Margherita Luti, historisch als "La Fornarina" (Bäckerstochter) überliefert, stand Raffael für viele Bilder Modell: Er malte sie sowohl als verführerische Venus als auch als keusche Mutter Gottes.
Foto: Roma, Gallerie Nazionali d’Arte Antica – Palazzo Barberini

Raffael 1520–1483. Die ungewöhnliche Zahlenfolge ist kein Versehen. Sie macht klar, worum es der Schau in Rom geht: Sie versteht sich als Rückblende und beginnt mit dem Tod des Malers. Ein Ansatz, der dem Besucher, der es gewohnt ist, den Werdegang eines Künstlers von den Anfängen bis zur Reifezeit zu verfolgen, die nicht ganz einfache Aufgabe abverlangt, sich von Raffaels Glorifizierung zu den ersten Zeugnissen seiner künstlerischen Tätigkeit zurückzutasten.

Raffael starb am 6. April 1520, an einem Karfreitag, in Rom. Ein Fieber raffte den 1483 in Urbino geborenen Maler dahin. Sein früher Tod erschütterte die Welt, vor allem die geistlichen und weltlichen Fürsten in Rom, die sich seit der Ankunft des Malers in der Stadt im Jahr 1508 um ihn rissen. Dabei war die Konkurrenz alles andere als schwach, war es doch just das Jahr, in dem Michelangelo sich an die Ausführung der Genesis, das Meisterwerk in der Sixtinischen Kapelle, machte.

Doch während der Florentiner in Rom fast überall aneckte, ob seines nicht gerade einfachen Charakters, war Raffael überaus beliebt. Er wurde geradezu vergöttert, wovon auch sein monumentales Grab im Pantheon zeugt, das den Besucher in der Schau in lebensgroßer Reproduktion gleich eingangs empfängt, zusammen mit der Grabinschrift, die in großen Lettern an der Wand prangt: "Ille hic est Raphael, timuit quo sospite vinci, rerum magna parens et moriente mori." (Hier ruht Raffael, von dem die große Mutter der Dinge (= Natur) fürchtete, besiegt zu werden, solange er lebte, und zu sterben, als er starb.)

Die Natur übertroffen?

Gelang es Raffael, die Natur zu übertreffen? Die Schau in den Scuderien des Quirinals suggeriert mit über 100 Werken des Meisters – von denen ein großer Teil grafische Blätter sind – und einem Beiwerk von 100 weiteren, nicht immer überzeugenden Exponaten eine Antwort: Raffael erhöhte die Natur kraft des Geistes. Beim Menschen angefangen, den Raffael nicht nur lebendig darzustellen wusste, sondern dessen Seele er zum Vorschein brachte. So blickt Papst Leo X. zwischen den Kardinälen Giulio de’ Medici und Luigi de’ Rossi forsch und sanftmütig in die Runde, duldsam und doch zweifelsohne von dynastischem Ehrgeiz getrieben.

Das Bildnis hat für einen kleinen Eklat gesorgt. Die Florentiner Uffizien sind Mitorganisator der Schau und haben diese mit 49 Werken – über 30 von Raffael selbst – großzügig bestückt. Weitere 21 Werke standen auf einer Liste, die Florenz nicht verlassen sollten, darunter eben auch das Bildnis des Medici-Papstes. Da ihm aber in der Schau tatsächlich eine zentrale Rolle zufällt, ignorierte der Direktor der Uffizien, Eike D. Schmidt, die von dem wissenschaftlichen Komitee des Museums erstellte Liste. Aus Protest gegen Schmidts eigenmächtiges Handeln trat der Ausschuss geschlossen zurück. Ein unnötiger Streit, den man vielleicht friedlicher hätte schlichten können.

Das Porträt von Papst Leo X. sorgte in Italien für einen Eklat: Obwohl das Bild die Florentiner Uffizien eigentlich nicht hätte verlassen dürfen, verlieh es Direktor Eike Schmidt trotzdem nach Rom. Die Folge: Das wissenschaftliche Komitee trat zurück.
Foto: Firenze, Gallerie degli Uffizi, Galleria delle Statue e delle Pitture

Dank Schmidts autoritärer Entscheidung sind nun jedenfalls zum ersten Mal die Bildnisse der beiden wichtigsten Männer der Kirche und Förderer Raffaels in einer Schau vereint. Allerdings müssen Besucher sich leider dank der strikt chronologischen Rückblende einige Säle gedulden, bis sie nach Leo X. (aus dem Jahr 1518) denn auch auf Julius II. treffen. Das Porträt wurde kurz vor dem Tod des Papstes 1512 gemalt. Es zeigt nicht den gemeinhin als tyrannischen Kirchenvater beschriebenen Mann, sondern einen in sich versunkenen, von der Zeit gezeichneten Menschen.

Die Bäckerstochter als Göttin

Doch enthüllte Raffael nicht nur die Seele hoher Geistlicher. Er verstand sich auch durchaus auf das Leibliche, namentlich Weibliche. Seine große Liebe galt Margherita Luti, der Tochter eines Bäckers: die berühmte Fornarina. Raffael malte sie als Venus, doch irdener kann man die Liebesgöttin wohl kaum malen. Zwar entspricht die Haltung der Arme und Hände der Dame dem Modell der "Venus pudica" der Antike, doch scheint die Schönheit mit der schamhaften Geste eher auf ihre unverhüllten Reize hinzuweisen denn sie verdecken zu wollen – und zwar mit einem ausgesprochen entwaffnenden Lächeln.

Mit einem Lächeln auf den Lippen begegnen dem Besucher auch Raffaels zahlreiche Madonnen. Etwa die Madonna Tempi von 1507/08. Beglückt hält die Jungfrau ihr Kind im Arm, den Kopf leicht geneigt umspielt ein Lächeln ihren Mund, während der Knabe voller Vertrauen in die Welt schaut. Es ist diese Heiterkeit, diese Leichtigkeit des Seins, die Raffaels Bilder einzigartig machen.

Seine Idealisierungen erscheinen von so unglaublicher Natürlichkeit und Spontaneität, dass man bezaubert vergisst, dass sie nur Schein sind beziehungsweise einer vom Künstler geschaffenen Welt angehören. Eine Welt, die Raffael harmonisch wollte – kraft des Geistes, wie uns das letzte Bild der Schau wieder zu sagen scheint: Es ist Raffaels Selbstbildnis von 1508. Ein durchgeistigtes Gesicht blickt uns entgegen, aus dem Selbstbewusstsein und Entschlossenheit sprechen. (Eva Clausen aus Rom, 7.3.2020)