Leipzig hat nicht umsonst den Spitznamen "Hypezig": Jährlich steigen die Mieten um vier Prozent.

Foto: David Tiefenthaler

Frisch renovierte Häuser reihen sich neben abrissreife Gebäude.

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Studierende wehren sich mit Hausprojekten.

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Sie zogen durch die Straßen mit verfallenen Altbauten und suchten nach Fenstern ohne Vorhänge, beschreibt Dieter Rink die Leipziger Wohnungssuche in den 1980ern. "Dort wohnte meist niemand, ein Schlüssel wurde organisiert, und schon ist man eingezogen. Das war der schnellste und billigste Weg zur eigenen Wohnung."

Rink ist Professor für Stadt- und Umweltsoziologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und einer der besten Kenner der boomenden Stadt. So wie er wohnten im Endstadium der DDR einige Studierende "schwarz", für ein paar Mark, in Abrisshäusern mit WC auf dem Gang und Löchern im Dach.

Nach dem Mauerfall zog es viele in den Westen, bis in die Nullerjahre hinein schrumpfte Leipzig. "Fast 70.000 Wohnungen standen leer, und die damals neuen Plattenbauten aus den 1980ern wurden wieder abgerissen", sagt Rink. Ein Fehler, wie sich wenig später herausstellen sollte: Seit 2010 wächst die Bevölkerung massiv, in den vergangenen zehn Jahren zog es über 100.000 Menschen nach Leipzig. Vor allem junge Menschen und Studierende. Sie belebten die Stadt und nutzten brachliegende Freiräume.

Gentrifizierung wurde zum Thema in Vierteln, die früher vom Leerstand geprägt waren. Und Leipzig erhielt den Spitznamen "Hypezig". Denn das Einzige, das in der am schnellsten wachsenden Stadt Deutschlands noch schneller wächst als die Bevölkerung, sind die Mieten. Im Schnitt steigen sie jährlich um vier Prozent.

Hohe Mietbelastung

Lassa Emcken studiert Geografie und ist Sprecher der Konferenz sächsischer Studierendenschaften. Er sieht Leipzigs zentralen Standortfaktor – die niedrigen Mieten – bedroht: "Viele Studierende, die sich anderswo ein Studium nicht leisten können, kommen nach Leipzig." Ein Leben "auf kleinem Fuß" wäre lange Zeit möglich gewesen, auch durch solidarische Angebote wie Volxküchen und Kulturveranstaltungen auf Spendenbasis, sagt Emcken.

Derzeit geben Studierende in Leipzig durchschnittlich 278 Euro für ihre Miete aus. Das ist verglichen mit München, Hamburg oder Wien eher wenig. Aber: Im Bundesschnitt haben Studierende in Sachsen das geringste Einkommen, knapp 800 Euro im Monat. "Rein auf die Mieten zu schauen ist irreführend. Mit durchschnittlich 30 Prozent des Einkommens ist die Mietbelastung in Leipzig so hoch wie in München", sagt Stadtforscher Rink.

Für ihn steht fest: Bezahlbarer Wohnraum in Leipzig wird knapp. Dem schließt sich auch Juliane Nagel an. Sie ist Stadträtin der Linken im Stadtteil Connewitz, der in den 1990ern viele Studierende angezogen hatte. Mittlerweile hätten auch Investoren den Stadtteil entdeckt, doch die teuren Wohnungen stünden leer, kaum jemand könne sich die Miete leisten.

Rufe nach rechtlicher Regulierung

Angesichts der Preissteigerungen werden die Rufe nach rechtlicher Regulierung der Mieten lauter. Und auch Studierende versuchen, Lösungen zu finden. Zum Beispiel Anna Melón, die in Halle an der Saale, unweit von Leipzig, studiert. Sie wohnt in einem sogenannten Hausprojekt – um vier Euro Miete pro Quadratmeter. Der 2012 gekaufte und anschließend selbst renovierte Altbau im Leipziger Westen ist zu gleichen Teilen im Besitz der Bewohner und des Vereins Mietshäuser Syndikat. Hausprojekte agieren nach dem Motto: Wenn billiger Wohnraum knapp wird, muss man ihn selbst schaffen.

Für Melón ist das gemeinsame Wohnen ein politisches Projekt, mit allen Vor- und Nachteilen: "Wir teilen alle Lebensmittel, daher muss ich nur alle vier Wochen einkaufen gehen. Alle Entscheidungen im Haus werden kollektiv getroffen, was einerseits schön ist, andererseits auch viel Arbeit bedeutet."

Auch Max Hellriegel, gerade mit dem Studium fertig, und Philip Schwarz, Student der Erziehungswissenschaften, haben vor zwei Jahren ein Haus genossenschaftlich erworben. Es herrscht Baustellenflair, auf dem Gang liegen Zementsäcke, und die Fassade ist eingerüstet. "Das Haus vom Markt zu nehmen ist nur gelungen, weil sich zwei Altmieter gegen die Räumungspläne des Eigentümers gewehrt haben", erzählt Schwarz. Tausende Arbeitsstunden hätten sie bislang mit zahlreichen Helfern in die Renovierung gesteckt. Ende dieses Jahres wollen sie mit 30 Engagierten einziehen.

Eine Lösung für die Wohnraumproblematik sehen sie in ihrem Projekt aber nicht, sondern eher eine gelebte Utopie. "Die Attitüde, sich zu organisieren, zu bleiben und als Mietergemeinschaft nach Alternativen zu suchen, muss sich noch durchsetzen", sagt Hellriegel. Doch die Häuser mit fehlenden Vorhängen vor den Fenstern sind mittlerweile rar. Die Preise für unsanierte Altbauten haben sich seit 2014 fast verfünffacht.

Studierende auch schuld

Im Gentrifizierungsprozess sind Studierende aber nicht nur Opfer, sondern auch Täter: Einerseits tragen sie zur Aufwertung eines Viertels bei, andererseits bekommen sie steigende Mieten selbst zu spüren. Die Stadtforscherin Karin Wiest vom Leibniz-Institut für Länderkunde betont die Flexibilität der Studierenden: "Sie sind äußerst mobil. Die kurzen Mietverträge und häufigen Wohnungswechsel führen dann ungewollt zu Preissteigerungen, weil gerade bei Neuvermietungen der Preis erhöht wird."

Im Vergleich zu Senioren, Hartz-IV-Empfängern oder Familien mit niedrigen Einkommen seien WG-Bewohner zahlungskräftige Mieter, sagt Wiest. Auch Studierendenvertreter Emcken relativiert die Opferrolle: "Das Studium ist eine zeitlich begrenzte Phase, nach der meist eine hochqualifizierte, besser bezahlte Arbeit folgt." (David Tiefenthaler, 12.3.2020)