Direktverkauf während einer Tupperware-Party: Persönlicher Kontakt schafft Nähe, Nähe schafft Kundinnen.

Foto: Valentina Dirmaier

Sie kann nicht wirklich nachvollziehen, warum sie zu dieser privaten Nachmittagsparty mitgeschleppt wird. Schließlich wolle sie das Trumm gar nicht kaufen, sagt meine Mutter. Es nehme Frauen die letzte Freiheit im Haushalt und sei zu teuer. Sie sitzt auf dem Beifahrersitz, auf dem Weg zu ihrer ersten Thermomixparty. Sehr widerwillig – eine größere Skeptikerin als meine Mutter (63) werden Vorwerk-Verkaufsdame Maria und der umjubelte Küchenroboter TM6 selten gehabt haben.

Am Anfang der Party ist das Brot. Sechs Geladene stehen rund um die Kücheninsel, beobachten jeden Handgriff der Gastgeberin. Diese pickt ein Versuchskaninchen aus der Gruppe und instruiert, wie der TM6 zu handhaben ist: Zuerst das Rezept auf dem Touchscreen auswählen, dann gibt das Gerät die Anweisungen. Getreide in den Alubehälter gießen. Deckel schließen. Start drücken. Es surrt und wummert, als nähme ein Presslufthammer das Zimmer auseinander. 30 Sekunden später ist der Spuk vorbei. Wasser und Gewürze dazu. Die Maschine mischt. Nun darf der Teig bei Zimmertemperatur rasten.

Der Thermomix wird meistens über Partys vertrieben.
Foto: Thermomix

Jetzt ist Zeit zum Plaudern: Zwischen den Thermomixanhängerinnen und -Anhängern wird gefachsimpelt. Meine Mutter hat keine Ahnung, kann nicht mitreden, will aber ein bisschen dazugehören. Den nächsten Gang, Kürbiscremesuppe, darf sie zubereiten. Mithilfe der anderen versucht sie sich an dem hochsensiblen Elektronikgerät und findet Gefallen. Obwohl der Preis saftig ist: 1.359 Euro kostet die kleinste Küche der Welt, wie das Multifunktionsgerät vom deutschen Hersteller Vorwerk betitelt wird. Die Verkaufstheke ist meistens der gewöhnliche Küchentisch – der Direktvertrieb ist der größte Absatzkanal.

Das Zauberwort lautet: "Wohlfühlambiente". Vertrauen zum Produkt soll durch den persönlichen Kontakt aufgebaut werden. Zweifel werden mit fröhlichen Geschichten weggewischt. Wer fremdelt, muss Hand ans Gerät legen. Das funktioniert nur im geschützten privaten Bereich.

Im kleinen, intimen Umfeld werden aus Zweiflern schnell Getreue und diese mitunter sogar Teil des Systems: Momentan ist Aktionszeit. Maria frohlockt. "Verkaufst du vier Thermomix, bekommst du einen geschenkt." Sie selbst startete 2016, verkaufte damals sechs Stück und war sofort mit dem Vorwerkvirus infiziert.

Viel zeitlicher Aufwand

Marias Begeisterung ist noch immer groß. Wenngleich der Gewinn für die selbstständigen ThermomixberaterInnen – in Österreich sind es an die 1.000, weltweit 44.500 – nicht sonderlich hoch ist. Der Aufwand schon: Viele Stunden verbringt Maria auf Partys, veranstaltet Back- und Kochabende. Dieser höchstpersönliche Einsatz macht sich vor allem für das Mutterunternehmen bezahlt. 2018 erzielte Vorwerk in 80 Ländern in Europa, Asien und Amerika einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Staubsauger Kobold, das älteste Rennpferd im Vorwerk-Stall, erzielte nur 757 Millionen Euro Umsatz.

Für Maria ist es Zeit, die Skeptikerin in der Runde zu überzeugen: Mama muss noch einmal an den Helden. Der Küchenroboter ist ihr noch nicht vollends geheuer. Maria assistiert. Geschälte Kartoffeln und geputztes Gemüse kommen in den Alubehälter; der Lachs wird mit einer selbstgemachten Kräuterpaste einbalsamiert und in einen Aufbau geschlichtet. Zum Schluss knetet ihr "Thermi" noch den Teig für warme Schokoküchlein. Ab in den Ofen, fertig. Wir sind bereit für die nächste Party.

Plastik für alle

Wieder gibt es Kuchen. Wieder hat der Thermomix gebacken, aber Gastgeberin und Produkte sind andere. Es wird im Damenkreis getuppert. In der blitzsauberen Küche stapeln sich allerhand bunte Dosen und Küchenutensilien von Tupperware. Zuerst die Warenrücknahme. Und dabei will Heidi, die Tupper-Beraterin, seit 17 Jahren im Teilzeitgewerbe, gleich mit üblen Gerüchten aufräumen. Dem Unternehmen Tupperware soll es ja nicht so gut gehen? Papperlapapp. Garantien gibt es, und Ware wird weiterhin umgetauscht. Bis auf wenige Ausnahmen nehme der Konzern Kaputtes zurück: die undichte Mehldose der Oma, den aus der Form gelaufenen Teigbottich der Mutter, die Jausendose mit dem abgebrochenen Verschluss des Kindes. Man merkt schnell: Die Plastikwelle, die seit 55 Jahren den österreichischen Markt flutet, muss die bunten Wunderschüsseln in fast jeden heimischen Haushalt geschwemmt haben.

Auch Tupperware setzt seit Jahrzehnten auf die berühmten Partys. Je mehr Umsatz, umso mehr Geschenke gibt es für die Gastgeberin.
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Die Gäste – die meisten von ihnen Hausfrauen mit Kindern und berufstätig – sind mit Katalog, Wunschliste und Kugelschreiber ausgerüstet und notieren. Die Schwiegermutter, der Ehemann, der Sohn, alle sind Teil des Abends – aber nur in Geschichten über ein Tupper-Produkt.

Die anfängliche Zurückhaltung weicht, es wird geplaudert und diskutiert. Persönliches schafft Nähe, auch hier. Dieses Potenzial erkannte der US-Amerikaner Earl Silas Tupper schon in den 1950ern. Tupper wurde zur Goldgrube.

Seit einiger Zeit sind die Umsätze rückläufig, besonders in Europa. Mit einem Parallelhandel in der virtuellen Welt soll der Kundenschwund aufgehalten werden: Die digitalisierte Party, bei der Kundinnen und Verkäuferin über Videokonferenzen kommunizieren, ist in der Testphase.

Heidi bevorzugt den direkten Draht. Sie leitet um die 70 Partys im Jahr, hat einen großen Stammkundenkreis. "Es ist ein Hobby mit sehr gutem Nebenverdienst", sagt Heidi, die die frische Ware regelmäßig von einem Zentrallager holt und an die jeweilige Gastgeberin zustellt. Dieser obliegt die Organisation des Abends.

Für Aufwand und kaufkräftige Gäste gibt’s den Lohn in Dosen: Ein Gratis-Set gibt’s ab 300 Euro Umsatz; sind es 700 Euro, und eine der Damen entscheidet sich, die nächste Party auszurichten, gibt’s noch Servierboxen obendrauf. So füllt sich der Haushalt. Den Teilnehmerinnen winken ebenfalls Aktionen. Die Verlockung ist groß. Sechs Dosen um 20 Euro. Unschlagbar.

Die "Tupperware-Methode" gerät immer wieder in Verruf. "Sekte mit Schneeballsystem", schimpfen Tupper-Feinde, unter ihnen auch Partyaussteiger. Manche von ihnen haben sich, ihre Familien und Freunde zum Hamstern animiert – kauf mehr, dann winkt dir eine höhere Prämie –, bis sich die in Plastiksäcken verpackten Plastikutensilien bis unter den Dachgiebel auftürmen ließen. Da half nur noch der kalte Entzug.

Kosmetik aus der Steiermark

Ihre Produkte kann Martina nicht horten. Lagerräume wären der Tod der Frischekosmetik und Ergänzungsmittel von Ringana. Dritter Abend, dritte Party. "Frischedate" wird der Verkaufsabend genannt, der mit einer Vorstellrunde beginnt. Wer etwas von sich preisgibt, kann bestimmt einfacher von einer Philosophie überzeugt werden. Dann folgt die Erzählung, wie das Erstprodukt, natürliche Zahnpasta ohne Konservierungsstoffe, entstand.

Inzwischen sind Produktpalette und Mitarbeiterzahlen der Firma Ringana rasant gewachsen: Konstant 55 Produkte werden hergestellt, regelmäßig wird das Sortiment umgewälzt. 300 Mitarbeiter sind in Hartberg beschäftigt. Keine Aktiengesellschaft, sondern ein authentischer Familienbetrieb, hebt Martina, die Verkäuferin und "Frischepartnerin", hervor. Die Produkte, die sie nacheinander testen lässt, sind nur kurz haltbar. "Zu frisch", sagt sie und reicht ein Glasflakon nach dem anderen. Sind sie leer, nimmt sie das Öko-Vorzeigeunternehmen zurück. Nachhaltigkeit werde bei Ringana großgeschrieben, wirbt Martina.

Die Glasflakons von Ringana können wiederbefüllt werden.
Foto: Ringana

Der Produkttest ist unterhaltsam: Zuerst wird enthusiastisch geschnuppert. Dann reibt, wischt, rubbelt die Damenrunde in Hände und Gesicht. Tagescreme, Bodylotion, Einheits-Make-up, Shampoo, Make-up- Entfernung, Sonnencreme. Dazu wird die Ringana-Bibel, das Produktheft, gereicht. Die Salbe zieht in die Haut, die Gruppendynamik in den Kreis. Der Verkaufsfunke will an diesem Abend aber nicht so recht überspringen. Die Damenschaft verbleibt bei Wein, frischgebackenem Brot und selbstgemachten Aufstrichen.

Drei Abende, dreimal Verlockung durch psychologische Raffinesse. In meiner Endabrechnung stehen: 60 Euro für Plastikgeschirr, nicht lebensnotwendig, aber brauchbar. Der Kaufrausch um den Küchentisch ist ausgeblieben – vorerst. Die Mutter flirtet noch mit dem Thermomix. (Valentina Dirmaier, 7.3.2020)