2017 waren Regiojet-Züge aus Tschechien trotz aller von Wien und Prag aufgebauten Hürden am Hauptbahnhof Wien angekommen.

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Der vor vier Jahren im Zuge von Razzien der EU-Kommission aufgeflogene mutmaßliche Marktmissbrauch durch Staatsbahnen war offenbar strategisch geplant. Höchste Organe der Tschechischen Staatsbahn (ČD) und der ÖBB haben sich generalstabsmäßig verabredet, wenn es darum ging, private Konkurrenten auszubremsen.

Dem tschechischen Bus- und Bahnbetreiber Regiojet, der mit seinen orangen Zügen inzwischen auch zwischen Prag und Wien verkehrt, soll die ÖBB-Personenverkehr AG ihre zum Verkauf stehenden alten Reisezugwagen nicht verkauft haben, obwohl Regiojet mit 80.000 Euro pro Waggon mehr gezahlt hätte als der zweite Interessent aus der Slowakei, WGS, der nur 60.000 Euro geboten hatte. Das berichtet das tschechische Nachrichtenportal "Seznam Zprávy" unter Berufung auf eine E-Mail-Korrespondenz zwischen der damaligen Führung des ÖBB-Fernverkehrs und dem Vorstandsassistenten der Staatsbahn České dráhy (ČD).

Offenherzige Mails

Laut den E-Mails schlugen ČD-Manager ihren Ansprechpartnern in der Chefetage der ÖBB-Personenverkehr AG am 10. Februar 2015 kurz vor Mitternacht ziemlich ungeniert vor, Regiojet aus der Vergabe zu "eliminieren" und der weniger bietenden slowakischen Wagon-Service den Zuschlag zu geben. Geradezu offenherzig ist die Antwort aus Wien zwei Tage später: Die zwischenzeitlich auf eine andere Geschäftsführerfunktion innerhalb des ÖBB-Konzerns gewechselte Führungskraft (Name der Redaktion bekannt, Anm.) sicherte zu, dass Regiojet den Zuschlag nicht bekommen wird – und fragt auch gleich nach, ob den tschechischen Staatseisenbahnern der alternative Anbieter WGS opportun wäre – oder sie selbst kaufen wollten.

Wie DER STANDARD berichtete, geht es in der Causa um rund 50 Reisezug- und Schlafwagen, die die ÖBB in den vergangenen Jahren sukzessive an Bahngesellschaften in den östlichen Nachbarländern verkauft und durch ÖBB-Railjets von Siemens ersetzt hat. Zu den Käufern gehörte eine Zeit lang Regiojet, ehe die gute Geschäftsverbindung auf dem Abstellgleis landete und bevorzugt ČD zum Zug kam.

Lange Freundschaft

Der Beginn der Freundschaft zwischen ČD und ÖBB dürfte der Railjet-Deal gewesen sein, bei dem die ÖBB ihre Option aus dem Jahr 2007 auf sieben Railjet-Züge von Siemens an ČD weiterreichte, was ČD ein Bußgeld der tschechischen Behörden einbrachte, weil der Zuschlag ohne Ausschreibung erteilt worden war. Aus dieser Kooperation resultierte die gemeinsame Railjet-Nutzung im Verkehr von Prag bis Graz, den ČD mit ihren blauen Zügen absolviert.

Das Ansinnen der ÖBB-Oberen nach den Razzien bei mehreren Staatsbahnen, sich bei der EU-Kommission als Kronzeugen anzudienen, bekommt durch die nun publizierten Details die entsprechende Unterfütterung. Eine Stellungnahme zu den belastenden E-Mails gab es am Mittwoch seitens der ÖBB nicht. Man kommentiere laufende Verfahren nicht.

Hohe Strafe droht

Die Tschechen wiederum, die gegen die Razzien zu Felde gezogen, nun aber beim Europäischen Gerichtshof abgeblitzt sind, spielen die Sache herunter. Der Verfasser der E-Mail sei damals nur Vorstandsassistent gewesen – ohne organschaftliche Befugnis. Allerdings ist er heute stellvertretender Vorstandschef.

Drohpotenzial schlummert in dem sich hinziehenden Verfahren der EU-Wettbewerbskommission jedenfalls für tschechische wie österreichische Staatsbahn: Marktmissbrauch kann mit bis zu zehn Prozent des Konzernumsatzes belegt werden, das wären bei den Tschechen umgerechnet 160 Millionen Euro und bei der ÖBB eine halbe Milliarde. (Luise Ungerboeck, 5.3.2020)