Bildersuche in der Wüste von Texas: In Amerika, sagt die Fotografin Elfie Semotan, sei es ihr immer leichter gefallen, radikale Bilder zu machen – die Nettigkeit steht weniger im Weg.

Foto: Navigator

Manchmal offenbart sich ein Bild erst auf den zweiten Blick. Selbst bei Elfie Semotan, die für ihre Porträts und Modebilder weltbekannt ist. Der Dokumentarist Joerg Burger hat die Fotografin in Elfie Semotan – Photographer porträtiert: entgegen der Praxis einer faktenreichen Biografie, mehr als Spielart eines Making-of. Man kann miterleben, wie sie arbeitet, Regie führt und das Ergebnis mit der ursprünglichen Idee abgleicht. Burger begleitet Semotan zu Modeshootings in Wien oder in ihre zweite Heimatstadt New York, wo sie nur mit ihrer Leica die US-Malerin Joan Semmel vor monumentalen Nacktbildern porträtiert. Die lange Karriere von Semotan wird in der Auswahl von Bildern für eine Ausstellung greifbar, bei der Erinnerungen an die bestimmende Art von Naomi Campbell oder an Weggefährten wie Helmut Lang aufsteigen. Wir haben Semotan in ihrer Wohnung in Wien besucht.

Polyfilm Verleih

STANDARD: Was halten Sie von Instagram? Schauen Sie sich das an?

Semotan: Natürlich kenne ich das. Aber ich schau mir lieber Zeitschriften an. Klar gibt es auf Instagram fantastische Sachen, da machen ja Millionen mit. Aber ich will nicht nur Tolles sehen. Bei Instagram-Fotos geht es oft nur um die Inspiration eines Moments. Um einen Zufall, der einem im Leben passiert. Und plötzlich wird daraus mehr. Oder gar nichts. Ich arbeite nicht in diesem Ausmaß mit Zufällen.

STANDARD: Sie haben für Ihre Porträts vielmehr einen eigenen Regie- und Inszenierungsstil entwickelt. Wie ist der entstanden?

Semotan: Als ich selbst Fotomodell war, hab ich beim Fotografieren die Kommunikation vermisst. Natürlich kann man als erfahrenes Model alles herzaubern, aber an solchen Kürzeln war ich nie interessiert. Es kann nur etwas entstehen, wenn man die Person von sich selbst, von ihrem Bedürfnis nach Selbstdarstellung ablenkt. Jeder will auf einem Foto gut aussehen, jeder hat Angst, ungeschickt auszusehen. Sie müssen der Person versichern, dass Sie keine lächerlichen Dinge veröffentlichen. Dann kann man alles machen.

STANDARD: Poseure sind allgegenwärtig, auch Politiker vertrauen auf Looks. Welche Möglichkeiten gibt es als Fotografin, das zu durchbrechen?

Semotan: Ich glaube, es gibt zwei Lager. Nur wenige lehnen das ganz ab. Die meisten versuchen, die Posen weiterzuführen. So wie man in Japan Landschaften immer noch ein bisschen schöner zu machen versucht.

STANDARD: Wie einen perfekten Zen-Garten?

Semotan: Genau. Ich fand, dass eigentlich alles, was ich gemacht habe, schnell aufgegriffen und weiterverwendet wurde. Auch Posen ohne Glamour verkommen schnell einmal zu Mode.

STANDARD: Sie meinen, wenn man auf hemdsärmelig macht?

Semotan: Ja, das behagt mir genauso wenig. Wichtig ist, eine Ausdrucksmöglichkeit für jede Person zu finden. Das ist nicht immer möglich.

STANDARD: Als Fotografin sind Sie in Ihrer Branche immer noch in der Minderheit. Haben Sie den Eindruck, dass es zwischen Ihnen und den Models eine andere Form der Intimität gab?

Semotan: Da müssen Sie die Models fragen. Die haben eigentlich immer gesagt, sie hätten sich sehr wohl und gut behandelt gefühlt. Mit den Männern war es nicht so intim. Als ich die Herren für Palmers in der Unterhose fotografiert habe, mussten wir uns über die ersten Runden hinwegscherzen. Danach war es selbstverständlich und sehr angenehm.

STANDARD: Im Filmbereich wird seit MeToo der Umgang in Arbeitsverhältnissen diskutiert und neu arrangiert. Gibt es diese Debatte auch in Ihrem Bereich?

Semotan: Die Anliegen, die bei MeToo formuliert worden sind, wurden ja immer sehr anlassorientiert diskutiert und beantwortet. Ich finde, dass da manchmal übertrieben wird, man kann auch nicht alles mit Verboten unterlegen.

STANDARD: Sie haben eine solche Kultur des Übergriffs in Ihrem Metier nicht akut erlebt?

Semotan: Übergriffe hat es immer gegeben, es wurde nur nicht viel darüber geredet. Ich bin natürlich gegen diese Kultur. Man muss auch etwas dagegen unternehmen. Ich habe in solchen Situationen immer gesagt: "Jetzt gehen Sie aber schnell wieder hinaus." Das heißt aber natürlich nicht, dass es nicht auch Frauen gab, die sich nicht zu helfen wussten oder es nicht konnten.

STANDARD: Hat es Sie getroffen, als Sie von feministischer Seite für Ihre Palmers-Bilder von Frauen in Strumpfhosen kritisiert wurden?

Semotan: Einerseits schon. Es beruhte ja alles auf Einverständnis. Nichts, was die Mädchen machen mussten, war nicht okay. Es war auch nicht unser Ziel, erotische Fotografie herzustellen. Aber es ist schwierig, etwas anderes als erotische Fotografie zu machen, wenn Frauen jung und schön sind – und Unterwäsche tragen. Über die Reaktion der Feministinnen war ich jedoch nicht schockiert, ich bin ja prinzipiell ihrer Meinung. Was ich immer gehasst habe, waren diese Fotos von Frauen im Bikini, etwa auf Motorhauben.

STANDARD: Kommt man als Modefotografin gar nicht daran vorbei, einem bestimmten Begehren zuzuarbeiten?

Semotan: Zuarbeiten würde ich es nicht nennen. Wenn ich eine junge, schöne Frau sehe, gefällt sie mir auch, ohne dass ich ein Begehren entwickle. Ich verstehe einfach, was diese Ausstrahlung bewirken kann. Von dem sollte man sich auch nicht distanzieren. Wir würden alle aussterben, wenn das gelingen würde.

STANDARD: Sie haben sich in Ihren Bildern auch oft auf Kunst bezogen. Im Film sagen Sie an einer Stelle, dass es für Sie darum ging, die Mode möglichst klein zu machen. Was meinen Sie damit?

Semotan: Ich habe versucht auszuloten, wo die Grenzen liegen. Wie schön man sein muss, wie hässlich man sein darf, wie klein die Mode sein darf, dass es noch akzeptiert wird. Man kann weit gehen, andererseits riechen die Leute das ab einem bestimmten Moment auch. Wenn man dem Bild nicht ganz ergeben ist, merken die das.

STANDARD: John Cook, ein Kanadier, der in Wien Filme gedreht hat, hat Ihnen das Fotografieren beigebracht.

Semotan: Ich habe es blitzartig gelernt. Nach zwei Wochen hab ich bereits seine Filme entwickelt, da hab ich mir schon gedacht: "Na, der hat aber viel Vertrauen zu mir."

STANDARD: Hat er ihnen auch eine Ästhetik vermittelt?

Semotan: Mir haben seine Fotos viel besser gefallen als viele andere, weil es nicht Modefotografie war, sondern erzählende Fotografie.

STANDARD: Ging es bei Ihren Erzählungen auch darum, auf Ikonografie zurückzugreifen beziehungsweise Rollenbilder umzudeuten?

Semotan: Bei der Arbeit für eine Aby-Warburg-Ausstellung habe ich tatsächlich einmal entdeckt, wie stark ich von der kirchlichen Malerei beeinflusst bin – in meiner Kindheit gab es ja nichts anderes. Wenn man durch die Kamera schaut, sucht man immer etwas, was einem selbst entspricht. Deshalb ist es auch wichtig, manchmal zu fotografieren, ohne durch den Sucher zu schauen. Das hilft einem, sich mit anderen ästhetischen Gebieten anzufreunden, sie zu erobern.

STANDARD: Erinnern Sie sich auch über die jeweiligen Bilder?

Semotan: Natürlich. Ich wundere mich oft, was an einem Bild, das ich schon lange nicht gesehen habe, alles dranhängt. Alles kommt plötzlich hinzu, wenn man die Bilder anschaut. (Dominik Kamalzadeh, 6. 3. 2020)