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Doris Knecht hat Marie Schwarz in die Gegenwart gebeamt: "Da stand ein Name drin: Marie Chantal Schwarz. Und dein Geburtsdatum."

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Denk dir, du bist dreizehn. Du bist dreizehn Jahre alt, dein Name ist Marie, dein blondiertes und rosa gefärbtes Haar wächst im Ansatz dunkel nach, dein Leben ist scheiße, und dein Arm tut dir weh, links, über dem Ellenbogen, das wird einen blauen Fleck geben.

Du hattest in der Früh Streit mit deiner Mutter, du hast gesagt, du lässt dir jetzt ein Nasen-Piercing machen, zusätzlich zu den drei Löchern links und zwei rechts, die du dir mit einer Sicherheitsnadel gestochen hast. Beim ersten ist die Mutter noch ausgeflippt, hat dir eine runtergehauen, was sie nicht oft tut, hat was geschrien von Entzündung, Blutvergiftung und dass du das alles nur machst, um sie zu ärgern, was ein bisschen gestimmt hat. Es hat sich wirklich ein wenig entzündet, aber nicht sehr stark.

Beim nächsten Mal hast du die Nadel vorher mit dem Feuerzeug und dein Ohr mit Wodka desinfiziert und hast deiner Mutter das ganz ruhig gesagt. Sie hätte dir trotzdem eine runterhauen können, sie tat es nicht, sie war an diesem Tag selbst dazu zu erschöpft, sie hat dich nur mit diesem Blick angesehen, in dem du lesen konntest, dass du die größte Enttäuschung ihres Lebens bist. Dass du ihr jetzt auch noch in den Rücken fällst, auch du, ihre einzige Tochter.

Einfach kaputt

Das mit dem Piercing jetzt hast du nicht mal ernst gemeint, heute wolltest du sie wirklich nur provozieren. Du warst schon am Weg raus, durch den finsteren Flur, in dem die Glühbirne seit Wochen kaputt ist, ohne dass deine Mutter sie auswechselt, ohne dass sie deinem Bruder sagt, er solle die Birne auswechseln, die ist einfach kaputt, wie hier alles kaputtgeht, ohne dass irgendwer es repariert, so empfindest du das jedenfalls, es nervt dich jeden Morgen, wenn du im Flur deine Sneakers suchst und das Licht einschalten willst, und es funktioniert nicht, und es ist die Schuld deiner Mutter, dass ihr Leben und nichts hier ordentlich funktioniert.

Du könntest die Glühbirne austauschen, es wäre leicht, aber du findest, es ist nicht deine Aufgabe, und du willst sie dafür bestrafen, dass nicht sie sich kümmert, und deshalb hast du das mit dem Piercing gesagt, als sie aus ihrem Schlafzimmer kam, mit deinem greinenden kleinen Bruder auf dem Arm. Er ist süß. Also, wenn er nicht schreit.

Es hat jedenfalls funktioniert, es ist grundsätzlich nicht schwer, die Mutter zu provozieren, vor allem nicht in der Früh, wenn sie unausgeschlafen ist und verkatert. Sie sagt dir ständig, dass sie nicht will, dass du so endest wie sie, und du weißt ganz sicher, dass dir das nicht passieren wird, aber du weißt gerade nicht, wie du es je hier rausschaffen sollst.

Du hast es ertrotzt, dass du aufs Gymnasium gehst, obwohl sie dich lieber in der Mittelschule und dann in einer Lehre gehabt hätte, damit du ihr nicht mehr auf der Tasche liegst. Aber deine Lehrerin hat gesagt, läuft nicht, nicht mit deinem Talent und deinen Noten. Die Lehrerin hat ihr erklärt, dass ein Kind wie du aufs Gymnasium gehört.

Ein anderes Kind

Sie hat geflucht und dann nachgegeben, und das hörst du jetzt ständig, dass sie dir etwas ermöglicht, worauf sie selbst keine Chance hatte, und wie gut du es hast. Sie hat sich etwas anderes von dir erwartet, du spürst es jede Minute, sie wünschte sich ein anderes Kind, ein besseres, eines, auf das sie sich mehr verlassen kann, das sie mehr unterstützt, so wie dein älterer Bruder, der achtzehn ist und schon lange arbeitet.

Sie findet, dass du dich wenigstens mehr um deinen kleinen Bruder kümmern könntest, obwohl du schon mehrmals die Woche abends für ihn verantwortlich bist, wenn sie arbeitet. Sie tut dir ja leid, aber du hast das hier nicht verbockt, das war sie.

Also hast du dich einfach weggedreht in der Früh, aber sie hat noch die Verachtung in deinem Blick erkannt, und sie hat dich grob am Arm gepackt und dir gesagt, dass du dich noch anschauen wirst, wenn du nicht deine Attitüde änderst, tatsächlich, sie hat Attitüde gesagt, und du hast dich gefragt, woher sie dieses Wort kennt, und später, als du schon in der U-Bahn sitzt, wird dir klar, dass sie es wahrscheinlich aus Germany’s Next Topmodel hat, und du musst laut loslachen, und Kira, die neben dir mit irgendeinem Kerl whatsappt, schaut dich an, als hättest du sie nicht mehr alle.

Alles okay bei dir, Marie?

Jaja, mir ist nur was eingefallen.

Was?

Ach nichts.

Sag, schon, was?!

Trotzdem ist die Schule praktisch das Einzige, worüber ihr nicht streitet, deine Mutter und du. Der Unterricht fällt dir leicht, alle Fächer. Du musst nicht wirklich lernen, du siehst dir Dinge an, und sie bleiben in deinem Kopf haften, irgendwie logisch an Orten geordnet, an denen du sie leicht wiederfindest.

Du bist eine der zwei Besten in der Klasse, du gehst gern in die Schule, wo alles ordentlich ist, verständlich, übersichtlich und verlässlich. Keine unangenehmen Überraschungen, keine schlechten Nachrichten, in der Schule fühlst du dich sicher und beschützt. Sagst du Kira nicht, aber sie spürt es. Ihr versucht, Freundinnen zu bleiben, obwohl eure Interessen sich immer mehr unterscheiden.

Du hast auch Freunde in der Schule, Sarah, Zaynep, Mena, Milo, Aziz und einige der Profs, vor allem deine Klassenlehrerin, die Glück. Sie heißt wirklich so. Cornelia Glück. Sie hat ganz krause, rote Haare, sie unterrichtet Mathematik, die meisten mögen sie nicht, aber du kommst gut zurecht mit ihr.

Mach’s auf, sagte die Glück

Du bist vierzehn Jahre alt, du heißt Marie, deine Haare sind wieder braun, Aziz hat dich letzte Woche geküsst, aber du hast ihn nicht so richtig zurückgeküsst, du weißt nicht so recht. Er macht dir deswegen keinen Stress, nicht wie Lukas letztes Jahr.

Du hast jetzt einen Büchereiausweis und liest viel, was deine Mutter verrückt macht, dabei redet sie ohnehin nicht wirklich mit dir. Du gehst noch immer gern in die Schule. Du hast immer noch gute Noten. Heute hat dich die Glück nach der Mathestunde zur Seite genommen und dir ein Kuvert in die Hand gegeben.

Mach’s auf, sagte die Glück.

Du hast sie angesehen und es aufgemacht. Es war ein kleines Heft in dem Kuvert, ein Sparbuch.

Schlag’s auf, sagte die Glück.

Du hast es aufgeschlagen, und da stand dein Name drin: Marie Chantal Schwarz. Und dein Geburtsdatum. Und auf der nächsten Seite stand ein Betrag: 500 Euro.

Du hast die Glück ungläubig angesehen, aber sie hat dir gesagt, dass es dein Sparbuch ist, dass du es gewonnen hast, mit diesem Guthaben darauf.

Wie, gewonnen?

Die Glück hat gesagt, es sei wie so eine Art Mini-Stipendium, es werde zum ersten Mal vergeben für besondere schulische Leistungen, an ausgewählte Schülerinnen, und sie habe dich vorgeschlagen. Heute sei der Bescheid gekommen, die Wahl sei auf dich gefallen, du seist die erste Stipendiatin.

Was, wirklich?

Ja, wirklich, schau nicht so, Gratulation!

Das Sparbuch laute auf deinen Namen, nur du kannst das Geld beheben, niemand sonst. Es sei nur so, dass du auf das Geld nicht vor deinem 18. Geburtstag zugreifen kannst, dann aber mit Zinsen.

Aha, okay. Super. Danke!

Die Glück hat gesagt, dass du dir das wirklich verdient hast.

Danke. Mhm. Toll. Danke.

Die Glück hat wohl die Besorgnis in deinem Gesicht gesehen, denn bevor du "aber" sagen kannst, sagt sie, dass deine Mutter nichts von dem Geld zu erfahren braucht, dass nur du davon wissen musst, sie und die Schule. Sie bietet dir an, das Sparbuch sicher für dich zu verwahren. Bis du achtzehn bist. Deine Mutter braucht es nicht zu wissen, niemand muss es erfahren.

Sie sagt, du bekommst jedes Jahr einen Bankauszug, damit du weißt, wie viel mehr es geworden ist. Wird nicht viel mehr sein, sagt die Glück, aber trotzdem.

Ach ja, sagt die Glück, du kannst auch was einzahlen. Du grinst. Sie grinst auch. Sie weiß, dass das nicht passieren wird, nicht in nächster Zeit.

Wo hatte sie das Geld her?

Du bist vierzehn Jahre alt, du heißt Marie Chantal Schwarz, und als du an diesem Tag mit der U-Bahn nach Hause fährst, bist du nicht mehr ein Nichts, das nichts hat. Du besitzt jetzt etwas, ein Sparbuch, in dem dein Name steht, und das Geld auf diesem Sparbuch gehört dir, nur dir ganz allein.

Du hast etwas, du hast ein Geheimnis, und irgendwie kann dir deine Mutter jetzt nichts mehr. Und irgendwie tut sie dir heute auch leid, und daheim räumst du die Spülmaschine aus, bevor die Mutter mit dem kleinen Bruder heimkommt, und sie bemerkt es gar nicht richtig.

Ein guter Geburtstag

Denk dir, du bist fünfzehn. Fünfzehn Jahre alt, heute hast du Geburtstag, du hast sogar ein bisschen gefeiert, in der Schule, Sarah, Mena und Aziz haben einen Schokokuchen mit grünem Zuckerguss gebacken und mit krakeliger rosa Zuckerschrift "Happy B-Day Bitch" draufgeschrieben, du hast dich wirklich gefreut.

Es ist ein guter Geburtstag, er fing schon gut an, denn deine Mutter hat dir die weißen Nikes gekauft, die du dir gewünscht hast, und, soweit du es beurteilen kannst, sind es diesmal keine gefälschten aus China, sondern tatsächlich echte, sie waren in einem Karton, und der sah komplett original aus.

Du fragst dich, wo sie das Geld dafür herhatte, und es macht dir ein bisschen Sorgen. Sie war fröhlicher als sonst in den letzten Wochen, sie hat einen neuen Kerl, Christopher, sie hat ihn kürzlich mitgebracht. Er war höflich zu dir, distanziert, und er sah nicht wie ein Arschloch aus, aber du weißt längst, dass das nichts heißt.

Irgendwann wurde noch jeder, den sie mitbrachte, zum Arschloch. Kerle, die betrunken in der Wohnung rumsaßen, Bier tranken und rauchten, bis die Mutter sie irgendwann rausschmiss. Der hier sieht okay aus, aber wie gesagt. Heute hat sie dir sogar Frühstück gemacht, auf deinem Teller stand ein kleiner Milka-Kuchen mit einer Kerze.

Ist alles normal?

Dein Vater hat’s wie immer vergessen, er wird dich wahrscheinlich in einer Woche oder so anrufen, weil er über irgendein Datum stolpert, und dabei fällt ihm ein, dass er eine Tochter hat, und er wird dir ein nachträgliches Geschenk versprechen, das du nie bekommen wirst. Noch wahrscheinlicher wirst du gar nichts von ihm hören.

Die Mutter ist zu fröhlich. Sie ist schon eine Zeitlang komisch drauf, zu euphorisch, dann heult sie wieder, dann ist sie wieder voll happy, irgendwas stimmt nicht, du fragst dich, ob sie vielleicht wieder schwanger ist, bitte, lieber Gott: nein.

Alles okay mit dir, Mama?

Ja, was soll sein?

Ist alles normal?

Was nervst du, was soll nicht normal sein?

Du hast es Kira erzählt, sie sagte, tu ihr doch die Pille danach in den Kaffee, und hat scheppernd gelacht. Du wünschst dir, du hättest einen Vater, dem du das erzählen oder zu dem du ziehen könntest, aber soweit du weißt, hat dein Vater derzeit nicht mal eine eigene Wohnung und wohnt bei der Frau, mit der er seit ein paar Monaten zusammen ist.

Du magst ihn ohnehin nicht besonders, er ist irgendein Bekannter, mit dem du zufällig verwandt bist, der sich nicht für dich verantwortlich fühlt und nicht für dich zahlt, was deiner Mutter Stress macht, was dir Stress macht.

Obwohl du weniger Stress hast, seit du weißt, dass du dieses Sparbuch hast. 500 Euro, vielleicht schon 502. Es sagt dir: Wenn du endlich hier rauskommst, hast du was. Wenn du mit achtzehn hier verschwindest, dann stehst du nicht im Leeren. Und das gibt dir eine Sicherheit wie wenig anderes zuvor in deinem Leben.

Niemand kann es wegnehmen

Du bist sechzehn, stell dir vor. Du bist Marie, und du bist sechzehn, und du hast jetzt kürzere Haare mit Sidecuts links und rechts, und die Leute fangen an, dich zu fragen, was du später machen willst. Wenn jemand aus deiner Nachbarschaft oder deiner Familie fragt, ist es etwas mit Arbeiten. Ist es jemand aus der Schule, sagst du, dass du studieren willst.

Seit du dieses Sparbuch hast, ist etwas mit dir passiert. Zum ersten Mal in deinem Leben gehört dir etwas, das über deine Kleidung und deine Schulsachen hinausgeht. Etwas, das dir niemand wegnehmen kann, anders als das Netbook, das deine Mutter dir für die Schule gekauft und nach zwei Monaten auf Willhaben wieder verkauft hat. Es ging sich doch nicht aus.

Ein Frauenleben in sieben Geschichten: Marie Schwarz war Sparkassenkundin Nummer eins und ein Symbol für eine neue Frauengeneration. Aus ihrem Leben kennen wir nur eines mit Sicherheit: die Sparbuchein- und -auszahlungen. Sieben Schriftstellerinnen (Kaiser, Travnicek, Reitzer, Rossmann, Klemm, Mischkulnig, Knecht, von links oben) haben sich nun auf ihre Spur begeben.
Fotos: Heribert Corn (3), Regine Hendrich, APA, Andy Urban, Jutta Fischel

Die Waschmaschine ging kaputt, und sie hatte wie immer keinen Polster, war schon wieder im Minus, die Miete hatte schon alles aufgefressen. Du weißt, wie sie sich dafür hasste, dass sie dir das Netbook wieder wegnehmen musste. Du hast geheult, und sie war frustriert und wütend, auf sich, auf ihre Eltern, die ihr nichts hinterließen, auf deinen Vater, der keine Alimente zahlt.

Ich hätte ihn heiraten sollen, den Dreckskerl, dann könnte ich ihn jetzt pfänden lassen: Dinge, die sie sagte, wenn sie getrunken hatte. Obwohl jeder weiß, dass es beim Vater nichts zu pfänden gibt. Im Fernsehen sieht sie sich an ihren freien Tagen manchmal diese Hochzeitssendungen an, lästert über die Bräute und ihre Mütter und Schwestern und lacht sich tot über die sackhässlichen Kleider, die sie anprobieren.

Immer höflich

Wenn sie sich fertig totgelacht hat, wird sie traurig, vom Trinken und weil sie in Wirklichkeit die Bräute und ihre Familien beneidet, sie weint, und sie trinkt, und sie ruft in der Nacht Leute an, Freundinnen und Kerle, mit denen sie was hatte, deinen Vater wahrscheinlich auch, sie redet viel und laut, dazwischen weint sie, und manchmal brüllt sie dann auch, du weißt nicht, mit wem, du hältst dich fern, bleibst hinter Türen.

Es gelingt dir nicht immer, dann kriegst du es ab, all ihren Frust, all das Leben, das sie nicht hat, und all den Scheiß, den sie hat. Manchmal tut sie dir leid, aber meistens verachtest du sie nur. Manchmal klopfen die Nachbarn an die Wände, erst letzten Monat hat wieder die Polizei geklingelt. Sie sind immer höflich.

Sie fragen, wie viele Personen in der Wohnung sind. Sie bitten, dass sie her einkommen dürfen, die Mutter pfaucht und schimpft auf die elende Petze von nebenan und lässt sie dann rein. Auch letztes Mal gingen sie durch alle Zimmer, eine freundliche, junge Polizistin ging mit dir in dein Zimmer, sah die Ordnung dort, die Schulsachen auf dem Tisch, forschte mit ihren Augen in deinem Gesicht, an deinen nackten Armen, fragte ein paar Sachen und ob alles okay sei. Ja, es war okay.

Du sagst immer, dass alles okay ist, dass sie nur einen schlechten Tag hat, dass sie sonst liebevoll und fürsorglich ist. Und das stimmt eigentlich auch. Sie schlägt dich fast nie, sie ist eher wütend auf sich selber. Oder hat dann ein schlechtes Gewissen. Vor allem am Tag nach so einem Abend, du weißt, sie wird dann gutes Essen mitbringen, Sushi oder so was, nicht nur irgendwelche Tiefkühlnuggets.

Du jobbst jetzt manchmal

Und jetzt bist du siebzehn, Marie, seit ein paar Monaten schon, du bist 1,75, du machst Kung-Fu in dem neuen Zentrum um die Ecke, und seit letztem Monat hast du eine kleine Schwester, sie heißt Emily. Sie ist süß und anstrengend. Deine Mutter war nicht schwanger, als du es zuerst geglaubt hast, und du hast aufgeatmet, aber dann.

Es wird zu eng in dieser Wohnung, seit Christopher eingezogen ist und du noch eine kleine Schwester hast, ist es kaum mehr zu ertragen. Dabei ist Christopher nett, er arbeitet, er trinkt nicht, er geht zum Rauchen vor die Tür, er redet normal mit dir. Du hörst ständig, dass du ja nicht mehr so lange hier wohnen wirst. Bis zur Matura, dann bist du weg, stimmt schon.

Du jobbst jetzt manchmal in der Pizzeria Uno, du hast dir einen gebrauchten Laptop gekauft und dir eine ganz kleine Tätowierung geleistet, ein winziges π. Und du weißt, egal, was ist: Du hast ein bisschen Startkapital, und das gibt dir ein gutes Gefühl, vor allem, weil du nie jemandem davon erzählt hast, dein Geheimnis.

Marie, du bist achtzehn. Seit heute. Du hast jetzt eine Freundin, sie heißt Lisa, und am Abend werdet ihr tanzen gehen, sie holt dich um acht mit ihrer Vespa ab. Und die Glück hat dich nach dem Unterricht zu sich gerufen, hat dir leise und mit einem sehr breiten Lächeln gratuliert und hat dich gefragt, ob du dein Sparbuch willst.

Sie sagte, es sind jetzt 512 Euro drauf, sie hat dir den Auszug gegeben. Du kannst das jetzt abheben. Du hast gesagt, sie soll das Sparbuch bei sich behalten, zumindest bis zur Matura, und du hast den Auszug, wie alle zuvor, in kleine Fetzen zerrissen. Die Glück hat gefragt, ob du schon weißt, was du danach machen willst.

Ja, du weißt es. Du bist achtzehn, und in einem Dreivierteljahr wirst du studieren. Mathematik. Du hast dich erkundigt, du kriegst Unterstützung, und wenn du weiter in der Pizzeria jobbst, kannst du dir ein Zimmer in einer WG leisten. Und du hast dieses Sparbuch, 512 Euro, lautend auf Marie Chantal Schwarz, und du hast das Gefühl, die Welt liegt vor dir, und du kannst es schaffen; egal was. (Doris Knecht, 7.3.2020)