Die Schriftstellerin Kathrin Röggla lässt gerne Ambivalenz zu.

Foto: Karsten Thielker

Mit ihren Stücken, Romanen und Essays zielt Kathrin Röggla auf politisch heiße Themen. In dem soeben erschienenen Sammelband Und wie wir hassen! (Kremayr & Scheriau) erzählt sie nebst 14 anderen Autorinnen von einer Frau und einem Taxifahrer, die voller Ressentiments übereinander spekulieren: "Ich werde ihn jetzt direkt fragen, ob er ein Rechtsextremer ist." Vergangene Woche bekam die gebürtige Salzburgerin den Wortmeldungen-Preis für einen literarischen Essay, in dem es um den Rechtsruck, abgehängte Landstriche, prekäre Arbeit und verhärtete gesellschaftliche Fronten geht. Am Sonntag um 11 Uhr diskutiert Röggla im Wiener Burgtheater zu "Warum wir am Frauentag auch über Männer reden sollten ...".

STANDARD: Wie viel Schuld haben an all den aktuellen Miseren zwischen Rechtspopulismus und Kapitalismus die Männer?

Röggla: Rechtsextremismus verbindet sich stark mit einer gewissen Männlichkeitsvorstellung, und bei der AfD und FPÖ beherrschen Männer die Szene. Nichtsdestotrotz gibt es auch Frauen, die da mitmachen. Ich will das also nicht biologistisch zuschreiben, es hat mehr mit erlernten Rollen zu tun.

STANDARD: Mit einem falschen, überholten, auf Stärke und Härte zielenden Ideal von Männlichkeit?

Röggla: Ja. Diese Perspektive halte ich für einen Fortschritt im Feminismus, denn sie lässt Hoffnung zu, dass es zu einer Veränderung kommen kann. Wenn man einfach sagt, die Männer sind das Problem, erklärt man alles zur nicht zu lösenden Geschichte. Das patriarchale System ist das Problem.

STANDARD: Fangen Sie mit Begriffen wie "alter weißer Mann" etwas an?

Röggla: Als Kampfbegriffe oder zur Kenntlichmachung taugen sie schon etwas, und natürlich sehen wir immer noch weitaus mehr alte weiße Männer in entscheidenden Positionen. Die Frage ist aber, wie und wann sie angewandt werden.

STANDARD: Inwiefern?

Röggla: Der Begriff "toxische Männlichkeit" zum Beispiel wird manchmal in einem rein puritanischen Gestus benutzt, den ich schwierig finde. Zudem suggeriert die Häufung solcher Schlagworte im Diskurs, dass da schon ausreichend Dinge unternommen werden. Dabei wird sexuelle Gewalt immer noch zu wenig wahrgenommen und geahndet. Wir leben in einer Welt, in der Frauen nach wie vor extrem benachteiligt werden, am meisten schuften müssen, am meisten Gewalt erleben.

STANDARD: Haben Sie deshalb festgestellt, #MeToo sei kein guter Weg für eine Gesellschaft, um zu diskutieren?

Röggla: #MeToo war anfangs sehr mutig und ist inzwischen eine sehr "leichte" Geschichte geworden. Es wäre nicht gut, wenn etwas per Hashtag ins Netz delegiert würde, und damit hätte sich die Sache. Die Initiative hat Prozesse angeregt, doch ist dieses Instrument auch problematisch, weil es pauschalisiert.

STANDARD: Würden Frauen an der Macht alles besser machen?

Röggla: Es gibt Untersuchungen, dass es so sein könnte. Aber ich will bei Ungerechtigkeit nicht nur über Frauen sprechen. Für mich verbindet sich Feminismus auch mit Fragen nach Heteronormativität, nach Queerness und nach Rassismus. Es geht bei all dem nämlich um Herrschaftsverhältnisse, die Ordnung der Welt und den Kampf gegen Ambivalenz und Diversität. Ich sehe mich auf der Seite derer, die Fragen nach Gleichstellung und Präsenz in der Öffentlichkeit stellen.

STANDARD: Wo handeln Sie ganz konkret feministisch?

Röggla: Da wir soziale Wesen sind, können wir stets etwas ändern. Als Vizepräsidentin der Akademie der Künste in Berlin kann ich dort etwa unterstützen, dass der Frauenanteil in der Mitgliedschaft steigt. Man kann sich auch ganz einfach mit anderen Frauen solidarisieren, wenn sexuelle Gewalt oder berufliche Deckelungen bekannt werden. Sucht Kontakt, bildet Banden! Ganz wichtig ist auch, gegen eigene verzerrte Wahrnehmungen vorzugehen.

STANDARD: Welche denn?

Röggla: Etwa dass man, wenn man eine Veranstaltung plant, nicht sagt, in dem Bereich gibt es keine Frauen, die man einladen könnte. Das habe ich mir angewöhnt!

STANDARD:In diese Kategorie fällt auch das Gendersternchen. Darüber wird genauso wie über Political Correctness von vielen gespöttelt. Liegt das daran, dass Männer sich in ihren Pfründen bedroht fühlen? Wie stehen Sie dazu als jemand, der täglich mit Sprache arbeitet?

Röggla: Sprache macht uns zu Subjekten und lässt uns politische Angelegenheiten verhandeln. Insofern ist sie extrem wichtig, weshalb ich das Gendersternchen nicht als Symbolpolitik abtun würde. Es geht dabei um Sichtbarkeit! Auch wenn biologisches und grammatisches Geschlecht nicht das Gleiche sind – wenn von 100 Schriftstellern die Rede ist und 99 davon sind Frauen, ist das schon komisch. Gleichzeitig kann man Gerechtigkeit nicht festschreiben. Ich halte diese Sternchen in bürokratischen Texten für super, woanders sind sie nicht die Lösung.

STANDARD: Genderthemen boomen seit einigen Jahren. Warum?

Röggla: Es gab eine Zeit, da galt Feminismus als uncool, momentan ist aber ein wahnsinniger Aufbruch zu bemerken, eine junge Generation an Feministinnen und Feministen ist am Start. Vielleicht hatte eine breitere Öffentlichkeit bis vor zehn Jahren vergessen, dass doch nicht so viel erreicht wurde, was Gleichstellung, sexuelle Gewalt, Körperpolitik angeht. Bedauerlich ist allerdings, dass das Thema soziale Gleichstellung heute dabei ein bisschen in den Hintergrund gerät. Fragen nach sozialer Absicherung und ungleicher Bezahlung finde ich sehr wichtig, auch jene nach Mutterschaft fällt da hinein. Ich habe Feminismus erst richtig verstanden, als ich Mutter wurde.

STANDARD: Warum?

Röggla: Weil Mütter gesellschaftlich extrem überwacht sind. Das hat mich vorher nicht interessiert, denn Mutterschaft steht im Feminismus nicht ganz oben auf der Liste, weil man die Verbindung Frau–Mutter eigentlich loswerden will. Mutterschaft ist aber nicht nur eine Karriere-, sondern auch eine Altersversorgungsfrage. Sobald ein Paar ein Kind bekommt, findet die soziale Trennung statt, dann sind plötzlich konventionelle Rollenmodelle wieder stark da.

STANDARD: Männer spüren in der Rolle des Ernährers auch Druck. Und während Mädchen in der Schule besser sind, treffen Körperprobleme zunehmend Burschen ...

Röggla: Ja. Das patriarchale System in seiner neoliberalen Ausformung trifft in seinen Widersprüchen alle. Der Gedanke, man könne sich selbst vollends managen und sein eigenes Kunstwerk sein, äußert sich auch darin, dass man seinen eigenen Körper erschafft.

STANDARD: Auch Männer hätten vom Feminismus also Vorteile im Kampf gegen Verunsicherung und Selbstzweifel?

Röggla: Genau. (Michael Wurmitzer, 5.3.2020)