Die beiden Ex-Ministerinnen diskutierten intensiv und fanden bei vielen Themen zusammen.
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Es ist nicht das erste Gespräch zwischen Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) und Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), aber der Ort hat Premiere: In der Oldtimer-Raststation Guntramsdorf, nicht ganz auf halbem Weg zwischen Wien und Graz, diskutierten die Ex-Ministerinnen über Gewaltschutz, Feministinnen und Gesellschaftsbilder.

STANDARD: Steht Österreich bei der Frauenpolitik auf der Bremse?

Heinisch-Hosek: Wenn ich die vergangenen zehn Jahre hernehme, dann ist durchaus einiges weitergegangen. Für die Lohngerechtigkeit war es etwa ein großer Fortschritt, dass Unternehmen Einkommensberichte vorlegen müssen. Dann auch, dass sexuelle Belästigung, das "Grapschen" strafrechtlich relevant geworden ist. Und etwas, an dem wir beide beteiligt waren: der ständige Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen. Dadurch hat sich die Einkommensschere zwar nicht geschlossen, aber es ist besser geworden.

Bogner-Strauß: Da kann ich in allen Dingen zustimmen. In den vergangenen zehn Jahren haben wir 70.000 Kinderbetreuungsplätze geschaffen. Gleichzeitig zeigen Studien aber, dass dieser Ausbau nicht dazu geführt hat, das tradierte Gesellschaftsbild zu ändern – nämlich dass sich die Frau um die Kinder kümmert. Wir müssen mehr Bewusstsein für Partnerschaftlichkeit schaffen.

STANDARD: Wie geht das?

Bogner-Strauß: Wir haben Gott sei Dank schon viele Instrumente. Etwa den Papamonat, es gibt den Rechtsanspruch auf Väterkarenz und auf Elternteilzeit. Dennoch muss man sich ständig anhören, dass Väter wegen des Gehaltsentgangs nicht in Karenz gehen wollen. Dabei wissen wir, dass es vor dem ersten Kind kaum eine Lohnschere gibt.

Heinisch-Hosek: Je ländlicher die Region, desto schwieriger ist es für Frauen, mobil zu sein. Das würde sich durch Kinderbetreuung mit entsprechenden Öffnungszeiten ändern. Wir sind für eine gerechtere Verteilung der Familienarbeit. Und schlagen dafür ein Modell mit verkürzter Vollzeit für beide Elternteile vor.

Juliane Bogner-Strauß über den Ausbau von Kinderbetreuung: "Kinderbetreuungsplätze haben nicht dazugeführt, das tradierte Gesellschaftsbild zu ändern."
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STANDARD: Seit einigen Jahren häufen sich in Österreich Morde an Frauen – meist begangen durch Partner oder Ex-Partner. Wie kann man solche Taten verhindern?

Heinisch-Hosek: Wir wissen, dass Trennungssituationen für Frauen, wenn vielleicht auch Alkohol oder Drogen im Spiel sind, die gefährlichste Zeit sind. Man bräuchte ein Sofortmaßnahmepaket für Gewaltschutz von vier Millionen Euro, um Frauenhäuser, Interventionsstellen und Frauenberatungen zu unterstützen. Da gibt es heute zum Teil Wartezeiten von drei bis vier Wochen für eine Beratung, weil sie einfach zu wenig Geld haben. Wenn in der Zeit ein gewalttätiger Mann weggewiesen wird und vielleicht zurückkommt – wer weiß, was dann passiert.

Bogner-Strauß: Mit dem Gewaltschutzpaket haben wir bereits wichtige Schritte gesetzt. Mein Wunsch wäre, dass wir Polizistinnen und Polizisten sowie Beratungsstellen noch besser schulen und ausstatten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Frau aus dem steirischen Großwilfersdorf, die im Februar ermordet wurde, hat in panischer Angst gelebt, aber die Polizei konnte nicht tätig werden, weil sie nichts gegen den Ex-Partner, den mutmaßlichen Täter, in der Hand hatte.

Heinisch-Hosek: Es braucht dringend einen besseren Datenaustausch. Die Beratungsstellen dürfen Informationen oft gar nicht an die Polizei weitergeben. Die Fraueneinrichtungen fragen auch, warum man über Mehrfachgefährder nicht U-Haft verhängen kann. Vielleicht wären dann manche Morde nicht passiert.

Bogner-Strauß: Ein weiteres Thema sind Vergewaltigungen, die immer mehr werden. Und die Dunkelziffer ist noch viel höher. Leider kommt es zu sehr wenigen Verurteilungen. Wir müssen alle Frauen, die vergewaltigt wurden, ermutigen, Anzeige zu erstatten. Es kommt ja oft zu multiplen Vergewaltigungen. Wir müssen Frauen außerdem darauf aufmerksam machen, dass es eine Strafprozessbegleitung gibt, damit es auch wirklich zur Verurteilung kommt.

Heinisch-Hosek: Ich begrüße die geplante Aus- und Weiterbildung im Bereich sexueller Gewalt für die Staatsanwaltschaft und Richterschaft. Denn wenn Staatsanwälte Verfahren oft deswegen niederlegen, weil Aussage gegen Aussage steht und es im Zweifel für den Angeklagten ausgeht, kommt es nicht einmal zu einem Prozess.

Bogner-Strauß: Und sehr viele Verurteilungen fallen dann dem zum Opfer, dass man keine Beweise hat. Wir brauchen in Krankenhäusern multidisziplinäre Teams, die Beweismaterial sammeln. Denn es nutzt nichts, wenn ich nur ein Bild von einem zertrümmerten Kiefer habe. Auch wenn sich die Frau nicht sofort dazu entscheidet, anzuzeigen, können diese Daten später genutzt werden.

Gabriele Heinisch-Hosek zu Gewalt an Frauen: "Wir wissen, dass Trennungssituationen für Frauen die gefährlichste Zeit sind."
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STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren – auch durch MeToo – mehr Frauen sexuelle Belästigung offen ansprechen?

Heinisch-Hosek: MeToo war wichtig und gut. Auch wenn man nach Jahrzehnten erst den Mut hat, etwas zu sagen, und auch wenn man das damals vielleicht gar nicht so gesehen hat: Das muss ich mir nicht gefallen lassen – dieses Bewusstsein ist größer geworden.

Bogner-Strauß: Ich finde auch, dass MeToo wichtig war. Es ist großartig, wenn sich Frauen – aber auch Männer! – zusammenschließen, um etwas aufzeigen, was in unserer Gesellschaft nichts verloren hat. Aber wir hatten ja auch im Parlament so den einen oder anderen Ausreißer, oder auch Landesparteiobleute bei dir ...

Heinisch-Hosek: Ja ja, keine Frage.

Bogner-Strauß: Mich stört sehr, dass diese Personen dann trotzdem den Schutz der eigenen Leute genießen. Vor allem, wenn es sich um eine Person öffentlichen Interesses handelt. Mich ärgert auch, dass Feminismus immer nur der einen oder anderen Partei zugeschrieben wird. Weil entweder bin ich jetzt dafür, die Frauen zu stärken und zu fordern ...

Heinisch-Hosek: Aber dann bin ich ja eine Feministin!

Bogner-Strauß: Ich habe immer gesagt, dass ich eine Feministin bin.

Heinisch-Hosek: Aber die Frauenministerin Susanne Raab nicht. Und das finde ich schade, Feministin zu sein ist ja nichts Böses.

Bogner-Strauß: Wichtig ist, dass sie es vertritt. Ich finde, man sollte Menschen an ihren Taten messen. Susanne Raab ist eine großartige Frauenministerin.

STANDARD: Empfinden Sie einen Backlash bei Frauenrechten?

Heinisch-Hosek: Ja. Ich habe insgesamt das Gefühl, dass es nicht unbedingt fortschrittlicher geworden ist, so wie wir heute miteinander umgehen. Und da sehe ich auch Frauenrechte eingeschränkter, als sie schon einmal waren.

Bogner-Strauß: Ich merke es bei den jungen Leuten. Das ist teilweise irritierend, wie sie wieder denken. Dieses "stay hungry" ist ein bisschen verlorengegangen. Viele haben finanziell eine gute Basis, ich sehe da Verlustängste.

Heinisch-Hosek: Diese finanziell gut ausgestattete Jugend ist die Generation der Erben.

Bogner-Strauß: Ja, danke, du hast es auf den Punkt gebracht. (Davina Brunnbauer, 6.3.2020)