Lueger ist in Wien allgegenwärtig, etwa hier in Form des Lueger-Denkmals am Dr.-Karl-Lueger-Platz. Ein Zusatzschild kontextualisiert die problematische Geschichte.

Foto: Christian Fischer

Karl Lueger war von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister und Gründer der Christlichsozialen Partei. Und er wird am 10. März seit 110 Jahren tot sein. Dieses Datum gab Anhängern von Rechtsaußen-Bewegungen den Anlass, bei einer Feier am Dr.-Karl-Lueger-Platz "einen der bedeutendsten Stadtväter gebührend hochleben zu lassen", wie es in einer Einladung hieß. Das Datum gibt Kritikern aber auch Anlass zu fragen, warum der Platz in der Wiener Innenstadt immer noch nach einem bekennenden Antisemiten benannt ist.

Schon vor acht Jahren wurde der Dr.-Karl-Lueger-Ring in den Universitätsring umbenannt. Der Grund dafür: der problematische Lebenslauf von Lueger, der laut Experten antisemitische und wissenschaftsfeindliche Passagen beinhaltet. Der Uni Wien sei es sogar peinlich gewesen, Kontakten im Ausland eine derart belastete Adresse zu nennen, heißt es heute aus dem Kulturstadtratsbüro – der damalige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) war es, der die Umbenennung anstieß. Doch was den Dr.-Karl-Lueger-Platz angeht, sieht man das nun anders.

Kirche, Gasse oder Platz?

Der Lyriker und Sohn jüdischer Kommunisten, Robert Schindel, unterstützte die Umbenennung des Rings und fordert, dass weitere folgen: "Lueger war einer der Lehrer Hitlers", sagt Schindel, "er hat indirekt zu den unheilvollen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts beigetragen." Es tue dem Ruf der Stadt nicht gut, dass so ein zentraler Platz nach einem führenden Antisemiten benannt ist, "da reiche auch eine kleine Gasse in der Vorstadt", sagt Schindel, außerdem gebe es ohnehin die Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche am Zentralfriedhof.

Schon 2013 setzte sich eine Historikerkommission mit den dunklen Flecken auf Wiens Straßenkarte auseinander. Dass der Dr.-Karl-Lueger-Platz immer noch heißt, wie er heißt, sei laut Kommissionsmitglied Florian Wenninger ein "Mangel an Konsequenz". Es sei nicht einzusehen, warum das Wissen über die Geschichte Luegers zwar reiche, um die Ringstraße umzubenennen, die antisemitische Grundhaltung des Namensgebers aber nicht für eine flächendeckende Umbenennung gereicht hatte.

Stachel im Fleisch Wiens

Dem widerspricht Historikerkomission-Kollege Peter Autengruber. Der spricht über Lueger als eine Figur mit "Licht- und Schattenseiten". Auf der einen Seite werde er für viele Verdienste rund um die Modernisierung Wiens, etwa das Verkehrsnetz und die Gasversorgung, verantwortlich gemacht, "auf der anderen Seite hat Lueger den Antisemitismus instrumentalisiert", sagt Autengruber – auch wenn unklar sei, inwieweit dies Luegers persönliche Haltung war. Doch auch er verweist darauf, dass Adolf Hitler in "Mein Kampf" von Lueger als Vorbild schreibe.

Autengruber betont, dass es weitere Straßen in Wien gebe, bei denen Handlungsbedarf herrsche. So ist etwa eine Gasse in Wien-Liesing nach Heimatroman-Autorin Maria Grengg benannt, "die ihr ganzes Schaffen in den Dienst der Nazis stellte", so der Historiker. Wichtig sei, Personen und ihr Wirken zu kontextualisieren, darum forderte die Historikerkommission dazumal Zusatztafeln für problematische Straßennamen – mehrere davon wurden montiert, auch an Orten, die an Lueger und Grengg erinnern.

Eine Umbenennung von Orten könne wichtige Debatte ersticken, argumentiert Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte und auch in der Kommission tätig. Der Dr.-Karl-Lueger-Platz solle seinen Namen behalten und so als "Stachel im Fleisch" die Diskussion um wachsenden Antisemitismus und Rassismus wachhalten. "Ihn einfach auszuradieren wäre politisch gefährlich", sagt Rathkolb und appelliert an die Kunst, kreativ an die geforderte Kontextualisierung heranzugehen.

Keine Umbenennung geplant

Offizielle Bestrebungen, den Platz umzubenennen, gibt es nicht. Aus dem Büro von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) heißt es, gerade weil der Dr.-Karl-Lueger-Platz existiere, hätte man dem Ring einen neuen Namen geben können – eine absolute Ausnahme, wie man betont. Es sei "Linie der Stadt", problematische Orte nicht neu zu benennen, sondern für Bewusstsein zu sorgen. Abgesehen davon sei der Aufwand enorm, immerhin müssten Anrainer nicht nur einen neuen Meldezettel machen, sondern auch neues Briefpapier und andere Visitenkarten drucken lassen. Auch aus dem Büro des zuständigen Bezirksvorstehers Markus Figl (ÖVP) heißt es, es seien keine Initiativen für eine Umbenennung bekannt oder geplant.

Anlässlich Luegers Todestag kamen am Wochenende unter anderem der Chef der österreichischen Identitären Martin Sellner und eine Handvoll Gleichgesinnter unter großem Polizeiaufgebot zu einer Gedenkveranstaltung auf den Dr.-Karl-Lueger-Platz. Der Veranstalter, Georg Immanuel Nagel, ist Aktivist der Neuen Rechten in Österreich und ehemaliger Sprecher des Wiener Ablegers der rechtsextremen Pegida-Bewegung. Im Vorfeld kündigte er rund hundert Besucher an. (Gabriele Scherndl, 7.3.2020)