Bashar al-Assad überall: etwa auf dem Basar von Damaskus auf dem Fenster des Ladens einer jungen Frau.

Foto: APA / AFP / Louai Beshara

Bashar al-Assad ist in Syriens Hauptstadt Damaskus allgegenwärtig. Er blickt von riesigen Plakaten, von Aufklebern an Autowindschutzscheiben, von gerahmten Fotos in Restaurants und von den Kaffeehäferln, die Händler im Souk verkaufen.

Unter seinen Augen, die oftmals Strenge ausstrahlen, dann wieder mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken scheinen, geht das Leben in der Hauptstadt, die den Krieg hinter sich gelassen hat, seinen Gang: Der Verkehr staut sich, in den Schawarma-Läden drehen sich riesige Fleischspieße am Grill, die Damaszener flanieren durch den Souk und trinken abends in Bab Touma Cocktails und libanesisches Bier.

Aber längst ist nicht alles wieder wie vor dem Krieg. Die Schlachten in den Vororten der Hauptstadt endeten zwar vor zwei Jahren, doch der Kampf ums wirtschaftliche Überleben geht für die Bevölkerung weiter.

Wenn Rania abends von der Arbeit heimkommt, ist es im Haus finster und kalt. Verteilt über den Tag gibt es je nach Bezirk zwei bis vier Stunden Strom, gefolgt von einem drei- bis vierstündigen Stromausfall. Die zugekauften Ampere von einem Dieselgenerator in der Nachbarschaft geben nicht viel her: Sie kann ihr Smartphone aufladen, in einem Zimmer leuchtet ein kleines Notlicht.

"Warmes Wasser für die Dusche hab ich keines", sagt die 20-Jährige. Auch das Waschen der Wäsche muss sie auf später verschieben, wenn es wieder Strom gibt. "Die einfachsten Dinge des Alltags müssen geplant werden."

Leben an der Frontlinie

Ranias kleiner Hund ist fünf Jahre alt. "Ein Kriegshund", wie sie sagt. Als die Rebellen in die Vororte und Randbezirke von Damaskus vordrangen, rückte die Front immer näher an ihr Haus heran. Am Ende lagen noch fünf Kilometer zwischen ihr und den Kampflinien. Wochenlang hörte sie die Detonationen und spürte die Erschütterungen.

Als eine Rakete im Haus gegenüber eingeschlagen war, zerbrach die Druckwelle die Fensterscheiben ihrer Wohnung. Ranias Hund habe sich an diese Art von Lärm gewöhnt. Seit dem Krieg würden sich mehr und mehr Menschen in Damaskus Haustiere zulegen. "Hamster, Katzen, Hunde – sie brauchen etwas, das sie lieben können."

Weil Rania einen Job hat und bei ihren Eltern lebt, kommt sie über die Runden. Doch für viele Syrer reicht das Geld hinten und vorn nicht. Der Krieg hat große Teile der Wirtschaft zerschlagen, Industrien liegen in Schutt und Asche.

Das syrische Pfund wurde gegenüber dem US-Dollar massiv abgewertet. Die Menschen versuchen so gut wie möglich mit der grassierenden Armut umzugehen. Viele Läden in Damaskus bieten Altkleidung zum Verkauf an, andere verleihen Abendkleider und die dazu passenden Accessoires.

Nahe Aleppo beginnen die Aufräumarbeiten.
Foto: APA / AFP / Nayef Al Aboud

Auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens hat der Krieg Veränderungen gebracht. Männer und Frauen, die die Hussain-Moschee im Zentrum von Damaskus besuchen wollen, müssen das getrennt tun. Von Besucherinnen wird erwartet, dass sie sich einen der knöchellangen Kapuzenmäntel überziehen, die man im Anbau der Moschee ausleihen kann.

Träumen von Korea

Rania wäre gern woanders. Korea ist das Land ihrer Träume, die Sprache lernt sie über Youtube. Doch auszuwandern ist teuer: Die Reise nach Beirut, um das Visum zu beantragen, die Gebühren, der Neustart in einem anderen Land – so bleibt sie in Damaskus und hofft, dass es besser wird.

Maleha, ein Vorort im Osten von Damaskus. Die staubige Straße führt durch Kriegsruinen. Wiederaufbau gibt es, wenn überhaupt, nur punktuell. "Vor vier Monaten waren die noch nicht da", sagt George, der Dolmetscher, und deutet auf ein paar Ladengeschäfte im Erdgeschoß eines zerschossenen Rohbaus.

Maleha liegt am Rande der Ghouta, eines grünen Gürtels, der Damaskus umschließt und wo vor dem Krieg Gemüse, Obst und Reis angebaut wurden. In der kleinen Stadt tobten 2014 schwere Kämpfe. Zurück blieben die grauen, stillen Ruinen. Dahinter liegen Äcker. In der feuchten Erde zeichnen sich dutzende Krater ab, in denen grünes Gras sprießt.

Oase in Trümmern

Marina, Angestellte einer Immobilienfirma, hat hier im Auftrag eines Kunden Land verkauft. Die Nachfrage sei groß. Wohlhabende Syrer, die in die USA, nach Europa oder in die Golfstaaten gegangen waren, wollen in ihrer Heimat investieren. "Sie kaufen Wohnungen und Land", sagt sie.

Später lädt Marina auf einen Espresso ein. Gegenüber von ihrem Wohnhaus blickt Bashar al-Assad mit Sonnenbrille von einem Poster. In der kleinen Wohnung, in der die alleinerziehende Mutter mit ihrem 13-jährigen Sohn lebt, ist es kalt.

Sie sei froh, dass sie Arbeit habe, doch das Einkommen ist niedrig. "Sogar für uns als kleine Familie, ist vieles nicht finanzierbar", sagt sie. Sie sucht daher einem zweiten Job. George sagt, das durchschnittliche Einkommen liege bei umgerechnet 45 Euro pro Monat. Die Miete für eine kleine Wohnung koste etwa 90 Euro. Erspartes ist daher rasch aufgebraucht.

Auf dem Rückweg ins Zentrum von Damaskus staut es sich. Ob man jemals daran gedacht habe, eine U-Bahn zu bauen? Der Plan existiere seit den 1990er-Jahren, sagt George. "Auf den Bau werden wir wohl weitere 30 Jahre warten müssen."

Raketen im Morgengrauen

Du erwachst von einem Krachen und weißt Bescheid: Raketen auf Damaskus. Es ist gegen halb zwei in der Früh. Im ersten Moment ist unklar, wer die Raketen abgeschossen hat. Die Metropole liegt weit außerhalb der Reichweite der Rebellen. Dann beginnt die syrische Raketenabwehr zu arbeiten. Lichtkugeln ziehen über den Nachthimmel.

Twitter weiß: Israel hat die Raketen abgefeuert. Militärische Ziele im Großraum Damaskus wurden getroffen. Langsam erwacht die Stadt. Der Verkehr nimmt zu, irgendwo lärmt ein Folgetonhorn. Der Mann im weißen Kittel vor dem Krankenhaus gegenüber zündet sich eine Zigarette an. Ranias kleiner Hund hat keine Angst vor Raketen.

Bis zum Wiederaufbau wird es aber noch lange dauern – auch weil es weiterhin Kämpfe und Zerstörungen gibt.
Foto: Imago / ZUMA Press / Juma Muhammad

Ein klarer, kalter Morgen. Vorbei an der russischen Botschaft – ein mit Stacheldraht verhangener Betonblock, auf dessen Dach Antennen und Parabolspiegel wachsen. Hinter den Autoscheiben ziehen die schwerbeschädigten Randbezirke und Vororte vorbei.

Pulverisierte Häuser, aufgerissene Wohnblocks, die auf zerstörten Lebensraum blicken lassen, eine ausgebrannte Moschee, verkrüppelte Strommasten. Leere Stadtteile, aus denen die Menschen flohen, in andere Teile Syriens, in den Libanon, nach Europa.

Der VW-Bus lässt Damaskus hinter sich. Von schneebedeckten Kuppen ziehen dunkle Wolkenschatten über die Straße. Auf Höhe von Maaloula kriecht Nebel auf die Autobahn M 5. Später beginnt es in dicken Flocken zu schneien. Vor Homs schlägt das Wetter um, und die Sonne kommt heraus. Ein breiter Regenbogen hängt über dem zerstörten Industriegebiet.

Im Jänner hat die syrische Armee Maarat an-Numan, im Februar Saraqib erobert und damit die gesamte M 5 zwischen Homs und Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht. Doch die Autobahn ist für den zivilen Verkehr im Februar immer noch gesperrt.

Der Krieg frisst Wirtschaft

Die Ausweichroute führt über Salamiyya nach Osten. Große Tanklaster röhren vorbei. Sie schaffen Öl aus den unter kurdischer Kontrolle stehenden Feldern im Osten Syriens in die Raffinerie bei Homs. Andere Tanklaster transportieren Benzin, Diesel und Heizöl von der Raffinerie nach Aleppo.

Die Straße zieht schnurgerade durch die Ebene, vorbei an verrosteten Autowracks und ausgebranntem Lkws. Auf sanften Hügeln weht die rot-weiß-schwarze Flagge über syrischen Militärposten.

Bei Ithriyah biegt der Bus nach Norden ab. Die Landschaft verändert sich, gelb-braunes Steppengras bewächst die Ebene. Zerschossene Lehmkuppeln in Sheikh Hilal, die zerstörte Ortschaft Khanaser, der Salzsee Al-Jabbul und dann: Aleppo.

Die Stadt liegt in Trümmern. Von den 4,5 Millionen Einwohnern, die die Industriestadt im Norden Syriens vor dem Krieg bewohnten, sind etwa die Hälfte geflohen. Die Front verlief mitten durch die Stadt.

Yousef wohnt im Westen Aleppos, jenem Teil der Stadt, der während der massiven Kampfhandlungen zwischen 2012 und 2016 unter Kontrolle der syrischen Armee blieb. Die Häuser in diesem Teil sind kaum beschädigt.

Die Menschen flanieren vor den Schaufenstern von Boutiquen, treffen sich in Cafés, die Bäckereien arbeiten, und auf dem Markt gibt es frisches Obst und Gemüse. Dennoch: "Die Situation ist schwierig", sagt Yousef, der sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit seiner Schwester und der 91-jährigen Mutter teilt.

In Idlib ist der Krieg trotz des jüngsten Abkommens zwischen Russland und der Türkei voll im Gange.
Foto: APA / AFP / Abdulaziz Ketaz

Während des Krieges war Aleppo lange Zeit von der Wasserzufuhr abgeschnitten. "Wir mussten Brunnen graben", sagt Yousef. Jeden Tag schleppte der Mittfünfziger Wasser von den Abfüllstationen in die Wohnung. Um zu sparen, wurde Abwaschwasser später für die Spülung verwendet "Geduscht wurde mit einer Ein-Liter-Wasserflasche."

Heute fließt wieder Wasser aus den Hähnen, auch wenn es nicht immer warm ist. Strom gibt es auch in Aleppo nur wenige Stunden am Tag. "Viele Kraftwerke wurden zerstört und bisher nicht wieder aufgebaut", sagt Yousef.

Im Wohnzimmer steht ein Gasofen, in den anderen Zimmern ist es kalt. Grundnahrungsmittel wie Reis, Zucker und Brot werden zwar vom Staat subventioniert, aber die Abwertung des syrischen Pfund lässt die Lebenshaltungskosten in die Höhe schnellen.

Sanktionen gegen Syrien

Wie so oft, wenn man mit Menschen in Syrien spricht, fällt auch in Yousefs Wohnung das Wort "Wirtschaftskrieg". Die Regierung in Damaskus hat zwar militärisch Erfolge gefeiert, wirtschaftlich aber ist Syrien zwischen Hammer und Amboss geraten.

Auf der einen Seite Sanktionen, verhängt von EU-Staaten und den USA. Auf der anderen Seite die Bündnispartner Assads, die einen Anteil an den Ressourcen des Landes einfordern. Russland hat sich Gewinnbeteiligungen an den Öl- und Gasfeldern und beim Phosphatabbau gesichert. Ein russisches Unternehmen erhielt 2019 einen Pachtvertrag auf 49 Jahre für den Frachthafen Tartous.

Damaskus läuft auf diese Weise Gefahr, seine wirtschaftliche Zukunft zu verpfänden. Das daraus resultierende Elend macht sich im Alltag der Syrer breit. Für einen großangelegten Wiederaufbau fehlt das Geld.

Zerstörung für drei Generationen

Auf der Zitadelle hängt ein riesiges Poster von Bashar al-Assad im Sakko. Darunter breitet sich die völlig zerstörte Altstadt aus. Minarette, Kirchtürme, die historischen Gebäude der Altstadtviertel bis hinaus ins Industrieviertel – alles zerbombt und zerschossen. Der Aufbau geht nur langsam, schrittweise voran. Ein Teil des alten Souk wird neu überdacht. In eine Handvoll Läden sind die Metallhandwerker zurückgekehrt.

Der Wind weht das Knattern der Maschinengewehre von den Kämpfen westlich Aleppos herüber. Dann setzt das Krachen der russischen Bomben ein. Während in Damaskus und Aleppo die Menschen gegen das wirtschaftliche Elend ankämpfen, sind in der Nordwestprovinz Idlib Hunderttausende auf der Flucht vor den Kampfhandlungen und Luftbombardements.

Hilfsorganisationen warnen inzwischen vor einer humanitären Katastrophe im Nordwesten. Es gebe für Zivilisten im letzten großen Rebellengebiet um die Stadt Idlib kaum noch Orte zum Leben.

Derweilen werden die Flüchtlinge zum Spielball für die Politik. Die Türkei hat ihre Grenzen geschlossen. Flüchtlingslager im Norden Syriens sind längst überfüllt. Rania, die junge Frau mit dem kleinen Hund, sagte in Damaskus, Syrien sei für drei Generationen zerstört. Es ist zu befürchten, dass sie recht hat. (Markus Schauta, 7.3.2020)