Im Gastkommentar sorgt sich der Anwalt Alfred J. Noll um die Zukunft des Radiokulturhauses.

Was der ORF kann und was er ist, das sehen und hören wir jeden Tag. Was der ORF soll, das steht im ORF-Gesetz – und dort steht unter anderem: Der ORF hat für die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft zu sorgen, und das soll er vermittels der angemessenen Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion tun.

Das ORF-Funkhaus mit bunter Ohr-Skulptur.
Foto: STANDARD / Regine Hendrich

Das ist eine durch und durch löbliche Sache. Wenn der ORF als öffentlich-rechtlicher Rundfunk für uns alle Gewicht und Bedeutung haben soll, dann muss er sich von anderen Sendern auch unterscheiden: Durch die Qualität seines Angebots, durch die Breite seiner Beiträge – aber auch durch die besondere Bedachtnahme auf das Kulturschaffen in Österreich. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei (noch) dem ORF-Radiokulturhaus in der Wiener Argentinierstraße zu. Mit durchschnittlich 300 Veranstaltungen im Jahr – von Klassikkonzerten, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, von Jazz und Weltmusikausflügen bis hin zu Pop-, Rock- und Elektronikkonzerten – bietet es ein vielfältiges Live-Kulturangebot: Zeitgemäß, publikumsnahe und auf hohem Niveau wird solcherart seit einigen Jahren multichannelfähiges Kulturprogramm für den ORF ermöglicht. Und überdies ist es der Sitz des "Radio-Symphonieorchester Wien" (RSO).

Nun pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Der ORF hat kein Interesse mehr an seinem kulturellen Flaggschiff. Es soll – bis zum Überdruss hören wir das an allen Ecken! – "privatwirtschaftlich" geführt und abgestoßen werden. Nichts Genaues weiß man natürlich nicht – aber wenn in Wien auf etwas Verlass ist, dann sind’s die Gerüchte.

Niederschwelliger Zugang

Der Verkauf des Funkhauses in der Argentinierstraße ist seit Jahr und Tag gegessen. Man mag dazu stehen, wie man will. Aber den kritischen Stimmen wurde vom ORF unentwegt entgegengehalten: Aber das Radiokulturhaus, der Große Sendesaal – all das würde doch bleiben, es sei ja auch unverzichtbar als innerstädtischer Kulturbegegnungsort. Und tatsächlich wurden 2018/19 das Radiocafé und das Klangtheater in die HD-Video-Anlage eingebunden und so dem Radiokulturhaus die bildliche Aufzeichnung aller relevanten Veranstaltungen aus dem gesamten ORF-Kulturareal ermöglicht. So konnten 2019 gut 220 Stunden ORF-Radioprogramm und etwa 200 Stunden TV-Programm aus dem Radiokulturhaus gesendet werden. Von etwa 500 Künstlerinnen und Künstlern ließen sich ca. 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauer begeistern. Das Radiokulturhaus ist schon heute eine Begegnungsstätte zwischen ORF und Publikum – und es könnte noch weiter zu einem innovativen, kulturellen Brennpunkt des kulturellen Geschehens in der Stadt ausgebaut werden. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, vor allem deswegen, weil das Radiokulturhaus einen niederschwelligen Zugang für das ORF-Publikum schafft – und damit auch eine sinnlich erfahrbare Form der Zugehörigkeit zum ORF fürs Publikum ermöglicht.

Von jeher hat der ORF Schwierigkeiten, seine "positiven Seiten" angemessen zu präsentieren. Er ist eingekeilt zwischen parteipolitischen Begehrlichkeiten und der vorgeblichen Notwendigkeit, seine Reichweite zum alleinigen Kriterium seiner Existenzberechtigung zu machen. Wenn er jetzt drauf und dran ist, sein in jeder nur erdenklichen Hinsicht erfolgreiches Radiokulturhaus zu entsorgen, tut er sich selbst keinen Gefallen – und uns schadet er. (Alfred J. Noll, 5.3.2020)