Wer sich heuer brandneue 2020er-Topmodelle wie das Rapcon Pmax der Harder Bike-Schmiede Simplon gönnen will, muss ein wenig Geduld mitbringen.

Foto: Simplon

Innsbruck – Die chinesische Provinz Guangdong ist einer der wichtigsten Produktionsstandorte der Fahrrad-Zulieferindustrie. Und sie ist neben Hubei eine der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Regionen des Riesenreichs. Wochenlang stand die Produktion still, was sich bald auf dem europäischen Markt bemerkbar machen wird. Bei der Vorarlberger Bike-Schmiede Simplon hat man Händler und Kunden bereits darauf vorbereitet, dass es im Frühsommer zu Wartezeiten von bis zu zwei Monaten kommen kann, was neue Modelle betrifft.

"Es geht aber allen so, daher gibt es auch viel Verständnis dafür", erklärt Marketingleiter Andreas Rauter. Mittlerweile hätten zwar die meisten Lieferanten in China die Produktion wiederaufgenommen, und auch in Hard selbst läuft der Radlbau auf Hochtouren, doch es sei mit Staus zu rechnen – sowohl was die Fertigung in Fernost als auch was den Transport angeht. "Die Probleme vor Ort sind vielschichtig. Wir haben zum Beispiel einen Zulieferer, der in Vietnam produziert, doch die meisten seiner Arbeiter kommen aus China", sagt Rauter.

Langjährige gute Beziehungen zu den Produzenten in China würden sich nun als Vorteil erweisen. Die Bike-Saison 2020 werde trotz des Coronavirus wie gewohnt stattfinden, ist Rauter überzeugt. Man habe in der Radbranche immer wieder mit Widrigkeiten zu kämpfen. Der kalte und verregnete Mai des Vorjahres sei aus wirtschaftlicher Sicht mindestens so problematisch gewesen, was die Verkaufszahlen angeht: "Wenn das Wetter nicht passt, kühlen auch die Wünsche nach einem neuen Rad rascher ab."

Alles im orangen Bereich in Mattighofen

In Mattighofen in Oberösterreich, wo mit KTM die größte Fahrradfabrik des Landes steht, richtet sich der sorgenvolle Blick derzeit eher gen Italien denn gen China. "Wir sind froh über jeden Lkw, der durchkommt", erklärt Geschäftsführer Stefan Limbrunner. Denn die Marke mit dem markanten Orange bezieht wichtige Komponenten, die man zum Bau der Räder benötigt, aus dem südlichen Nachbarland. "Insgesamt kommen wir aber mit einem blauen Auge davon", sagt Limbrunner.

Die Auftragsbücher bei KTM sind prallvoll, die Nachfrage ist enorm, gerade was E-Bikes angeht. Die elektrisch betriebenen Bikes machen mittlerweile rund 70 Prozent des Umsatzes der Mattighofener aus. Insgesamt werden heuer 270.000 KTM-Fahrräder (davon 160.000 E-Bikes) die Werkshallen verlassen, Corona hin oder her. "Wir sind zwar auch nervös, aber wir hatten Glück. Denn wir haben noch vor dem chinesischen Neujahr und damit vor den Fabriksschließungen in Asien die großen Lieferungen erhalten", erklärt Limbrunner.

Um den Nachschub für die Produktion in Oberösterreich zu garantieren, setzt man beim Transport der in China gefertigten Komponenten auf den Zug statt wie bisher aufs Schiff. Das koste zwar etwas mehr, sei aber deutlich schneller. Ganz dringende Waren wurden ausnahmsweise sogar als Luftfracht bestellt. "Wobei wir das normalerweise nicht tun, da es unserem Image als E-Bike-Produzent widerspricht", erklärt Limbrunner die Notmaßnahme.

Den Lieferengpass für Nachdenkpausen nutzen

Auch in Deutschlands hohem Norden, bei Stevens Bikes in Hamburg, ist man von chinesischen Zulieferern abhängig, wie Brandmanager Volker Dohrmann sagt: "Wir kriegen unsere kompletten Rahmen aus China. Wegen des Coronavirus stand die Produktion bei unseren Partnern zwischen drei und sechs Wochen still." Mittlerweile seien zwar alle wieder mehr oder weniger hochgefahren, doch für die anlaufende Saison rechnet Dohrmann mit Lieferverzögerungen von zwei bis vier Wochen für seine Modelle.

Bis Ende März seien zwar noch genug Materialreserven in Hamburg lagernd, und auch die Händler hätten noch Warenbestände, doch danach werde es knapp. "Die Situation ist nicht total dramatisch, aber man kommt schon ins Grübeln", sagt der erfahrene Manager. So habe er sich angesichts der Corona-Krise in Deutschland und Europa umgehört, ob und wo es Fabriken gäbe, die notfalls als Zulieferer einspringen könnten. Mit ernüchterndem Ergebnis: "In Deutschland kriegt man überhaupt keine Alu-Rahmen mehr in großer Zahl."

Renaissance des Rahmenbaus in Europa?

Auch KTM-Chef Limbrunner sieht die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern kritisch. Und er berichtet von drei europäischen "Bike Valleys", die sich derzeit bilden und die künftig eine Alternative für die Hersteller bieten könnten. Grund dafür ist, dass die Rahmenpreise in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind, was die Produktion in Europa wieder lukrativ machen könnte. Aktuell, so Limbrunner, entstünden diese drei neuen Produktionsstandorte in Rumänien, Polen sowie Portugal.

Davon, dass in Krisensituationen bisweilen auch eine Portion Glück dazugehört, berichtet Jochen Haar, seines Zeichen Head of Bike Marketing bei Scott. Mit einer jährlichen Produktion von mehr als 700.000 Fahrrädern weltweit sind die Eidgenossen einer der großen Player. Wobei neben der Marke Scott mittlerweile zehn Firmen, darunter bekannte Namen wie Bergamont oder Avanti, zum Konzern gehören. "Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir heuer sehr früh dran waren mit unseren Bestellungen, sodass alle wichtigen Lieferungen noch rechtzeitig vor dem Ausbruch der Krankheit in China in Europa ankamen", erklärt Haar.

Schweizer Glückskinder im Olympiajahr

Darüber hinaus hat Scott für die Olympia-Saison 2020 mehr Räder bestellt als sonst. "Etwa von unserem extrem erfolgreichen Modell Spark, das Nino Schurter fährt, wurden mehr vorbestellt, die nun schon im Zentrallager in Belgien sind", sagt Haar. Angesichts der momentanen Verwirrungen ein echter Glücksfall: "Die Nachrichtenlage ändert sich praktisch täglich, und derzeit sind vor allem die Lieferketten das Problem." Schon ein einzelner Schalthebel, der nicht zugestellt wird, kann zum Verhängnis werden.

Insgesamt, so sind sich alle angefragten Hersteller einig, wird die Bike-Saison 2020 ohne ganz große Ausfälle stattfinden. Wer allerdings ein neues 2020er-Modell kaufen will, sollte sich je nach Marke auf Wartezeiten einstellen. Und vor allem bei den Komponenten könnten sich dahingehend noch Lieferengpässe ergeben. Doch auch beim Biken gilt: Vorfreude ist die schönste Freude. (Steffen Arora, 6.3.2020)