Foto: APA / Helmut Fohringer

Sehr geehrte Jury! Ich verstehe Sie sehr gut. Ich verstehe Sie allzu gut, mit ganzem, glühendem Kinderherzen, das Sie mir hoffentlich nicht absprechen wollen. Ich verstehe sehr gut, dass Sie eine deutsche Gegenwartsliteratur auszeichnen wollen, die einem zum Beispiel etwas Erbauliches über das Dasein als starke, erfolgreiche, junge Frau erzählt, die einem beispielsweise eine Welthaltigkeit beibringt, die einem zum Beispiel eine Geschichte erzählt, in der man sich wiedererkennt.

Glauben Sie bitte nicht, dass ich das nicht verstünde. Ich habe sogar extra einige Jahre am Institut für Sprachkunst studiert und eine Unzahl an Worten gelesen sowie geschrieben, um es extra noch besser zu verstehen.

Lummerland-ist-abgebrannt-Slam

Aber ich sage es hiermit und meine es auch so, dass ich leider verzichten muss auf eine Karriere auf dem Literaturmarkt, den Wer-auch-immer-Preis, das St.-Sowieso-Stipendium, das Schieß-mich-ins-Knie-in-Residence-Programm, ein Lob im Feuilleton des Potemkinschen-Dorf-Botens, die Empfehlung der berühmten Lektorin Lucy-Puppy-Ehschowissen, den fetzigen Lummerland-ist -abgebrannt-Slam und die Denn-sie-fühlt-wie-du-den-Schmerz-Anthologie. Denn ich bin zum Beispiel kein Fräuleinwunder, welchselbes es brauchen würde, um bei allen Veranstaltungen standesgemäß zu reüssieren.

Ich habe Tausende Worte hinein- und wieder herausgepresst in mich bzw. aus mir, um zu schauen, ob sie sich für den Open Mike eignen, was sie zugegebenermaßen selten taten. Man hätte sie dazu auch drapieren müssen, denke ich, zu kleinen narrativen Portiönchen, was dann auch wieder mein Versäumnis war.

Ich habe das Dasein einer trotzigen Bürgerstochter à la Ronja von Rönne, die stolz behauptet, den Feminismus nicht mehr zu benötigen, ebenso verfehlt wie den lieblichen Vorstadtgestus einer Vea Kaiser, die einzigen zwei Positionen, die der Kulturjournalismus für Frauen noch in petto zu haben scheint.

Glauben Sie aber bitte trotzdem nicht, dass ich nicht darüber nachgedacht hätte, ob es nicht zumindest prinzipiell funktionieren könnte, ob man da ein Fräuleinwunder aus mir hätte herausfräsen können unter sensiblen Stirnfransen und bachmannesken Zigarettenwölklein.

Liebes Literaturgericht!

Sehr geehrte Literaturbeiräte, ich weiß, ich habe versagt. Ich habe aus Ideen meine Romane geboren statt aus Charakteren; aus Intellektualität statt aus Empathie, was sich insbesondere für Fräuleinwunder nicht schicken tut.

Zumindest ein älterer Herr als Protagonist hätte sich ergeben können. Er hätte vielleicht Herbert geheißen. Herbert Huber. Dem Leser hätte ich zu Zwecken der Identifikation Herberts sentimentale sexuelle Gelüste vorfuhren können, die zwar nicht er widert werden, die uns aber im Gegenzug gerührt hätten. Herbert hätte täglich mit einsamem Herzen im Cafe Prückel gesessen und sich in unentdeckten Momenten die Tränen aus den Augenwinkeln gewischt beim Anblick junger, weißbeschürzter Kellnerinnen.

Stattdessen habe ich nur Konzepte und Philosophien hingestellt, denen jede Teilhabe am Herzen anderer fremd ist. Glauben Sie jedoch nicht, dass ich nicht GEWOLLT hätte, zum Beispiel aus dem WIRKLICHEN LEBEN zu berichten oder von der Jugendfront, zumindest solange ich noch an ihr kämpfe. Besonders junge Menschen fühlen meistens sehr stark. Sie haben viele Erfahrungen zu verarbeiten und anzubieten; diese müssen zuerst sortiert und dann in Versform gebracht werden.

Wir sitzen später in der Lesung und bemerken: Hier finden Zeilenumbrüche statt, denn jemand hat mit Anstand und System die Entertaste in der Mitte von Sätzen gedrückt, ergo Lyrik. Diese ist ja immerhin, wie schon Marcel Reich-Ranicki meinte, das einzige Genre der Literatur, zu dem Frauen aus biologischen Gründen überhaupt in der Lage sind.

Liebes Literaturgericht, ich pflichte also vollinhaltlich bei, dass wir uns aus Zutaten des sogenannten echten Lebens konstituieren wollen. Nur: Es tut mir leid, aber ich persönlich kann Ihnen das nicht liefern. Das ist ein Jammer, das ist ein Pech. Da wird sich nicht nur ein Problem für mich ergeben, sondern tendenziell sogar eher viele.

Denn ich KANN ja gar nicht bestreiten, dass es wunderschön ist, wenn eine verwirrte junge Frau mit ihrem indischen Liebhaber waidwund über den Ganges rudert und dabei unablässig druckreife Aphorismen ausstößt. Der Schaft gräbt tief in den stillen Wassern des Lebens.

Die Literatur als Psychologin stellt uns Rezepte für mehr Achtsamkeit aus: Kardamom vermittelt Exotik, Portwein Lebenslust, eine unbekannte Süßspeise aus dem Orient zeigt, dass einem nichts Menschliches fremd ist – die fernen Grießnockerln der Oma aber beweisen dabei Bodenständigkeit.

Unablässig muss zur weiblichen Lebendigerhaltung die eigene Biografie in den Text eingeführt werden wie eine prall gefüllte Magensonde, und sei seine Existenz komatös und künstlich und nur für die Bestattung geschminkt, egal! Da ist ja, wie gesagt, LEBENSERFAHRUNG drin.

Erwartungen aufgeben

Ich indessen, zum Beispiel kein Fräuleinwunder, habe ja nicht einmal ein Stückchen Welt in meiner Tasche, tut mir leid, die ist von mir abgefallen, als ich Bachmannpreis noch gar nicht buchstabieren konnte.

Also wird man mir wahrscheinlich niemals etwas von dem bescheinigen können, was man eine JUNGE Stimme, einen FRISCHEN Wind nennt, einen Tonfall, der SCHAMLOS den alten Meistern zeigt, was ein IM HIER UND JETZT angesiedelter Roman ist, was eine AUTHENTISCHE Sprache ausmacht, die sich trotzdem an ihrem unauthentischen Remix-Dasein ergötzt.

Mir entfährt an dieser Stelle bewusst kein Foucault-Zitat. Geben Sie Ihre Erwartungen auf, ich wurde die Charaktere meiner Bücher und ihre Entwicklung mit Sorgfalt bedenken. Die sogenannten Personen, die Sie hofften, so lebensecht und fleischlich zwischen den Buchdeckeln entnehmen zu können, existierten nie.

Ich weiß, Sie spekulierten darauf, ich würde einen Charakter aus meinem Herzblut unter Schreien und starken Wehen herausdestillieren und ihn zudem in mehreren, sehr klaren Vollmondnächten in Laken gewickelt mit mir tragen, wonach mein Verleger in ihm die pure, reine Menschlichkeit erkannt hätte, die er zuvor auch in mir erkannt hätte. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass von mir keine Menschlichkeit zu erwarten ist.

Kathrin Röggla, Sibylle Berg, Stefanie Sargnagel, Lydia Haider (Herausgeberin), Ebow und Verena Dengler (im Bild, von links nach rechts) haben Hetzreden geschrieben, außerdem noch: Puneh Ansari, Nora Gomringer, Judith Goetz, Gertraud Klemm, Barbi Marković, MariaMuhar, Manja Präkels, Judith Rohrmoser und Sophia Süßmilch.
Fotos: Heribert Corn, Katharina Lütscher, Karsten Thielker, Isolde Ohlbaum, Toppress/Schöndorfer, Katrin Hackl, Imago, Eva Kelety

Ich produziere keine literarischen Ratgeber zur Orientierung im Kulturdschungel oder lasse Sie über die Spleens der ganz, ganz Großen schmunzeln. Ich hänge nicht mit Rührung an jedem Kulturmontag, und ich hacke die irreduzible Komplexität des Lebens nicht unablässig zu quadratischen Instagram-Portionen zusammen.

Die Fixsterne meines Kosmos sind nicht zynische Hipster-Witze, die ich an den Säulen meiner bildungsbürgerlichen Privilegien vorbei in den Orbit herausposaune. Der nächste schon gentrifizierte Szenebezirk und alle seine zynischen Cool Kids und alle ihre Cool-Kids-Bedürfnisse sind mir scheißegal. Ich bin zum Beispiel kein Fräuleinwunder – ich suhlte mich weder in Rauschfantasien noch in den Pointen müder Altherrenwitze.

Geiler Märchenonkel

Ich habe mich nicht auf die Oberschenkel des Literaturbetriebs gesetzt, der wie ein gutmütiger, geiler Märchenonkel alle auf den Schoß nimmt, die gelernt haben, an ihn zu glauben. Ich gebe es zu: Ich hätte an die klassischen Genres denken sollen, die immerhin über 500 Jahre alt sind, und hätte dabei höchstens 25 sein sollen, nein, wenn ich recht überlege, vielleicht überhaupt erst 17.

Ich hätte einen dandyhaften Drogen-Lebensstil verfolgen müssen und irgendjemandes Muse sein sollen, nachts alles hinkotzen und es tagsüber zu einer Einreichung für den FM4-Irgendwas drapieren.

Hochgeschätzte Verschworene, ich weiß, ich habe keine Texte geschrieben, auf die man die lang ersehnten SM-Codes der Literaturszene hatte stempeln können, die in meiner Gegenwart elendiglich verblutet sind. Ich bin zum Beispiel kein Fräuleinwunder, kein wohldosiertes Saisontoben schießt mich durch seinen bunten Rückstoß zum Hauptpavillon der Frankfurter Buchmesse. Was Sie an originellen Tonfällen brauchen, kann ich Ihnen nicht liefern. Was sie an purer Wirklichkeit benötigen, habe ich nicht dabei. (Raphaela Edelbauer, 7.3.2020)