Der eine weiß sehr genau, was er will, der andere nicht, wie er damit umgehen soll. Sebastian Kurz blickt entschlossen in die Zukunft, Werner Kogler wirkt dieser Tage noch etwas zerknitterter als sonst.
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Ich schlafe im Moment weniger gut", sagt Ewa Ernst-Dziedzic, stellvertretende Klubobfrau der Grünen im Parlament. Die derzeitige Situation in Europa und das Verhalten des Koalitionspartners bereiten ihr Sorgen. Nicht, dass das überraschend gekommen wäre: Ernst-Dziedzic hat das Kapitel Flüchtlinge mit der ÖVP verhandelt, sie weiß nur allzu gut, was im Regierungsübereinkommen steht – und was nicht. Sie kennt die Position der ÖVP. Sie selbst hat eine andere, aber mehr sei aufgrund der Ausgangslage nicht drin gewesen. Ein Kompromiss, einer, der sie aktuell weniger schlafen lässt. Die Grünen seien eben nicht nur eine Umweltpartei, sie seien auch eine Menschenrechtspartei – und diesem Anspruch würden sie auch als Juniorpartner in der Regierung gerecht werden wollen, sagt Ernst-Dziedzic. Das heißt Druck auf die ÖVP ausüben, Verbündete suchen, sich europäisch vernetzen, nicht nachgeben, nicht aufgeben.

Die Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic fliegt am Wochenende nach Lesbos, weil sie es nicht aushält nichts zu tun. Die Koalition sieht sich nicht gefährdet, noch nicht.
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Das sei nicht aussichtslos. "Sebastian Kurz hat nicht die Absolute", sagt Ernst-Dziedzic. Nicht alle seien kaltherzig. In der ÖVP gebe es auch Personen, die für Ideen der Grünen nicht nur Verständnis, sondern auch Sympathie hätten. Es gehe nicht nur darum, Ordnung an den Grenzen zu garantieren, sondern auch darum, zu helfen. Herausforderungen wie diese seien die Probe aufs Exempel, ob die Grünen in der Regierung etwas bewegen können, ob beides zusammengeht: Handlungsfähigkeit und Humanismus, wie die Grüne sagt.

Die Koalition sieht sie nicht gefährdet – noch nicht. "Mir war immer klar, was mit der ÖVP geht und was nicht. Ich werde das deshalb nicht nach wenigen Wochen infrage stellen." Die Grünen seien jedenfalls die bessere Alternative in der Regierung als die FPÖ.

Nicht nichts tun

An diesem Wochenende fliegt Ernst-Dziedzic nach Lesbos, weil sie es nicht aushält, nichts zu tun. Die grüne Abgeordnete will sich selbst ein Bild machen, sie will darüber berichten, auch dem Kanzler daheim in Österreich.

Michel Reimon macht aus seinem Unmut kein Geheimnis, er setzt derzeit auf die kleinen Schritte und mahnt sich selbst zur Geduld.
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Auch Michel Reimon, ein anderer Abgeordneter der Grünen, hat sich dieser Tage die Frage gestellt, ob sich die Koalition mit der ÖVP auszahle. Die Position der ÖVP im Umgang mit Flüchtlingen hält er für beschämend. Und sagt das auch. Immerhin konnten die Grünen, so stellt es Reimon dar, in den Verhandlungen mit der ÖVP eine Soforthilfe von drei Millionen Euro herausholen. Viel zu wenig, wie er meint, aber besser als nichts. Er selbst war in die Verhandlungen mit zehn Millionen Euro eingestiegen. Zahlt sich diese Koalition aus? Reimon: "Opposition sein wäre in den vergangenen Tagen leicht gewesen, denn was aus humanistischer Sicht richtig ist, kann ich schnell formulieren. Aber ich möchte es auch politisch durchsetzen."

Muss man nicht mögen

Die letzten Tage seien zäh gewesen, aber es gebe immerhin einen Verhandlungserfolg. "Und dann reden wir von vorne darüber, wie wir Kinder, Kranke und ihre Betreuungspersonen im Notfall aus Griechenland holen können." Die Rhetorik der ÖVP schlägt ihm auf den Magen. Reimon spricht sich Trost zu: "Dann denke ich einfach an die Menschen in den Lagern, wie viel die ertragen müssen und dass ich nicht so empfindlich sein darf." Sein Fazit: "Mögen muss man das alles nicht. Aber machen. Solange zahlt sich das aus."

Die Grünen sind hin- und hergerissen. Disziplin, Pakttreue, man könnte auch sagen: Unterwerfung auf der einen Seite, ein wachsender Unmut, eine leise Verzweiflung und Ansätze zum Widerstand auf der anderen Seite. Die Position der ÖVP in der Flüchtlingsfrage stößt vielen auf. Aber sie müssen das mittragen. Auch wenn viele murren, manche offen, die meisten hinter vorgehaltener Hand. Denn niemand will den Regierungspartner vor den Kopf stoßen und die Koalition grundsätzlich infrage stellen. Noch gilt: besser wenig umsetzen, als gar nichts umsetzen können.

Keinen Millimeter abweichen

Sebastian Kurz hatte von Anfang an klargemacht, was seine Position ist oder sein würde, falls das Flüchtlingsthema wieder hochkocht. Und dass er nicht bereit sei, auch nur einen Millimeter davon abzuweichen. Das wusste Werner Kogler, das war eine Bedingung zu Beginn der Koalitionsverhandlungen – und Kogler hat das akzeptiert.

Allerdings hatte Kogler nicht damit gerechnet, dass das Flüchtlingsthema so rasch wieder ganz oben auf der innenpolitischen Tagesordnung stehen würde. Und jetzt geht es darum, Grenzen zu schließen, das Bundesheer im Assistenzeinsatz zu verlängern, Griechenland und Ungarn mit Polizisten auszuhelfen – und ganz sicher keine Flüchtlinge aufzunehmen, keinen einzigen, auch keine Frauen, keine Kinder. Bundeskanzler Kurz gibt das Tag für Tag vor, sein Innenminister Karl Nehammer wiederholt das brav, immer wieder. Österreich sei genug belastet. Und man dürfe sich nicht erpressen lassen.

Keine lockeren Sprüche

Werner Kogler lässt ein wenig den Kopf hängen. Wenn er neben Kurz und Nehammer steht und es nur um eines geht, Grenzen dicht und Routen zu und Polizisten hier und Soldaten dort, dann ist ihm sein Unglück anzusehen. Da gibt es auch keine lockeren Sprüche mehr, mit denen sich Kogler sonst so gerne über Unebenheiten hinweghilft. Kogler verspürt da nicht nur ein persönliches Unwohlsein, ihm ist auch bewusst, dass das Selbstverständnis der Grünen infrage gestellt wird. Am Dienstag, nach dem Arbeitstreffen der Regierungsmitglieder und den gemeinsamen Pressestatements zur aktuellen Situation in der Türkei und in Griechenland, sagte Kogler ganz am Schluss: "Wir nehmen niemanden, das wird sich nicht ausgehen." Er sagte das leise, und Kurz war da schon im Abgang.

Der Abgeordnete Lukas Hammer stärkt Parteichef Werner Kogler den Rücken und sieht noch viel Überzeugungsarbeit vor sich.
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Dafür, dass Kogler in dieser Frage etwas verhalten ist und jedenfalls nicht auf den Putz haut, muss er viel Kritik einstecken. Vor allem in den sozialen Medien wird mit den Grünen hart ins Gericht gegangen. Aus der Partei selbst erhält Kogler viel Rückhalt. Seine Meinung, dass Österreich Flüchtlinge aufnehmen sollte, wenigstens ein paar Frauen und Kinder, sei keineswegs nur eine Privatmeinung, wie Kogler noch zu Wochenbeginn sein eigenes Begehr etwas untertänig kleinspielte. Das sei grüne Linie, da springen ihm viele Funktionäre demonstrativ zur Seite. "Das ist nicht nur die private Haltung von Werner Kogler, sondern eine politische Position der Grünen", hält der grüne Abgeordnete Lukas Hammer fest. Er bedauere "zutiefst", dass sich die Grünen in diesem Punkt bei der ÖVP nicht durchsetzen konnten. "Da haben wir anscheinend noch viel Überzeugungsarbeit beim Koalitionspartner vor uns."

Bürde der Koalition

Natürlich ist es allen Beteiligten bekannt, wie weit ÖVP und Grüne in dieser Frage auseinanderliegen, das ist kein Geheimnis. Das war von Beginn an die Bürde dieser Koalition. Neu an dieser Koalition ist, dass man Differenzen nicht verheimlicht oder wegwischt, sondern sie stehen lässt. Georg Bürstmayr, Anwalt in Wien und für Asylpolitik zuständiger Abgeordneter der Grünen, sieht das noch gelassen. Dass Grüne und ÖVP einen unterschiedlichen Fokus haben, sei bekannt, dass bei den Regierungsverhandlungen kein grünes Programm herausgekommen ist, auch. "Meine Überzeugungen habe ich deshalb nicht aufgegeben", sagt Bürstmayr, der an die Geduld appelliert. "Es braucht eben Zeit, mit der ÖVP gemeinsam zu Lösungen zu finden.

Anwalt und Abgeordneter Georg Bürstmayr hat größtes Verständnis für jene, die die Haltung der ÖVP ganz schwer aushalten.
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Dass viele da nicht mitkönnen, versteht er: "Wenn man empathisch ist mit den Kindern, die unter elendigen Bedingungen in den Flüchtlingslagern vegetieren, mitleidet, wenn man selber Kinder hat, dann hat man keine Geduld, dann wird man das ganz schlecht aushalten." Dass die Grünen in den sozialen Medien heftig hergewatscht werden, beunruhigt Bürstmayr auch nicht: "Das sind Medien der Ungeduld. Wir brauchen für politische Lösungen aber Zeit und Beharrlichkeit."

Die grüne Abgeordnete Faika El-Nagashi tut sich schwer, diese Geduld noch aufzubringen. Am Freitag nahm sie an einer Demonstration unter dem Motto "Transnationale Solidarität gegen Rassismus und Krieg" teil. Sie sieht ihren Platz an der Seite der Zivilgesellschaft – und will sich weniger mit der ÖVP auseinandersetzen. "Wir sind als Grüne eine eigenständige Partei und stehen, besonders in dieser Frage, für etwas ganz anderes. Wir Grüne sind und bleiben eine Menschenrechtspartei."

Die Abgeordnete Faika El-Nagashi geht für ihre Anliegen auch auf die Straße, sie sieht ihren Platz an der Seite der Zivilgesellschaft. Und nicht an der Seite der ÖVP. Nicht in dieser Frage.
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El-Nagashi, die ungarisch-ägyptische Wurzeln hat, tritt vehement dafür ein, dass Österreich nach Maßgabe der Möglichkeiten, wie sie betont, Flüchtlinge aufnehmen soll. Dafür gebe es auch in der ÖVP Verständnis, glaubt sie, wenn auch nicht ganz oben. "Das ist keine Frage der Parteiideologie. Jede Person, die sich vorstellt, das ist mein Kind in einem dieser Lager, weiß sofort, was zu tun ist." Man müsste Flüchtlinge endlich als Menschen wahrnehmen. Dass die Regierung drei Millionen Euro als Soforthilfe für Syrien bereitstellt, beeindruckt El-Nagashi nur bedingt. Sie kann sich einen Seitenhieb auf den Koalitionspartner nicht verkneifen: "Das ist ein Bruchteil dessen, was manche Parteien für ihre Medienkampagnen ausgeben." Den Aktionstag am Donnerstag, der unter dem Motto "Grenzen schließen heißt auf Menschen schießen" direkt vor der ÖVP-Zentrale stattfand, hat sie aber ausgelassen. "Das muss nicht sein", sagt El-Nagashi, "ich kann meinen Unmut ja auch direkt einmelden." (Michael Völker, 7.3.2020)