Björn Höcke (re.) will gratulieren, doch Bodo Ramelow verweigert den Handschlag.

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Herr Ramelow, schauen Sie mal nach hinten!", rufen die Fotografen im Plenarsaal des Thüringer Landtages. Soeben hat Bodo Ramelow, der sich an diesem Mittwoch wieder zum Ministerpräsidenten wählen lassen möchte, seinen Platz in der ersten Reihe eingenommen. Und er erwidert gut gelaunt und selbstbewusst: "Ich gucke nur nach vorne. Heute ist der erste Tag zum Wiederaufbau von Stabilität."

Das "Beben von Erfurt" soll an diesem Tag rückgängig gemacht werden – dieser "unverzeihliche" Fehler, wie Kanzlerin Angela Merkel die Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten genannt hatte.

Dieser war am 5. Februar mit Stimmen der FDP, der CDU und – erstmals in einem Landtag – auch mit jenen der AfD ins Amt gehievt worden, was letztlich auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin das Amt kostete: Sie konnte ihren strikten Abgrenzungskurs zur AfD gegenüber den Thüringer Parteifreunden nicht durchsetzen. Jetzt sitzt Kemmerich wie Ramelow auch in der ersten Reihe – unaufhörlich knetet er seine Hände.

Als die Blumen flogen

"Wäre schon gut, wenn es heute klappen würde", sagt eine junge Erfurterin vor dem Landtag. Sie ist kein Fan von Ramelow, dem Ministerpräsidenten von 2014 bis 2019, aber sie findet: "Es müssen jetzt alle Demokraten zusammenstehen, der Streit muss aufhören, Thüringen soll wieder ein normales Bundesland werden, wir sind ja die Lachnummer der Nation."

Im Landtag herrscht schon Stunden vor Beginn der Sitzung einiger Betrieb. Im Plenarsaal stellen Mitarbeiter die Mikrofone für die Vereidigung des Ministerpräsidenten auf. Blumensträuße werden geliefert und unter einem Tisch verstaut. Man weiß nie, ob nicht einer wieder auf den Boden fliegt, so wie am 5. Februar, als Linken-Chefin Susanne Henning-Wellsow dem überraschend gewählten Ministerpräsidenten Kemmerich ihren floralen Gruß aus Protest vor die Füße warf.

Und auch jetzt, vor dem zweiten Anlauf, gibt es nur ein Thema: Welche Finten können diesmal kommen? Zur Ausgangslage: Die absolute Mehrheit beträgt im Thüringer Landtag 46 Stimmen – Rot-Rot-Grün kommt aber nur auf 42 (29 Linke, acht SPD, fünf Grüne). Die AfD hat 22, die CDU 21, die FDP fünf. Rot-Rot-Grün und die CDU hatten in den vergangenen Tagen eine "Stabilitätsvereinbarung" getroffen: Die CDU ist bereit, bis zur Neuwahl 2021 die rot-rot-grüne Minderheit bei einigen Projekten zu unterstützen.

Ramelow wollte zunächst ein paar CDU-Stimmen im ersten Wahlgang. Doch dann erklärte er wenige Stunden vor dem Ereignis überraschend, doch in allen drei Wahlgängen anzutreten, und bat die CDU um Enthaltung. Offenbar will er sich nicht nachsagen lassen, er übe Druck auf die CDU-Abgeordneten aus.

Höcke gegen Ramelow

Pünktlich um 14 Uhr eröffnet Landtagspräsidentin Birgit Keller (Linke) die Sitzung. Es gibt für die Wahl des Ministerpräsidenten zwei Kandidaten: Ramelow und den AfD-Fraktionschef Björn Höcke. Beim letzten Mal, am 5. Februar, hatte die rechte AfD noch einen "Strohmann", Christoph Kindervater, ins Rennen geschickt und ihn dann zugunsten von Kemmerich nicht gewählt.

Kemmerich und die anderen FDP-Abgeordneten bleiben im ersten geheimen Wahlgang übrigens sitzen und geben keine Stimme ab. Das hatten sie auch vorher angekündigt.

Zwei gleiche Ergebnisse

Die anderen Abgeordneten werden einzeln aufgerufen und gehen zur Wahlkabine, bald darauf verkündet die Präsidentin das Ergebnis: 21 Enthaltungen (vermutlich die CDU-Abgeordneten, die das so angekündigt hatten), 42 Ja-Stimmen (wohl rot-rot-grüne) für Ramelow, 22 (vermutlich AfD) für Höcke. Ramelow nickt zufrieden.

Im zweiten Durchgang spielt sich exakt das Gleiche ab, das Ergebnis fällt wieder so aus, Ramelow nickt erneut, als laufe alles nach (s)einem Plan.

Der dritte und entscheidende Wahlgang, in dem nur noch die Mehrheit der Ja-Stimmen nötig ist, beginnt mit einer Änderung: Höcke zieht zurück, Ramelow geht alleine in die Wahl. Nun sind Nervosität und Anspannung im Plenarsaal deutlich zu spüren.

Doch dann verläuft es wunschgemäß für die Linke. Ramelow bekommt 42 Ja-Stimmen, das sind genau so viele, wie Linke, SPD und Grüne Abgeordnete haben. Dazu kommen 23 Nein-Stimmen und 20 Enthaltungen. Ramelow ist gewählt – und das ohne Stimmen der AfD.

Er wird sofort im Landtag vereidigt, dann kommen auch schon die Gratulanten. Kemmerich hat Blumen mitgebracht, ebenso der neue CDU-Fraktionschef Mario Voigt. Mit leeren Händen allerdings erscheint Höcke.

Doch als er an der Reihe ist, streckt er Ramelow die Hand entgegen. Der neue Ministerpräsident ergreift sie nicht, sondern dreht seine Hände auf die Seite.

Sofort ertönt aus den Reihen der Linken Applaus, aus der AfD-Fraktion kommen Buhrufe. "Gerechtigkeit gegenüber jedermann!", ruft dort jemand und erinnert an die Worte, die Ramelow bei der Eidesleistung sprach.

Ramelow verteidigt den verweigerten Handschlag in seiner ersten Rede und sagt: "Das kann man für ungehobelte Manieren halten." Er sei bereit, auch Höcke die Hand zu geben. Aber erst, wenn "Sie die Demokratie verteidigen und nicht mit Füßen treten". (Birgit Baumann aus Erfurt 4.3.2020)