Der neue Regierungschef Denis Schmygal im ukrainischen Parlament.

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In der Ukraine ist das Experiment mit dem jungen Regierungschef gescheitert: Die Amtszeit von Premier Alexej Gontscharuk ist nach weniger als einem Jahr beendet. Der 35-Jährige hatte am Dienstag zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten seinen Rücktritt eingereicht. Diesmal wurde er einen Tag später angenommen.

Für die Ablösung Gontscharuks stimmten 353 der 411 anwesenden Abgeordneten in der Rada, darunter auch fast vollständig die Regierungspartei "Diener des Volkes". Gegenstimmen gab es keine. Am Mittwochnachmittag sprach das Parlament seinem Nachfolger, dem bisherigen Vizepremier Denys Schmygal, sein Vetrauen aus.

Veröffentlichte Tonaufnahmen

Das Zerwürfnis in der ukrainischen Führung ist bereits seit Monaten offensichtlich: Im Jänner war Gontscharuk unter massiven Druck geraten, als anonym veröffentlichte Tonaufnahmen Lästereien des Premiers gegen Präsident Wolodymyr Selenskyj belegten. In dem Audiomitschnitt bescheinigte Gontscharuk seinem Vorgesetzten ein "primitives Verständnis ökonomischer Prozesse", "Leere" und "Nebel im Kopf".

Pikant sind diese Äußerungen auch deshalb, weil Gontscharuk als Wirtschaftsberater Selenskyjs gearbeitet hatte und dieser ihn später wegen seiner Kompetenz für den Posten des Premierministers nominierte. Selenskyj, der angesichts der schwierigen Donbass-Verhandlungen keinen Skandal an anderer Stelle gebrauchen konnte, lehnte damals einen Rücktritt ab und fokussierte sich lieber auf die Suche nach den Hintermännern der illegalen Abhöraktion. Gontscharuk gab er "eine zweite Chance". Die ist nun vorüber.

Kritik am Wirtschaftskurs

Der Kiewer Politologe Alexander Kawa sieht allerdings noch andere Ursachen als persönliche Reibereien. Er kritisiert die Arbeit des Kabinetts insgesamt als "schrecklich". Im Gespräch mit dem STANDARD wirft Kawa der Regierung "die Senkung der Industrieproduktion, die Unfähigkeit, den Gastarif für die Bevölkerung trotz sinkender Erdgaspreise auf dem Weltmarkt zu verringern und ein Fiasko bei den Budgeteinnahmen" vor.

Diese Punkte sprach dann auch Selenskyj selbst bei seiner Begründung für den Umbau der Regierung an. Während Gontscharuk sein Kabinett für die Senkung der Inflation und die "erfolgreiche Privatisierung" lobte, mahnte Selenskyj, die Regierung wisse zwar, was sie tut, "aber wissen allein reicht nicht, man muss eben auch viel arbeiten und es umsetzen". Gerade der Zoll sammle "mehr Likes als Geld" ein. "In dem Kampf haben die Schmuggler den Zoll k. o. geschlagen", konstatierte er.

Neubesetzung von Schlüsselposten

Mit dem Rücktritt Gontscharuks geht auch eine Regierungsumbildung einher: Mehrere Minister verlieren ihren Posten oder rochieren innerhalb des Kabinetts. Außenminister Wadim Pristaiko wird so Vize-Premier für Fragen der europäischen Integration. Der bisher dort agierende Dmytro Kuleba Außenminister. Die Abgeordneten segneten am Mittwoch auch die Neubesetzung des Finanzministerpostens ab: Statt Oksana Markarova kommt Ihor Umansky.

Welchen Kurs Gontscharuks Nachfolger Schmygal fahren wird, ist unklar. Der 44-jährige Wirtschaftsingenieur gehört der Regierung erst seit einem Monat als Vizepremier an, davor leitete er die Gebietsverwaltung des westukrainischen Iwano-Frankiwsk. Schmygal hat aber auch lange Erfahrung in der Privatwirtschaft gesammelt. Aus der Regierungspartei hieß es, Schmygal werde die Nerven der Bevölkerung schonen, die schon bald mehr Geld in den Taschen haben werde. (André Ballin, 4.3.2020)