Die Organisation Terre des Femmes protestiert mit dem Video #UnhateWomen gegen frauenfeindlichen Deutschrap. Im Gastkommentar beschreibt Rapperin Yasmin Hafedh aka Yasmo, warum Rap Selbstermächtigung ist – und nicht Überlegenheit.

Illustration: Felix Grütsch

"Yasmo, wieso hast du dich als Feministin für so ein sexistisches Genre entschieden?" Diese Frage wird mir nicht selten gestellt. Als wäre meine Einstellung als intersektionale Feministin – soll heißen, es geht mir nicht nur um weiße Frauen, sondern basically alle Menschen, die in irgendeiner Form ausgebeutet und ausgeschlossen werden – ein Grund, aus einer Kultur ausgeschlossen zu werden, wo ich doch gerade dafür kämpfe, dass es für niemanden nirgends Ausschlusskriterien geben soll.

Zurzeit wird Sexismus im Rap besprochen, kommt immer wieder vor. Abwechselnd geschieht das mit den Themen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Nationalismus – alles Probleme im Rap. Und in der Gesellschaft.

Warum so überrascht?

Langsam gewöhnen wir es uns endlich ab, von "Beziehungsdramen" oder "Eifersuchtstragödien" zu sprechen, und benennen es als das, was es ist: Gewalt an Frauen. Rap hat zumindest nie einen Hehl daraus gemacht, auch sexistisch zu sein, unsere Gesellschaft schon.

Warum ist das alles also eine so große Debatte, und warum sind alle so überrascht?

Die Aktion #UnhateWomen von Terre des Femmes hat ein Video online gestellt, indem frauenverachtende Rapzeilen von Frauen vorgetragen werden und am Ende des Videos der Appell folgt: "Alle hören Gewalt gegen Frauen. Es ist Zeit, das zu ändern. Fang damit an!"

Das Video schlägt Wellen, die Berichterstattung gibt einem Rapper, der wahrscheinlich bald ein neues Album auf den Markt bringt und weiß, wie Marketing funktioniert, eine Plattform. Weil dieser ein Kopfgeld austweetet, und das Internet spielt mit.

Eine Selbstermächtigung

Wieso mache ich also Rap? Weil Rap für mich Selbstermächtigung ist. Eine Auseinandersetzen mit Gegebenheiten und ein kritisches Hinterfragen – Sprache hilft da. Sprache schafft Realität. Mit Sprache sind wir fast alle ausgerüstet.

Und es geht um den Ausdruck im Rap – literally. Also geht es um die Sprache.

Warum schreibe ich in meinen Raptexten über Ungleichbehandlung, Politik, den Kapitalismus und den Wunsch, mal eine Pension zu bekommen? Weil mich diese Themen beschäftigen und betreffen und ich sie sichtbar machen will, im besten Fall inspiriere ich jemanden damit.

Yasmin Hafedh: Rap ist Selbstermächtigung.
Foto: Kidizin Sane

Rap ist eine Kultur, die grundsätzlich offen für alle ist und niemanden ausschließt. Rap per se fördert Selbstermächtigung, jede und jeder kann mitmachen, oder? Das mag ich an Rap.

Das mag ich auch an unserer Gesellschaft, jede und jeder kann mitmachen, oder?

Oder etwa nicht? Kann es sein, dass die Akademikerinnen und Akademiker sich freuen, Rap zu verachten, kommt er doch nicht von ihnen? Kann es sein, dass das Feuilleton genauso sexistisch ist, solange sie weiße Boys feiern und es als Kunst kennzeichnen, bis es halt echt nicht mehr geht? Kann es sein, dass das in allen anderen Kunstsparten genauso abläuft?!

So weit okay, cool.

Wenn in der Breitenwahrnehmung immer noch das Märchen von Macht als Symbol für Überlegenheit und in weiterer Folge für Möglichkeit der Ausbeutung und Unterdrückung erzählt wird, wie tumma?

Wer trägt die Verantwortung?

Wer trägt denn die Verantwortung für Sexismus? "Das Patriarchat", rufen wir gleich alle und wissen Bescheid.

Aber bei Sexismus, wie auch bei allen anderen braunen Ästen unserer Gesellschaft, tragen wir alle, jede und jeder Einzelne von uns, Verantwortung. Die Teilhabe an dieser Verantwortung wird manchen leichter, manchen schwerer gemacht, aber die Verantwortung ist da. Und muss übernommen werden. Letztendlich ist die Musikindustrie, und ich benutze hier bewusst das Wort Industrie, auch nichts anderes als ein Ast unserer Gesellschaft. Einer Gesellschaft, in der wir Industrien schaffen, Massenware produzieren, alles auf Angebot und Nachfrage und vor allem Gewinnmaximierung ausgerichtet wird und wo kein Platz für Gleichgewicht herrscht.

Auch hierfür tragen wir Mitverantwortung. Ich möchte noch mal den Appell von #UnhateWomen aufgreifen: "Alle hören Gewalt gegen Frauen. Es ist Zeit, das zu ändern. Fang damit an!" Rap hat ein Sexismusproblem, aber Rap hat Sexismus nicht erfunden. Vielmehr ist die Nachfrage und Akzeptanz von Frauenverachtung das Problem.

Brot und Spiele

Lassen Sie mich ein Angebot machen, vielleicht wird ja eine Nachfrage geschaffen. Wie wäre es mit Sookee? Oder Fiva MC? Ich spreche eine Empfehlung für Ebow aus. Hören Sie mal bei Esrap rein. Hunney Pimp, Def Ill, Kid Pex, wie wäre es mit Kerosin 95? Dendemann werde ich immer empfehlen können, Amewu ebenso. Hören Sie mal rein bei Monobrother, Nora Mazu, Ms Def, Keke oder Misses U.

Es gibt auch Rapkünstlerinnen und Rapkünstler, die Musik machen und sich in diesem Genre selbstermächtigen, ohne jemand anderen unterdrücken zu müssen.

Und genau diese Selbstermächtigung, die nicht mit dem Unterdrücken, dem Verachten und dem Niedermachen "anderer" arbeitet – und das "anders" kann hier im Grunde beliebig und mit allem gekennzeichnet werden –, sondern die Verantwortung für Teilhabe in einer Gesellschaft trägt, die habe ich im Rap lernen dürfen.

Also fangen wir an, zu sehen, was uns als Brot und Spiele angeboten wird, zu hinterfragen und uns nach Alternativen umzusehen. Und ziehen wir die zur Verantwortung, die unter Macht Überlegenheit statt Verantwortung verstehen. Nicht die, die eh schon versuchen, Verantwortung zu übernehmen, fragen, warum sie trotz des Sexismus selbst auch Rap machen, fragen wir die Sexisten mal, warum sie so sind. (Yasmin Hafedh, 8.3.2020)