Moria auf Lesbos ist das schlimmste Lager, schlechter als jene in der Türkei: Hier leben Kinder zwischen Müll, im Schlamm, in der Kälte.
Foto: AFP / Louisa Gouliamaki

Die griechische Marine untersagte am Freitag allen Segelbooten, in den Gewässern rund um Lesbos, Chios und Samos zu fahren. In Athen fürchtet man nämlich, dass Flüchtlinge und Migranten nun vermehrt aus der Türkei über den Seeweg kommen, nachdem es den Behörden in den letzten Tagen gut gelungen ist, die Landgrenze zu kontrollieren und am Fluss Evros irreguläre Einreisen zu verhindern.

Die Kölner Sozialanthropologin und Migrationsexpertin Jutta Lauth Bacas verweist darauf, dass der Wasserkanal zwischen der Türkei und Lesbos mit Radar und Satelliten überwacht wird. Bei gutem Wetter sei es aber sogar möglich, die wenigen Kilometer mit dem Tretboot zurückzulegen. "Polizei und Küstenwache fürchten, dass mit dem Frühling und Sommer mehr Boote anlanden."

Die Frage sei nun, wie stark Griechenland die Aufnahmeka pazitäten ausbauen könne. Anders als 2015 können die Migranten und Flüchtlinge nämlich nicht mehr aus Griechenland weiterreisen. "Die Ostägäischen Inseln bleiben der wunde Punkt für Griechenland", sagt die Expertin, "weil eine starke Zunahme der Migration dorthin zur totalen Überforderung der Behörden führt." Schon jetzt braucht es viele Monate, bis ein Asylwerber das erste Mal gehört wird. "Man darf nicht vergessen, dass der griechische Asyldienst als unabhängige Behörde aufgebaut wurde, als noch das Memorandum galt, das einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst verfügte", sagt Lauth Bacas dem STANDARD. Stellen konnten nur besetzt werden, wenn Beamte anderswo abgezogen wurden.

Zu wenige Beamte

Die Einstellung von Asylbeamten hatte auch in einer Zeit, als in den Spitälern das Personal fehlte, keine Priorität. "Zudem waren die Reaktionen auf die Ausschreibungen sehr zögerlich, und es gab Kürzungsauflagen im öffentlichen Dienst, die es erschwerten, die Behörden auf den Inseln auszustatten", so Lauth Bacas, die oft in Lesbos forscht. Außerdem sei das Geld nicht immer an die richtigen Stellen gelangt. Die neue griechische Regierung will Neueinstellungen nun forcieren. Doch es braucht große Expertise, um Asylanträge bearbeiten zu können.

Lauth Bacas merkt auch an, dass Vertreter der EU-Kommission seit 2017 den Eindruck erweckten, dass die Flüchtlingskrise vorbei sei. Das habe die Strategien in Athen beeinflusst – und man habe kein Personal aufgestockt. "Die Krise erwischt die Behörden nun auf dem falschen Fuß."

Derzeit leben nach Angaben der EU-Kommission auf den griechischen Inseln rund 42.000 Migranten. Unter ihnen seien ungefähr 5500 unbegleitete Minderjährige.

Keine Kompetenz bei Asylentscheidungen

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), schickt seit Jahren Experten nach Griechenland, die zwar bei der Registrierung und bei Interviews helfen können, aber keine Asylentscheide machen dürfen. Denn dies betrifft nationales Hoheitsrecht und darf nur von griechischen Beamten gemacht werden.

Lauth Bacas denkt auch nicht, dass irgendein EU-Staat auf dieses Hoheitsrecht verzichten wird. "Es wird deshalb kein gemeinsames Asylrecht geben. Denn die Differenzen der Mitgliedstaaten haben in den letzten Jahren noch zugenommen", analysiert sie. Lauth Bacas weist auch auf Probleme des EU-Türkei-Deals hin.

"Erstens war Griechenland bei dem Pakt nicht anwesend und stellte sich danach auf den Standpunkt, dass Syrer, die nach Griechenland einreisen, trotzdem Asylanträge stellen können." Laut Abkommen hätten sie gleich in die Türkei zurückgeschickt werden müssen.

Afghanen nicht einbezogen

Zudem bezieht sich der Pakt nur auf Syrer und nicht etwa auf Afghanen, die bei weitem die größte Gruppe der Migranten darstellen. Viele Flüchtlinge kommen zudem ohne Papiere. Die griechischen Behörden müssen Ersatzpapiere besorgen. Dies bedarf der Mitarbeit des Herkunftslandes und ist langwierig. "Griechenland hat mit Abschiebungen in Drittländer wenig Erfahrung. Die Anzahl der Rückführungen ist überschaubar", so Lauth Bacas. (Adelheid Wölfl aus Athen, 6.3.2020)