Ein bahnbrechendes Urteil des deutschen Verfassungsgerichtshofs hat neulich das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Reaktion der österreichischen Öffentlichkeit: zunächst Überraschung. Nicht der Staat, sondern der mündige Bürger soll entscheiden, wann er sein Leben beenden will? Und das nicht nur im Fall von Todeskrankheit und unerträglichen Schmerzen, sondern, wie es in dem Urteil heißt, "in jeder Phase seiner Existenz"? Im Obrigkeitsstaat Österreich unerhört.

Voraussichtlich im Juni muss auch der österreichische Verfassungsgerichtshof über einen Antrag entscheiden, der unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention ("Jeder Mensch hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben") das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord kippen will. Im Vorfeld sagt die ÖVP dazu rundweg Nein. SPÖ, Grüne und Neos können einer gewissen Lockerung in Ausnahmefällen etwas abgewinnen. Die FPÖ weiß nicht so recht. Und die Kirchen haben sich bisher mit dem Stehsatz begnügt, die Menschen sollten "an der Hand", aber nicht "von der Hand" anderer ihr Leben beenden.

Der deutsche Verfassungsgerichtshofs hat das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe als verfassungswidrig aufgehoben.
Foto: imago/Becker&Bredel

Vor kurzem hat die Sprecherin des Instituts für Bioethik der katholischen Bischofskonferenz vernehmen lassen, Sterbewillige wollten ja nicht das Leben, sondern das Leiden vermeiden. Ja und? Warum sollten sie das nicht dürfen? Differenzierter der evangelische Theologe und Bioethikexperte Ulrich Körtner, der immerhin einräumte, Autonomie und Gewissensfreiheit seien auch aus christlicher Sicht ein hohes Gut. Missbrauch – darüber sind sich alle einig – sollte man verhindern. Aber über die grundsätzliche Frage, ob selbstbestimmtes Sterben ein Menschenrecht und damit verfassungskonform ist, muss spätestens jetzt seriös nachgedacht werden.

Autonomie und Gewissensfreiheit

Die Meinung der Bevölkerung ist bekannt: uneingeschränkt ja. Das wurde bereits bei einer parlamentarischen Enquete zum Thema vor einigen Jahren erhoben. Bisher dachte man dabei vor allem an Schwerkranke, die ihre Angehörigen dringend bitten, ihnen einen gnädigen Tod zu ermöglichen. Eine Ehefrau, die ihrem Mann diesen Wunsch erfüllte, wurde vor einiger Zeit wegen Mordes verurteilt.

Aber was ist mit Menschen, die einfach genug haben? Die nach einem erfüllten Leben sagen: Es reicht? Die keine Lust haben, dement, pflegebedürftig, abhängig von anderen noch jahrelang dahinzuvegetieren? Die ihren Familien nicht zur Belastung werden wollen? Wer Autonomie und Gewissensfreiheit ernst nimmt, muss auch dazu sagen: alles gute Gründe.

Als neulich der Präsident des deutschen Verfassungsgerichtshofs den historischen Urteilsspruch verkündete, mit dem Zusatz, man habe sich die Entscheidung nicht leichtgemacht, brandete im Saal spontaner Applaus auf. "Freiheit bis zum Tod" überschrieb die angesehene "Süddeutsche Zeitung" ihren Kommentar dazu. "Wenn ein Mensch den Weg ins Jenseits antreten will, darf der Staat dorthin keine Steine legen. Er muss sie vielmehr wegräumen – und ihm vielleicht sogar ein Geländer bauen." (Barbara Coudenhove-Kalergi, 4.3.2020)