König Midas, hier rechts mit Eselsohren von Sandro Botticelli in seinem Gemälde "Die Verleumdung des Apelles" (1495) dargestellt.
Foto: Aiva/Archiv

Sein Reichtum war in der Welt der Antike legendär, in die griechische Mythologie ging er als jemand ein, der alles, was er berührte, in Gold verwandelte: Aber König Midas war auch wegen seiner Gier und seiner Dummheit berüchtigt. So soll ihm etwa Gott Apollo wegen einer Fehlentscheidung bei einem musikalischen Wettstreit Eselsohren verpasst haben.

Die schmachvolle Verunstaltung verbarg Midas unter seiner Mütze, um sie geheim zu halten. Doch über Umwege bekamen Schilf und Binsen an einem Fluss Wind davon und verbreiteten die Nachricht von Midas' langen Ohren in alle Welt. Die Anekdote zeigt übrigens auch, dass bereits das Altertum den noch heute verwendeten Ausdruck für eine allgemein bekannte Information kannte: die Binsenweisheit.

Doch Midas war nicht nur eine Sagenfigur. Die mythischen Erzählungen dürften auf zumindest einen historischen Herrscher zurückgehen, der in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung im heutigen Kleinasien das phrygische Reich von seiner Hauptstadt Gordion aus regierte. Vermutlich gab es sogar mehrere Könige dieses Namens – das geht aus griechischen und assyrischen Schriftquellen hervor.

Ein spannender archäologischer Fund in Anatolien verrät nun, welches Schicksal den legendären Midas einst ereilt haben dürfte. Mehr noch: Die Entdeckung verweist womöglich auf die Existenz eines bisher unbekannten antiken Reichs.

Im Inneren des Siedlungshügels Türkmen-Karahöyük liegt möglicherweise die Hauptstadt eines bisher unbekannten Reiches verborgen.
Foto: James Osborne

Antike Großstadt

Im vergangenen Jahr untersuchten Archäologen in der Zentraltürkei einen Siedlungshügel aus der Antike namens Türkmen-Karahöyük. Erste Untersuchungen und Funde hatten schon 2017 vermuten lassen, dass im Inneren des Hügels die Überreste einer Stadt verborgen liegen, deren Anfänge womöglich 6.500 Jahre zurückreichen. Weitere Grabungen brachten mittlerweile Keramikfragmente und Gebäudeteile ans Licht, die darauf schließen lassen, dass Türkmen-Karahöyük während der späten Bronzezeit eine Fläche von 1,25 Quadratkilometern bedeckte. Damit war sie bis etwa 600 vor unserer Zeitrechnung eine der größten vorhellenistischen Städte in ganz Anatolien. Welchem Reich die Metropole angehörte und wer hier während der Bronze- und Eisenzeit regierte, war bisher allerdings unklar.

Die Konya-Ebene, in der sich der Ausgrabungsort befindet, ist reich an insbesondere neolithischen und bronzezeitlichen Fundstätten – und doch warten dort unter der Erde immer noch zahllose Schätze auf ihre Entdeckung. Manchmal ist es aber auch ein Gewässer, in dem die Forscher fündig werden: Ein ortsansässiger Bauer wies Mitglieder des Türkmen-Karahöyük-Grabungsteams auf einen kürzlich ausgehobenen Wassergraben hin, in dem ein großer seltsamer Stein mit einer unbekannten Inschrift aufgetaucht sein soll.

Die Stele erzählt eine Geschichte von Sieg, Niederlage und königlichen Gefangenen.
Foto: James Osborne

Uralter Stein mit luwischen Hieroglyphen

James Osborne von der University of Chicago nahm die Stelle näher in Augenschein – und tatsächlich: "Wir konnten sehen, dass dort ein Stein herausragte, also sprangen wir in den Kanal, wo uns das Wasser bis zur Taille reichte", berichtet der Archäologe. "Sofort war klar, dass der Brocken uralt sein musste. Wir erkannten sogar die Schrift: Der Text war in Luwisch verfasst, einer Sprache, die in der Bronze- und Eisenzeit in dieser Region verwendet wurde." Aufgrund charakteristischer stilistischer Merkmale datierten die Wissenschafter den Stein auf das späte achte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung.

Nach der Bergung der steinernen Stele machten sich die Archäologen an die Übersetzung der Hieroglyphen-Inschrift. Nach und nach offenbarte sich dabei die Geschichte über den Ausgang eines Krieges, der vor über 2.700 Jahren in dieser Gegend stattgefunden hatte. Der Unterlegene dieses bewaffneten Konflikts war demnach niemand Geringerer als König Midas, dessen phrygisches Reich nicht weit entfernt von Türkmen-Karahöyükin lag. Welches Schicksal Midas nach den Gefechten ereilt hat, war auch auf der Stele festgehalten worden: "Die Sturmgötter haben die [gegnerischen] Könige seiner Majestät ausgeliefert", heißt es dort. Die Forscher schließen daraus, dass Midas von den feindlichen Streitkräften gefangengenommen wurde.

Beispiel für luwische Hieroglyphen. Der Fund stammt von einer nahe gelegenen Ausgrabungsstätte.
Foto: UChicago/Oriental Institute

Mysteriöser König Hartapu

In Auftrag gegeben wurde die Siegesbotschaft von einem König Hartapu. Dieser Name und der seines Vaters Mursili tauchten zwar auf einer Jahre zuvor entdeckten Inschrift auf einer Felswand in 15 Kilometern Entfernung auf. Wer dieser Hartapu war und über welches Reich er regiert hatte, war den Wissenschaftern bisher jedoch völlig schleierhaft. Dessen Herrschaftsgebiet muss freilich ein bedeutender Machtfaktor in der Region gewesen sein: Immerhin waren Hartapus Truppen dazu in der Lage gewesen, dem mächtigen Phrygien erfolgreich die Stirn zu bieten.

Der Fund der Stele deutet ferner darauf hin, dass die Stadt, deren Überreste unter dem riesigen Hügel von Türkmen-Karahöyük verborgen liegen, Hartapus Hauptstadt gewesen sein könnte. "Wir hatten bislang keine Ahnung von diesem Königreich", sagt Osborne. "Auf einmal ergibt sich ein völlig neues Bild über Kleinasiens Eisenzeit." Vermutlich war dieses Königreich eines von drei großen Reichen im südlichen Zentralanatolien während des achten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung, meinen Archäologen des Konya Regional Archaeological Survey Project. "Hartapu und sein Vater herrschten wahrscheinlich über ein Gebiet, das die heutigen Provinzen Konya und Karaman umfasste", so die Wissenschafter.

Paläste, Denkmäler, Häuser

Das Team um Osborne hat nun eine Menge Grabungsarbeit vor sich, um mehr über dieses vergessene Reich und seine Hauptstadt ans Licht zu bringen – man rechnet jedenfalls mit bedeutenden Funden. "In diesem Hügel dürften sich Paläste, Denkmäler und zahlreiche Häuser befinden", ist der Archäologe überzeugt. "Die Stele war ein wunderbarer, glücklicher Fund – aber sie ist nur der Anfang." (tberg, 9.3.2020)