie der Wartburg. Wer sie auf die Hand bekommt, gewinnt. Sie schlägt einfach immer alles andere. Sie ist dringlicher, globaler und existenzieller als alle anderen Probleme."
"Vielleicht", sagt das Känguru, "ist
das gar keine Schwäche, sondern im Gegenteil gerade eine Stärke des Spiels. Du musst das nur so ein bisschen sokratisch machen, weißt du? Du schreibst natürlich nicht in die Spiel regeln:
,Wer die Klimakrise auf die Hand bekommt, gewinnt‘, sondern du lässt die Kids das selber rausfinden, indem sie einfach mehrere Runden spielen, und irgendwann checken sie dann: ,Krass, Alter. Ich glaube, es gewinnt immer, wer die Klimakrise auf die Hand bekommt, denn sie ist unser größtes Problem.‘
Du willst doch ein lehrreiches Spiel basteln, oder? Die Aussage wäre damit immerhin ziemlich klar."
"Aber für den Spielspaß ist das schon eine ziemliche Bremse."
"Du könntest noch reinnehmen,
dass in fünf Milliarden Jahren die Sonne explodiert", schlägt das Känguru vor.
"Das ist auf jeden Fall ein noch existen zielleres Problem", gebe ich zu.
"Es ist nur nicht sonderlich dringlich."
"Nee. Aber das ist ja gut."

"Das ist in der Tat gut. Es wäre wirklich schlecht, wenn die Sonne nächste Woche explodieren würde."

"Ja, nächste Woche geht gar nicht",
sage ich. "Da habe ich einen Termin
zur Hautkrebsvorsorge. Auf die muss man doch immer so lange warten."
"Aber sag mal, ist es nicht komisch, dass die Klimakrise die ,You-Win-Karte‘ ist?", fragt es. "Müsste sie nicht eigentlich
die ,You-Lose-Karte‘ sein?"
"Nee. Es ist die ,Everybody-Loses-Karte‘."
"Was für ein deprimierendes Spiel."
Das Känguru wirft sich noch eine Schnapspraline in den Mund.
"Hast du wirklich ein Zeitbudget für
Gespräche mit mir?", frage ich.
"Natürlich. Sonst würde ich ja gar nichts gebacken kriegen."
Das Känguru kratzt sich an der Nase.
"Weißt du, was der größte Haken an
deinem Spiel ist?", fragt es. "Du konzipierst es für die falsche Zielgruppe.
Meiner Erfahrung nach muss man die Kids am wenigsten davon überzeugen, dass dringend etwas gegen die Klimakrise unternommen werden muss."

"Du hast recht. Es ist ein Unding, dass ein Hundertjähriger noch mit über die Zukunft der Welt entscheiden darf, aber eine 16-Jährige nicht. Man müsste irgendwie an die Alten rankommen. Aber wie?"
"Schenk mir deine Stimme", sagt das Känguru.
"Was?"
"So könnte der Kampagnen-Slogan lauten. Die meisten Alten haben ja junge Enkel. Und wenn Oma und Opa die lieben Kleinen das nächste Mal fragen, was sie sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten wünschen, dann könnten sie sagen ,Schenk mir deine Stimme, bei der nächsten Wahl wähle du für mich‘."

"Saugst du dir so was eigentlich aus den Pfoten?"
"Ich habe zugegebenermaßen immer ein paar Kampagnen in Reserve. Falls ich mal in die Verlegenheit komme, eine finanziert zu kriegen. Ich hab zum Beispiel auch eine gegen Verschwörungstheorien. Der Slogan lautet: ,What the Fakt?‘"
"Verstehe."
"Alternativ könnte er auch ,Impfen statt schimpfen!‘ lauten."
"Ich habe ja letztens …"
Da klingelt eine Eieruhr im Beutel des Kängurus.
"Sorry", sagt es und steht vom Tisch auf. "Zeit ist um. Das war’s für heute.
Wir können morgen weiterreden.
Nur noch eins: Kein Mensch braucht
ein Problemquartett. Denk dir lieber ein Lösungsquartett aus."

(Marc-Uwe Kling, 4.3.2020)

Der Trailer zum Film:
Robert Hofmann