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EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager spielt eine Schlüsselrolle im Kampf der europäischen Behörden gegen Marktmissbrauch durch US-Technologiegiganten.

Foto: Reuters / Yves Herman

Digitalisierung und digitale Geschäftsmodelle sind aus der modernen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken – vom Onlinehandel über Apps bis zur Vision von selbstfahrenden Autos. Damit steigt aber auch das Interesse der Wettbewerbshüter an deren Ausgestaltung.

Seit 2017 hat die EU-Kommission etwa gegen den Internetriesen Google Geldbußen von über acht Milliarden Euro wegen missbräuchlicher Ausnutzung seiner Marktmacht verhängt. Der neue Behördenfokus beschränkt sich keineswegs auf die Geschäftsmodelle der US-Technologieriesen.

Und die Rechtsfragen betreffen nicht nur reine digitale Unternehmen wie Onlineplattformen und -händler, sondern auch Unternehmen aus traditionellen Industrien, die transformative Prozesse durchlaufen und etwa das "Internet of Things" oder "Smart-Machine-Applications" für sich und ihre Kunden nutzen.

Das Kartellrecht gibt den Wettbewerbshütern ein scharfes Schwert zur Hand: einerseits die Verhängung signifikanter Geldbußen bei Rechtsverstößen – bis zu zehn Prozent des Konzernjahresumsatzes – sowie andererseits die Möglichkeit, durch die Anordnung von Verhaltensauflagen in das Marktverhalten von Unternehmen strukturell einzugreifen und konkrete Änderungen ihrer Geschäftspraktiken herbeizuführen – so im Fall von Google, das nun gesponserte Werbeanzeigen kennzeichnen muss und die Lizenzierung seines Android-Betriebssystems an Hardware-Anbieter nicht mehr an die Vorabinstallierung der Google-Suchmaschine koppeln darf.

Es ist zudem keine Seltenheit, dass anmeldepflichtige Transaktionen nur nach strukturellen oder verhaltensorientierten Verpflichtungszusagen an die Behörden freigegeben werden. Dabei steht vermehrt die Gewährung von Zugang zu Datenpools an Dritte und der Schutz von Innovationswettbewerb durch Start-ups im Fokus.

Höchste Priorität

Dennoch stellt sich immer dringender die Frage, ob das seit mehreren Dekaden bestehende Kartellrecht noch fit für die Herausforderungen der digitalen Wirtschaft ist. Die EU-Kommission und mehrere nationale Wettbewerbshüter räumen dem Thema höchste Priorität ein. Das deutsche Bundeskartellamt forderte nun im Rahmen von Reformdiskussionen, dass künftig auch die Behinderung der Interoperabilität bzw. Datenportabilität einen gesetzlichen Tatbestand des Marktmachtmissbrauchs darstellen soll, um so Barrieren für das "Multi-Homing" von Nutzern abzubauen.

Neben der EU haben Deutschland und Frankreich den Sektor untersucht und dabei erste Erkenntnisse zu kartellrechtlichen Problemfeldern und Lösungsansätzen gewonnen. Ein wesentlicher Parameter ist, dass digitale Märkte schnelllebig sind und durch disruptive Innovationen (auch) kleinerer Anbieter transformiert werden können.

Freiwillige Verhaltenszusagen statt Geldbußen

Das Kartellrecht muss daher schnelle und effektive Instrumente zum Schutz des Wettbewerbs bieten. Damit ist auch eine Bereitschaft der Behörden erkennbar, anstelle von langjährigen und vergangenheitsorientierten Geldbußenverfahren vermehrt auf die Verhandlung freiwilliger Verhaltenszusagen zurückzugreifen.

Zur Verhinderung sogenannter "Killer-Akquisitionen" nahmen jüngst der österreichische und der deutsche Gesetzgeber eine Vorreiterrolle ein. Darunter wird der Erwerb eines innovativen Anbieters (oft Start-ups) verstanden, um das Unternehmen, dessen Technologie oder auch dessen vermarktungsfähige Daten zu absorbieren. Letztlich kann dadurch potenzieller neuer Wettbewerb frühzeitig verschwinden.

Solche Transaktionen blieben oft unterhalb der Anmeldeschwellen, da die Zielunternehmen trotz hoher Verkaufswerte kaum Umsätze generierten; der Erwerb der Fitness-App Runtastic durch Adidas ist ein häufig angeführtes Beispiel. Österreich führte daher 2017 eine neue Anmeldeschwelle ein, die primär an den Kaufwert anknüpft.

Informationsfluss begrenzen

Der Onlinehandel im Speziellen führt zu einem Verschwimmen der Grenzen zwischen Herstellern, Plattformbetreibern und Händlern. Kartellrechtlich bedeutet dies, dass gegebenenfalls Vorkehrungen zur Begrenzung des Informationsflusses zwischen diesen Playern zu treffen sind.

Dies gilt nicht nur für Plattformbetreiber wie Amazon – derzeit Gegenstand einer EU-Untersuchung –, sondern auch für jeden Hersteller eines Produkts, der nach Eröffnen eines eigenen Onlineshops im Wettbewerb mit seinen bisherigen Händlern steht. Plattformbetreiber haben oft ein Interesse daran, "Freeriding" durch die registrierten Anbieter einzudämmen, typischerweise durch Bestpreisklauseln: Anbieter dürfen auf ihren eigenen Verkaufskanälen keine günstigeren Preise als auf der Plattform anbieten, über die Kunden auf sie aufmerksam wurden.

Während die nationalen Wettbewerbshüter in der EU teils unterschiedliche Auffassungen zur Zulässigkeit solcher Klauseln vertreten, hat der österreichische Gesetzgeber mit der UWG-Novelle 2016 Bestpreisklauseln für den Hotelsektor einen Riegel vorgeschoben.

Umstrittene Algorithmen

Im Onlinehandel steht auch der Einsatz von Algorithmen bei der Preisbildung im Fokus. Werden Kunden für die gleiche Leistung unterschiedliche Preise angeboten, kann dies unter Umständen Bedenken aufgrund diskriminierender Preisgestaltung aufwerfen. Dies ist etwa relevant, wenn früheres Suchverhalten der Kunden, etwa die mehrmalige Suche nach derselben Flugdestination, mittels Cookies nachverfolgt wird und sich der angebotene Preis dadurch verändert.

Bei der Nutzung von Algorithmen wird auch die Abgrenzung zwischen zulässiger Wettbewerbsbeobachtung und problematischer Preiskoordinierung heiß diskutiert. Grundsätzlich gilt: Unternehmen haften nicht nur für Preisabsprachen, die willentlich durch Nutzung von Algorithmen umgesetzt werden, sondern können auch zur Verantwortung gezogen werden, wenn sich selbstlernende "Machine to Machine"-Kommunikation verselbstständigt.

Bedeutung großer Datenpools

Ein großer Fokus der neu besetzten EU-Kommission liegt schließlich auf dem Zugang zu Kunden- und Nutzerdaten. Je größer Datenpools sind, desto höher ist ihr möglicher Nutzen für den Auswerter – besonders KMUs verfügen häufig aber nicht über Datenpools in ausreichender Größe, um Datenanalysen für sich nutzbar zu machen.

Im Grundsatz befürwortet die EU-Kommission daher "Data-Sharing" und "Pooling-Agreements" zwischen Unternehmen, so etwa ausdrücklich für Innovationen in der Automobilbranche. Bei deren Gestaltung ist aber genau darauf zu achten, dass keine wettbewerblich sensiblen Daten ausgetauscht und die Grenzen des Erforderlichen nicht überschritten werden.

Die steigende ökonomische Bedeutung großer Datenpools schlägt sich auch in der Fusionskontrolle nieder: beim Erwerb von Linkedin durch Microsoft wurde die Freigabe u. a. an den Zugang anderer beruflicher Netzwerke zu Daten in der Microsoft-Cloud geknüpft.

Darüber hinausgehend wird eine Ausweitung der strengen "Essential-Facility-Doctrine" erwogen, also des Grundsatzes, dass ein Unternehmen seinen Wettbewerbern unter Umständen Zugang zu nichtduplizierbarer Infrastruktur gewähren muss. Frühere Anwendungsfälle betrafen etwa Hafenanlagen. (Maria Dreher, 7.3.2020)