Andrea Grill: "Alles scheint möglich."

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Es klingt alles so schön emanzipatorisch: Die 39-jährige Mezzosopranistin Iris Schiffer wird schwanger mit dem ersten Kind. Sie ist ehrgeizig, selbstsicher, attraktiv (kann der Name Schiffer Zufall sein?), demnächst gibt sie ihr Debüt an der New Yorker Met, danach singt sie eine Hauptrolle bei den Salzburger Festspielen. Sie verheimlicht ihre Schwangerschaft, denn die Premiere in Salzburg und der Geburtstermin liegen sehr nahe beieinander.

Andrea Grills Cherubino steht vor einer Herausforderung, die vielen Frauen bekannt sein dürfte: Sie will ihre Talente und Leidenschaften ausleben – aber deswegen nicht auf ein Kind verzichten. Liiert ist sie mit einem fürsorglichen, temperamentvollen italienischen Tenor, den sie nicht (mehr) liebt.

Daneben hat sie eine Affäre mit einem wesentlich älteren Politiker. Der ist, selbstverständlich, verheiratet und hat Kinder. Natürlich ist er es, den sie liebt. Das Kind könnte von beiden Männern sein, wobei sich Iris Schiffer sicher ist: Es ist vom untreuen Politiker. Aber so genau will sie es eh nicht wissen. "Denn", so der Klappentext dramatisch, "über das Kind entscheidet sie allein."

Sehr feministisch

Auch manche Passagen im Roman wirken so, als wollten sie sehr feministisch sein: "Alles scheint möglich; und die Last dieser Möglichkeiten tragen nach wie vor, mehr denn je oder naturgemäß immer die Frauen. Will ich ein Kind? Wann will ich ein Kind? Welches Kind will ich? Mit wem? Will ich ein defektes Kind? In einer liberalen kapitalistischen Gesellschaft darfst du das als Frau allein entscheiden; musst du das entscheiden."

Über die gesunkene Müttersterblichkeit, den einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln im "liberalen kapitalistischen" Westen sieht die Klage locker hinweg. Und wie schon die Klischeehaftigkeit des Romanpersonals (Der leidenschaftliche Südländer! Der untreue Politiker!) vermuten lässt: Emanzipation ist sowieso nur ein hübsches Label.

In Wahrheit ist Cherubino ein ziemlich reaktionäres Buch, das gut zu dem neokonservativen Backlash passt, der gerade vonstattengeht, ohne dass die meisten Frauen es überhaupt merken. Selbstbestimmung hat hier in erster Linie mit Erfolg, Geld, persönlichen Glücksvorstellungen zu tun – weniger mit Freiheit, Feminismus, Politik.

Nacktheit und Empörung

Da wird Schiffer einmal eine Rolle angeboten, für die sie nackt auf der Bühne stehen soll. Empört sagt sie ab. Aber solange es nicht sie trifft, hat sie kein Problem damit. "Soll der sich an wem anderen aufgeilen." Die größte Sorge ist ohnehin, ob der Regisseur ausplaudert, dass sie schwanger ist. Als das wirklich herauskommt, sagen ihr die Festspiele ab. Ihre Agentin will klagen, doch dafür fehlt Schiffer "offen gestanden die Energie".

"Ein Manko, ich weiß, aber diese Polemiken, das Gefecht in der Öffentlichkeit, das schaffe ich nicht." Schon klar: Es muss nicht jede Frau zur feministischen Kämpferin werden (auch wenn das schön wäre).

Aber in einem Buch, das mit so viel feministischer Thematik hantiert und seine Hauptfigur als Opfer ihres Geschlechts hinstellt, das so darauf herumreitet, dass wir es hier mit einer "souverän handelnden Frau" zu tun haben, wäre ein bisschen weniger affirmative Passivität wünschenswert gewesen.

"Manchmal-Freundin"

Abgesehen davon hat diese Souveränität sowieso etwas sehr zweischneidiges. Zwar wird geklagt, dass die Frau "die Last" alleine trage, zugleich werden die Männer aber aus jeder Verantwortung entlassen. Sind halt so. Dass ihr Geliebter sich immer wieder in Schweigen hüllt, nicht auf SMS reagiert – egal. Sie ist ja souverän, schreibt ihm weiter und tut, als wäre nichts.

Man wünscht sich Bücher herbei wie in Schweden, wo in Aase Bergs Haggan die Geliebte eines verheirateten Mannes die Schieflage in Liebesbeziehungen höchst fundiert analysiert und entlarvt. Hier wird ein bisschen gejammert und ansonsten so getan, als würde sich die Ungerechtigkeit auflösen, wenn man nur selber recht unabhängig ist.

Wobei Unabhängigkeit in diesem Buch vor allem zu heißen scheint: finanziell. Wohl nicht zuletzt deswegen wird sie rücksichtslos und unsolidarisch. Den Salzburger Kolleginnen und Kollegen verheimlicht Iris Schiffer ihre Schwangerschaft, braucht sie doch das Geld, um "unabhängig" zu sein.

Dass die Produktion, das Ensemble darunter leiden würde, sollte sie ausfallen? Nicht der Rede wert. Dass es auch den Vater angeht, was mit "ihrem" Kind passiert? Kein Thema. Es passt, dass Schiffer auch keine wirklichen Freundinnen zu haben scheint – nur Frauen, die als "Manchmal-Freundin" bezeichnet und durchnummeriert werden.

Literarisch macht das Buch die inhaltliche Schwäche auch nicht wett. Stilistisch schwankt es zwischen Gebrauchsprosa und poetischen Passagen, die bisweilen entgleiten: "Der Scherz war die Waffe ihrer Wahl, um sich durch das Unterholz dieser Tage zu schlagen."(Andrea Heinz, 7.3.2020)