Zunehmend isoliert: Emmanuel Macron.

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Der Präsident konnte beruhigt in die Abstimmung gehen: Sozialisten, Kommunisten und "Unbeugsame" kamen mit ihrem Misstrauensantrag nur auf 91 Stimmen in der 577-köpfigen Nationalversammlung. Die konservativen Republikaner im Pariser Parlament vereinigten für ihren eigenen Antrag gegen die Regierung 148 Stimmen. Gegen die absolute Mehrheit der Macron-Partei La République en Marche (LRM) hatte die gespaltene Opposition damit keine Chance.

Die beiden Voten bedeuten nach französischem Verfassungsrecht, dass die Regierung die daran geknüpfte und stark umstrittene Rentenreform in erster Lesung durch die erste Parlamentskammer gebracht hat. Die zweite Kammer, der konservativ dominierte Senat, kann dies nicht mehr aus eigener Kraft umstürzen. Für Macron ist die Doppelabstimmung deshalb ein Erfolg: Trotz monatelanger Proteste hat er sein Lager zusammengehalten und sich durchgesetzt.

Einführung eines Punktesystems

Dies aber mit zwei Einschränkungen, und sie sind von Gewicht: Zunächst betrifft das nun erfolgte Placet nur den Kern der Reform – also die Abschaffung der Spezialkassen für Beamte, Eisenbahner und andere sowie die Einführung eines Punktesystems für alle. Völlig ungelöst bleibt hingegen die Frage der Finanzierung. Sie muss in einem zweiten Gesetz geregelt werden – und dagegen kann Macron den jetzt angewendeten Verfassungstrick von Artikel 49.3 mit den Vertrauensabstimmungen nicht mehr anwenden.

Die Linke wie die Rechte wollen ihre "friedliche Guerilla", wie die Sozialistin Valérie Rabault erklärte, fortsetzen und tausende Zusatzanträge einbringen. Damit könnten sie das Schlussvotum zur Rentenreform zumindest vor der Sommerpause noch verhindern.

Zweitens zahlt Macron einen hohen Preis für die Benutzung der "institutionellen Brechstange", wie Artikel 49.3 oft genannt wird: Indem er eine Parlamentsabstimmung über die Reform selbst umging, macht er selbige nicht populärer. Die Opposition wirft Macron zudem vor, er habe die "Coronakrise" ausgenützt, um sein Vorhaben an der Öffentlichkeit vorbeizuschmuggeln. Die Rechte spricht von einem "Fiasko", die Linke von einem "demokratischen Desaster".

Die allgemeine Abwehrstimmung in Frankreich könnte sich in zehn Tagen, wenn in Frankreich Kommunalwahlen anstehen, für Macron rächen: Seine junge Partei ist ohnehin kaum verwurzelt in den 36.000 Gemeinden Frankreichs. Auch in den Großstädten, wo Macron bei den Präsidentenwahlen von 2017 auf die urbane Wählerschaft zählen konnte, verfügt sie kaum über "Wahllokomotiven" oder erfahrene Kandidatinnen und Kandidaten; das zeigte sich auch in Paris, wo der Macron-Kandidat Benjamin Griveaux über eine Sexaffäre gestolpert ist.

Wenig souverän

Der innenpolitisch eher unerfahrene Präsident setzt wohl darauf, dass er mit seinem – in der Form, nicht in der Sache – unnachgiebigen Verhalten im Rentenkonflikt bei bürgerlichen Wählern punkten könnte. Viele Konservative sind aber genauso gegen die Reform wie die Linke, da sie Einbußen bei der Berechnung des Punktesystems befürchten. Macron hat zwar die wichtigste Abstimmung über seine Reform durchgebracht; indem er aber bis heute nicht fähig ist, die finanziellen Konsequenzen für das schwerfällige französische Pensionssystem anzugeben, erweist er sich kaum als souveräner Reformer.

Sein vermeintlicher Sieg in erster Parlamentslesung verkommt deshalb zu einem bloßen Zwischenerfolg. Das harte und überaus zähe Kräftemessen geht in Frankreich weiter. Schon drängt sich aber ein Fazit auf: Nach der Gelbwestenkrise wird Macron zumindest die Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit von 2017 bis 2022 in schweren Sozialkonflikten verbracht haben. Seine Spindoktoren behaupten, das sei unvermeidlich, wenn man Frankreich von Grund auf reformieren wolle. Das gereiche dem mutigen Präsidenten nur zur Ehre.

Politisch ist Macron aber zunehmend isoliert, oft gar verhasst. Vor allem in Frankreich gilt, dass ein Staatsoberhaupt nicht ewig gegen den Mehrheitswillen des eigenen Volkes regieren kann. (Stefan Brändle aus Paris, 4.3.2020)