Leif Randt ist mit seinem Roman "Allegro Pastell" ist für den Leipziger Buchpreis nominiert.

Foto: Zuzanna Kałużna

Was bisher geschah: 2011 bescheinigte die Kritik in seltener Einigkeit dem Autor Leif Randt für seinen Roman Schimmernder Dunst über CobyCounty genau jene Qualität, die Wim Endersson, der Ich-Erzähler des Romans, in einer Begegnung zwischen ihm und seiner Freundin "CarlaZwei" mit seinem besten Freund Wesley und dessen Freund Frank auszumachen meint: "Ich höre den dreien beim Reden zu. Sie tauschen sich über die Gegenwart aus, auf einem hohen Niveau, wie ich finde, über die Stimmung auf den Straßen, darüber, dass momentan alles etwas bedrückend ist[.]"

Dieser Rückgriff wird spätestens dann sinnfällig, wenn man beim Aufschlagen von Randts jüngstem Roman erneut auf Wim Endersson trifft: "Der ‚utopische Sexraum‘ war natürlich vor allem als Gag gemeint, das weiß ich auch heute noch, selbst wenn die Erinnerung bereits verklärt ist und mir meine Aussage im Nachhinein fast wahrhaftig vorkommt."

Bitte nicht stören

Für intertextuelle Referenzen ist also auch in Allegro Pastell hinreichend gesorgt, aber anders als in seinen vorangegangenen Büchern wendet sich der Autor diesmal auch geografisch ganz dem Hier und Jetzt der bundesrepublikanischen Gegenwart zu.

Erzählt wird von Jerome und Tanja; er Webdesigner im hessischen Maintal, sie Schriftstellerin in Berlin. "Nie nach Berlin gezogen zu sein fühlte sich für Jerome so an wie nie auf Facebook gewesen zu sein. Beide Entscheidungen hatten ihm viel Vergleichsdruck und narzisstische Kränkungen erspart, ihn vielleicht aber auch zu einem weniger akkuraten Zeitzeugen gemacht."

Durch die Verlagerung der Handlung an utopisch anmutende Schauplätze blieb auch dem Autor Randt bislang immer dann Vergleichsdruck erspart, wenn unter den üblichen Verdächtigen einmal mehr die Frage aufkam, "wo denn der Autor sei, dessen Werk nicht nur um persönliche Befindlichkeiten kreise, sondern eine Lebenswirklichkeit in den Blick nehme, die sich über das Café an der nächsten Berliner Straßenecke hinaus erstreckt" (FAZ) – voilà!

Gespenstische Gegenwart

Nicht, dass der 1983 geborene Leif Randt zuvor gleich welchen Vergleich hätte scheuen müssen, aber wie mühelos sich der schimmernde Dunst in Allegro Pastell weit über CobyCounty hinaus und tief hinein in die zwischen Berlin und Maintal pendelnde Lebenswirklichkeit von Jerome und Tanja erstreckt, beweist eindrucksvoll, dass dieser Autor über die gespenstische Gegenwart nicht nur mit den Mitteln der Verfremdung zu berichten weiß; seien es hyperrealistische wie in Schimmernder Dunst über CobyCounty oder auch am Sci-Fi-Genre angelehnte wie zuletzt in Planet Magnon (2015).

Maintal liegt zwischen Frankfurt und Hanau; hier hat sich Jerome im anthrazitfarbenen Flachdach-Bungalow seiner Eltern eingerichtet. "Eigentlich war diese Welt neu. Dass sich jedoch nichts daran neu anfühlte, fand Jerome zu gleichen Teilen bedrückend und charmant. Es ging in Maintal weder um Aufbruch noch um Restauration, wahrscheinlich ging es primär darum, nicht gestört zu werden, und diesen Wunsch konnte Jerome (...) durchaus nachempfinden."

Während Tanja in Berlin an ihrem neuen Roman arbeitet, Badminton spielt und ihre Liebe zu Eigenmarken des Sportausrüsters Decathlon entdeckt, joggt Jerome in Hessen durch das Naturschutzgebiet vor seiner Haustür, meditiert (oder macht zumindest das, was er dafür hält) und entwirft eine Webseite, die er "wahlweise als kommunikativen Rückzugsort oder als soziale Plastik" betrachtet.

Wochentags tauscht man sich vornehmlich via Text und Bild auf Telegram aus, zum Austausch von Körperflüssigkeiten und psychoaktiven Substanzen kommt es an den Wochenenden.

Der Tag X

Von den Störfrequenzen des Alltags bleibt die Beziehung weitgehend unberührt, zu austariert sind die Rituale ihrer gegenseitigen Vergewisserung, als dass der Gedanke an eine Aufkündigung des Commitments in einem der beiden Platz finden könnte. "Schön" sollen die Begegnungen sein, "aber nicht existenziell".

Zum "Tag, an dem dann doch einmal etwas geschieht" (Judith Hermann: Sommerhaus, später) wird Tanjas dreißigster Geburtstag. Auf dem Heimweg vom Fest "für ihren entspannten und würdevollen Umgang mit allen [Gästen]" von Jerome gelobt, reagiert Tanja verstimmt: "Sorry, könntest du still sein, bitte? Ich fand den Abend ziemlich anstrengend, muss da erst mal drüber schlafen."

Aber auch in ausgeschlafenem Zustand geht ihr Jerome "plötzlich auf die Nerven": "Ich hatte gehofft, dass es über Nacht besser würde. Aber am Morgen war es nur noch schlimmer."

Was hernach geschieht: Der Kontakt wird loser, man bleibt einander zugetan, Tanja wird mit einem Janis schlafen, eine Marlene wird ein Kind von Jerome erwarten, über Tanja wird Jerome in Erinnerung behalten, dass Peter Handke "ihr liebster Autor aus der Schweiz" war, was "natürlich vor allem als Gag gemeint" (Wim Endersson) sein dürfte, vielleicht aber auch nicht, vermisst Leif Randt doch beharrlich wie kein anderer zeitgenössischer Autor deutscher Sprache jene Oberfläche einer Gegenwart, "in der vermeintlich nichts mehr sagbar ist, ohne die Brechung schon mitzudenken" (Die Zeit).

Wer dachte, dass Judith Hermann mit Sommerhaus, später 1998 wie kein anderes Buch den sogenannten Nerv einer ganzen Generation getroffen habe (und es sind nicht wenige, die das zu Recht denken), den straft Leif Randt mit Allegro Pastell auf die denkbar angenehmste Weise Lügen. (Josef Bichler, 7.3.2020)