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Schon Ende Februar (Bild) galten Notfallmaßnahmen in Mailand, nun sollen sie für die ganze Region Lombardei und darüber hinaus gelten.

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Rund ein Viertel der Italiener sind in Quarantäne. Die Zahl der Todesfälle durch das Coronavirus stieg drastisch: Am Sonntag gab es innerhalb eines Tages 100 Tote.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Italien riegelt ganze Regionen und Städte in Norditalien ab, 16 Millionen Menschen sind betroffen. Die Sperrbereiche dürfen nur in wichtigen Fällen verlassen oder betreten werden.
  • Mehr als 100 Menschen starben in der Lombardei an einem Tag an dem Coronavirus.
  • Süditalien schränkt Verkehr aus dem Norden ein.
  • Alitalia stoppt alle Flüge von und nach Mailand Malpensa.
  • Touristen werden aufgerufen, Norditalien zu verlassen.
  • Revolten wegen Besuchsverboten in italienischen Gefängnissen ausgebrochen.


Die italienischen Behörden haben am Samstag drastische Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus verhängt und ganze Regionen und Städte in Norditalien abgeriegelt. 16 Millionen Menschen sind betroffen. In der norditalienischen Region Lombardei sind innerhalb eines Tages mehr als 100 Menschen am neuartigen Coronavirus gestorben. Dies teilten die Regionalbehörden am Sonntagabend in Mailand mit. Demnach stieg die Gesamtzahl der Todesopfer der Coronavirus-Epidemie in der Lombardei seit Samstag von 154 auf 257.

Die Zahl der Coronavirus-Todesopfer in Italien ist insgesamt auf 366 gestiegen, das sind 57 Prozent mehr als am Samstag. Bei der Zahl der Neuinfizierten wurde ein Anstieg von 26 Prozent auf 6.387 gemeldet. Die Zahl der genesenen Patienten kletterte um fünf Prozent auf 622. Die Zahl der Patienten auf der Intensivstation wuchs um 14,4 Prozent auf 650.

Todesopfer in Italien sind älter als in China

60 Prozent der Todesopfer sind älter als 80 Jahre alt. Die meisten Todesopfer, die über 70 Jahre alt sind, hätten an einer oder an mehr chronischen oder akuten Krankheiten gelitten, sagte Silvio Brusaferro, Leiter von Italiens Oberstem Gesundheitsinstitut ISS, am Sonntag in Rom. Brusaferro rief die Italiener auf, Menschenansammlungen zu vermeiden, um sich und ihre ältere Angehörige nicht anzustecken. "Jugendliche haben die Verantwortung, ihre Eltern und Großeltern zu schützen", sagte Brusaferro. Die starke Mobilität in einigen Regionen Italien sei ein "kritisches Element", das zur Bekämpfung der Epidemie reduziert werden müsse.

Um die schwer unter Druck geratenen lombardischen Krankenhäuser zu entlasten, wurden 13 Patienten in Spitäler von Nachbarregionen verlegt. Italien bemüht sich indes um mehr Atemschutzmasken und anderem sanitären Material. So wurden 22 Millionen Atemschutzmasken bestellt.

Lombardei zum Sperrgebiet erklärt

Regierungschef Giuseppe Conte erklärte bereits am Samstag die gesamte Lombardei mit ihren 10 Millionen Einwohnern sowie 14 Provinzen mit weiteren insgesamt 6 Millionen Einwohnern (Parma, Piacenza, Rimini, Reggio-Emilia, Modena, Pesaro und Urbino, Venedig, Padua, Treviso, Alessandria, Verbano-Cusio-Ossola, Novara, Vercelli und Asti) zu einem Sperrgebiet. Sie dürfen – vorerst bis zum 3. April – weder betreten noch verlassen werden. Nun steht also rund ein Viertel der italienischen Bevölkerung unter Quarantäne. "Wir haben zwei Ziele: Die Ausweitung der Ansteckung einzudämmen und eine Überlastung der Krankenhauseinrichtungen zu vermeiden," sagte Conte zur Begründung.

Wenige Stunden später klagten die Regionalpräsidenten Süditaliens: Die Ausweitung der Sperrzone im Norden hätte zu einem "Exodus" in Richtung Süditalien geführt. Personen, die das Sperrgebiet verlassen haben und nach Sizilien, Kalabrien, Kampanien, Apulien, Abruzzen, Molise und Basilikata reisen, müssen sich einer zweiwöchigen Heimquarantäne unterziehen, beschlossen die Präsidenten der süditalienischen Regionen.

Conte sprach am Sonntag mit ernster Miene von einem "Moment der Selbstverantwortung": Es gehe darum, die Gesundheit der Bürger zu garantieren. "Wir sind uns bewusst, dass all diese Maßnahmen Unannehmlichkeiten bereiten und persönliche Opfer erfordern", sagte der Ministerpräsident. Gleichzeitig betonte er, dass kein absolutes Verbot eingeführt werde: Wer "dringende Gründe" nachweisen könne – zum Beispiel berufliche – dem bleibe die Ein- und Ausreise erlaubt. Auch der Flug- und der Bahnverkehr werde nicht komplett gestoppt. "Es wird nicht alles zum Stillstand kommen", versicherte der Premier. Ortswechsel – auch innerhalb der Sperrzonen – müssten aber immer begründet werden: Die Polizeikräfte seien befugt, die Bürger anzuhalten und von ihnen Rechenschaft über ihre Bewegungen außerhalb der eigenen vier Wände zu verlangen.

Das Notfalldekret war am Samstagabend vorab von der italienischen Presse geleakt worden und hatte in einigen der betroffenen wirtschaftsstarken Regionen umgehend Proteste ausgelöst. Der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, forderte in einem offiziellen Brief an Ministerpräsident Conte die Rücknahme des Notdekrets. Er sei vorab nicht über diese Maßnahme informiert gewesen.Der Bürgermeister von Asti, Maurizio Rasero, bezeichnete den neuen Erlass als "Verrücktheit" und als "Desaster". Auch Mario Conte, Bürgermeister aus Treviso, beteuerte in einer TV-Liveschaltung, dass er von nichts gewusst habe. Dementsprechend erzürnt zeigte er sich beim Interview.

Conte erklärte, er habe bis in den Samstagabend hinein die Stellungnahmen und Meinungen der zuständigen Minister und Regionalpräsidenten eingeholt, "dieser Vorgang war jedoch noch nicht abgeschlossen", als das Dekret an die Medien gespielt wurde. Nicht nur die Glaubwürdigkeit der Arbeit der Regierung, sondern vor allem die Sicherheit der Italiener stehe auf dem Spiel, mahnte Conte deshalb. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die drastischen Quarantänemaßnahmen begrüßt.

Der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, war vorab nicht informiert worden.
Foto: Region Venetien

Was passiert jetzt?

Supermärkte werden laut dem Dekret nur noch von Montag bis Freitag geöffnet sein; Schulen, Schwimmbäder, Skigebiete, Museen und Fitnesscenter bleiben geschlossen. Mitarbeiter des Gesundheitssystems dürfen keinen Urlaub nehmen. Auch Pubs und Diskotheken sollen geschlossen bleiben, Feiern und Konzerte werden abgesagt. Religiöse Zeremonien, darunter Hochzeiten und Beerdigungen, müssen verschoben werden.

Bars und Restaurants dürfen bis 18 Uhr geöffnet bleiben, aber nur, wenn sie sicherstellen können, dass zwischen den Gästen eine Mindestdistanz von einem Meter eingehalten werden kann. Viele dieser Vorschriften gelten auch für den Rest des Landes, namentlich die Schließung der Schulen und das Verbot jeglicher öffentlicher Kundgebungen und Versammlungen. Der Präsident des nationalen Gesundheitsdienstes, Silvio Brusaferro, rief die Menschen auf, sich an Empfehlungen zu halten, Kontakte zu vermeiden. Die italienischen Gerichte bleiben ab Montag landesweit für zwei Wochen geschlossen.

Um dem drohenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems vorzubeugen, hat die Regierung Conte schon in der vergangenen Woche beschlossen, rund 20.000 neue Ärzte, Pfleger und andere Hilfskräfte in Krankenhäusern und Gesundheitsämtern einzustellen. Gefährdet seien auch andere Patienten, etwa mit Herzinfarkt – weil die Notärzte und Rettungswagen mit Corona-Patienten ausgelastet sein könnten.

Die Folgen der neuen Notmaßnahmen für die Wirtschaft sind derzeit noch überhaupt nicht absehbar: In den neuen Sperrzonen wird rund 40 Prozent des italienischen Bruttosozialprodukts und 60 Prozent der Exporte produziert. Dass Italien mit seiner riesigen Staatsverschuldung und seiner stagnierenden Wirtschaft wegen der Corona-Epidemie in diesem Jahr in eine Rezession abrutschen wird, galt bereits wegen der bisherigen Maßnahmen ausgemacht. Insbesondere die Tourismusbranche erlebt schon jetzt ein regelrechtes Desaster: Die Buchungen sind zum Teil um bis zu 90 Prozent zurückgegangen.

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Geschlossene Bahnsteige am Mailänder Hauptbahnhof (Aufnahme aus der Nacht auf Sonntag).
Foto: REUTERS/Alex Fraser

Hunderte versuchen in Zügen in den Süden zu gelangen

Nur wenige Minuten nach Bekanntwerden der Notfallmaßnahmen am Samstagabend versuchten Hunderte am Mailänder Bahnhof Porta Garibaldi, mit dem Nachtzug nach Süditalien zu gelangen. Wie mehrere italienische Medien berichteten, war der letzte Intercity des Tages um 23.20 Uhr übervoll, als er mit wenigen Minuten Verspätung abfuhr. Reisende hätten die Waggons auch ohne Ticket bestiegen und den Schaffnern gesagt, dass sie bereit seien, die Geldstrafe zu zahlen, um an Bord bleiben zu dürfen.

Am Hauptbahnhof sagte das Sicherheitspersonal zwar zu Journalisten, dass es in den letzten Tagen zwar viele Reisende gegeben habe, aber keine Warteschlangen oder gar Menschenmassen. Das widerspricht anderen Berichten von zahlreichen Einzelpersonen und Familien, die aus Angst, in der Lombardei festzusitzen, mit dem Auto zum Ferienhaus am Strand oder in den Bergen außerhalb der Region gefahren seien.

Die italienische Flugbehörde ENAC teilte inzwischen mit, dass alle Flughäfen in der norditalienischen Sperrzone offen und funktionsfähig seien. Auch die Züge auf der Nord-Süd-Achse verkehren nach Plan, teilte die italienische Bahngesellschaft FS mit.

Die süditalienischen Regionen ergriffen daher ihrerseits Vorsichtsmaßnahmen: Neben dem Entscheid, Rückkehrer für 14 Tage unter Heimquarantäne zu stellen, lancierten die Präsidenten der süditalienischen Regionen dringliche Appelle. "Ich spreche mit euch als wärt ihr meine Kinder, meine Brüder, meine Enkelkinder: Steigt wieder ins Auto, ins Flugzeug oder in den Zug und kehrt zurück in den Norden. Bringt die lombardische, venezianische und emilianische Epidemie nicht nach Apulien," appellierte etwa der Präsident der Region, Michele Emiliano.

Die staatliche italienische Fluggesellschaft Alitalia stellt ab Montag den kompletten Flugbetrieb in Mailand-Malpensa ein. Am Montagvormittag werde mit einer Maschine aus New York das letzte Alitalia-Flugzeug auf dem größten Flughafen der norditalienischen Wirtschaftsmetropole landen, hieß es.

Touristen sollen Norditalien verlassen

Die Regierung in Rom hat alle einheimischen und ausländischen Touristen zum Verlassen der Quarantäne-Zonen in Norditalien aufgerufen. In den betroffenen Regionen sollen Reisen aus touristischen Gründen vermieden werden, hieß es am Sonntag in einem Schreiben des Verkehrsministeriums in Rom.

Flughäfen und Bahnhöfe seien offen, Touristen könnten somit nach Hause zurückkehren, hieß es in dem Dokument. Touristen in anderen Regionen Italiens sollten sich an die Vorsichtsmaßnahmen der italienischen Gesundheitsbehörden halten.

Revolten in italienischen Gefängnissen ausgebrochen

Die Epidemie sorgt auch für Turbulenzen in einigen Strafanstalten. Gewaltsame Proteste brachen am Sonntag in den Strafanstalten von Modena und Frosinone südlich von Rom aus. In Modena steckten Gefängnisinsassen einige Gegenstände in Brand.

Die Gefängnisinsassen protestierten damit gegen den Regierungsbeschluss, Besuche von Angehörigen als Maßnahme zur Eingrenzung der Coronavirus-Epidemie auszusetzen. Ähnliche Proteste gab es in Frosinone.

Am Samstag war bereits eine Revolte im Gefängnis der süditalienischen Strafanstalt Salerno ausgebrochen, an der sich rund 200 Gefängnisinsassen beteiligten. Mit Eisenstangen, die sie von ihren Betten abmontierten, verwüsteten Gefängnisinsassen Teile der Strafanstalt. Auch sie protestierten gegen die Einschränkungen bei den Besuchen.

Covid-19 erklärt.
DER STANDARD

PD-Chef Zingaretti angesteckt

Am Samstag wurde außerdem bekannt, dass sich der Chef der sozialdemokratischen Regierungspartei PD und Präsident der Region Latium, Nicola Zingaretti, mit dem Coronavirus angesteckt hat. "Mir geht es gut, deshalb wurde entschieden, dass ich zuhause isoliert werde", sagte Zingaretti auf Facebook zu seiner Diagnose. Er werde seine Arbeit von zuhause aus fortsetzen.

Italienischen Medienberichten zufolge sind mindestens vier weitere Regionalpräsidenten – die von Piemont, Bergamo, Brescia und Matera – positiv auf das Coronavirus getestet worden, ebenso drei Staatsanwälte in Mailand. (Dominik Straub aus Rom, red, 8.3.2020)