Schrittweise hin zu Strawinsky.

Ashley Taylor

Vieles Schöne hat etwas Ekliges an sich, in aller Coolness steckt unvermeidlich Kleinkariertheit, und in Gutem verbirgt sich gerne Destruktivität. Solche Hybride verleihen dem neuen Triple-Abend des Wiener Staatsballetts im Haus am Ring eine zeitgenössische Basis.

Den Auftakt übernimmt der in Wien arbeitende Ungar András Lukács (43) mit seinen 2017 uraufgeführten Movements to Stravinsky. Das Stück ist eine präzise Choreografie zu Teilen von Strawinskys Pulcinella und als hochästhetisches Spiel des modernen Balletts mit Zeichen und Mustern zu verstehen. Die von Lukács als Commedia-dell’arte-Zitate entworfenen Kostüme kommentieren den Tanz. Ihre schwarze Farbe passt zur Pulcinellafigur, denn "pullo" ist das altitalienische Wort für dunkel oder schwarz.

Dieser Kommentar und die Konstellationen der Figuren, sei es in ihrem Bemühen um perfektes Auftreten oder in der Art, wie sie sich immer wieder nach vorn ins Proszenium locken lassen, machen die Form zum Inhalt. Es geht um die ganz normale Camouflage: Wer gibt nicht gern die nach eigener Einschätzung bestmögliche Erscheinung ab? Die Schattenseiten solcher Bemühungen tauchen an unvermuteten Stellen auf.

Windhündische Anzugmänner

In diesem Fall erst bei den Folgestücken des Abends, Between Dogs andWolves des Schweden Pontus Lidberg und Nacho Duatos White Darkness. Lidberg (43), der das renommierte Dansk Danseteater in Kopenhagen leitet, führt in die Grauzone grenzwertiger Vergnügungen zwischen weißgekleideten Wilas – mythischen Wiedergängerinnen wie aus dem Ballett Giselle, die dem Volksglauben zufolge auch als Wölfe auftreten können – und windhündisch wirkenden Anzugmännern in einem Wald.

Den Choreografen interessiert dabei einerseits die Verschmelzung der beiden sinistren Typen zu einer Figur, die von Rebecca Horner verkörpert wird, und zum anderen eine Verquickung von Animationsfilm und Bühnentanz. Schattenspiele lassen das Geschehen wie einen Walpurgisnachttanz aussehen.

Stakkatohaft und lyrisch

Es liegt schließlich an Nacho Duato (63), der bis zum Vorjahr das Berliner Staatsballett geleitet hat, zum Abschluss des Programms einen ganz realen Abgrund zu öffnen. Sein Beitrag White Darkness wurde bereits 2001 in Madrid ans Licht der Bühne gebracht. Darin führt der Spanier mit starken Bildern vor, wie eine junge Frau in den Mahlstrom der Sucht gerät. Ein klischeebehaftetes Motiv. Doch Duato gelingt es, jegliche Tranigkeit zu vermeiden. Sein Tanz ist präzise, abwechselnd stakkatohaft und lyrisch, die Figuren sind scharf geschnitten. Fazit: Selbst das beste Koks ist ein kleinkarierter Wolf, der auch ganz coole Geißlein von innen her auffrisst. (Helmut Ploebst, 6.3.2020)