In zwei Gastkommentaren, den Siegertexten des Aufsatzwettbewerbs, den DER STANDARD mit dem Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien veranstaltet hat, sehen Studentin Maria Marchgraber und der Beamte Martin Wildner zwar den Klimaschutz als notwendig an, bei dessen Verankerung in der Verfassung sind sich die beiden aber nicht einig.

Klimaschutz ist heutzutage Common Sense. Aber ob er in die Verfassung gehört, ist strittig.
Foto: AFP / Nikolay Doychinov

Ja – von Maria Marchgraber (20), sie studiert Deutsche Philologie an der Universität Wien.

Hitzewelle? Jahrhundertsommer? Gletschersterben? Naturkatastrophen? Bitte, so was gab es doch schon immer. Ja, vielleicht wird es Anfang Mai mehr als nur "kuschelig warm", aber was ist denn so schlimm daran? Die steigenden Temperaturen sind optimal für das Zitronenbäumchen auf dem Balkon. Ist doch schön, wenn gleich vor der Haustüre ein Klima vorherrscht, für das man extra in den Südseeurlaub fahren müsste. Und falls man von der Hitze draußen vielleicht doch einmal genug haben sollte, das Haus ist ohnehin angenehm klimatisiert. Wo liegt das Problem?

Solch arglosen Zeitgenossen möchte man zurufen: Schon mal an die Hitzetoten gedacht! Deren Zahl steigt jedes Jahr, denn nicht jeder kann sich in seinen klimatisierten vier Wänden verstecken und die Tür vor der Realität verschließen. Im Sommer 2018 gab es in der Wiener Innenstadt 42 Hitzetage mit mehr als 30 Grad. Im Jahr 2050 soll es in der Bundeshauptstadt Temperaturen geben, wie sie jetzt im mazedonischen Skopje üblich sind.

Dann wären da noch die Gletscher, die Jahr für Jahr schrumpfen, die Pole, die schmelzen, der steigende Meeresspiegel und die nie dagewesenen Naturkatastrophen. Dürreperioden sorgen für enorme, sogar existenzbedrohende Ausfälle in der Landwirtschaft. Wir, die wir behütet in Österreich leben, erfahren davon meist nur über unsere Fernsehgeräte, während wir genüsslich in das Chipssackerl greifen. Auch die Tatsache, dass aufgrund von Dürreperioden tausende Menschen sterben, verdrängen wir schnell in eine abgelegene Gehirnregion.

Klimawandel ist real

Doch all diese Ereignisse sind real, der Klimawandel ist keine von Walt Disney erfundene böse Märchenfigur – aber auch keine willkürliche Plage göttlicher Allmacht, gegen die wir uns nicht wehren können. Der Klimawandel ist von uns Menschen verschuldet. Die Folgen treffen uns alle, unsere Kinder und Kindeskinder noch verheerender – bis unser Planet sein Verfallsdatum erreicht hat, und dieses rückt von Tag zu Tag immer schneller näher.

Diese Entwicklung zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen ist unsere Aufgabe! Deshalb ist die Verankerung des Klimaschutzes und der Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas in der Verfassung wohl der naheliegendste Schritt überhaupt. Der Klimaschutz muss bei jedem neuen Gesetz, bei jeder neuen Verordnung uneingeschränkt oberste Priorität besitzen! Was nützt uns ein neues Gesetz, wenn es irgendwann schlicht und einfach keine zukünftige Generation mehr gibt, die danach handeln könnte?

Jeder hat Einfluss

Ja, der Klimaschutz ist und wird keine leichte Aufgabe sein, und ja, bei jeder Entscheidung wird es viele Stimmen geben, die sich dagegen erheben und den leichten dem beschwerlichen Weg vorziehen werden. Aber möchten Sie erklären müssen, wie es kommt, dass Ihre größte Sorge es ist, CO2-Steuer bezahlen zu müssen, während andere durch die Folgen des Klimawandels um ihre Existenz fürchten müssen? Wie können Sie guten Gewissens ins Auto steigen, anstatt mit dem Zug zu fahren, wo Sie doch wissen, dass Sie mit jedem gefahrenen Kilometer den Lebensraum ihrer Kinder zerstören?

Gerne wälzen wir die Verantwortung von uns, aber insgeheim wissen wir doch: Jedes Individuum hat Einfluss. Es macht einen Unterschied, ob wir in den Urlaub fliegen oder ob wir mit der Bahn verreisen.

Gleichwohl ist es selbstverständlich, dass die Veränderung auch auf politischer Ebene ansetzen muss. Daher ist eine Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung unumgänglich. Es kann nicht sein, dass die Bemühungen jeder Privatperson schlichtweg mit Füßen getreten werden und man bei der Indus trie, bei Fabriken und Großkonzernen in puncto Klimaschutz nicht nur ein Auge zudrückt, sondern sich geradezu eine Schlafmaske aufsetzt und die schwersten Umweltsünden nicht nur toleriert, sondern auch noch fördert, um als Wirtschaftsstandort attraktiv zu sein. Denn aller wirtschaftliche Erfolg verwandelt sich schnell in eine Rauchwolke, die im Wind verweht und nur noch mehr zur Zerstörung der Ozonschicht beiträgt, wenn wir die Klimakrise nicht schleunigst unter Kontrolle bekommen.

Die Konsequenz ist klar: Der Klimaschutz muss in der Verfassung ver ankert werden, damit künftig keine Entscheidung mehr gefällt wird, ohne vorher zu fragen: Welche Folgen hat das für dich, für mich und für unsere Erde? (Maria Marchgraber)


Nein – von Martin Wildner (51), er arbeitet im öffentlichen Dienst und lebt in Wien.

Woher kommt neuerdings die Unsitte, emotionale Themen unbedingt in die Verfassung schreiben zu wollen? Themen wie Bargeld oder eben Klimaschutz! Das sind doch symbolische Akte, die keinerlei Wirkung entfalten. Im Falle des Klimaschutzes soll das bloß das schlechte Gewissen, selbst diese Missstände mitverursacht zu haben, besänftigen. Außerdem hat man was getan, somit sind konkrete, für einen selbst und die eigene Generation unbequeme Maßnahmen vorerst nicht vorzunehmen. Aber man hat zukünftigen Politiker- und Menschengenerationen ins Stammbuch geschrieben, dass sie da jedenfalls etwas tun müssen. So kann jeder von uns weiterhin hinausposaunen, dass ihm Klimaschutz eh toootal wichtig ist, die schmelzenden Gletscher, die brennenden Wälder, furchtbar, Gott sei Dank haben wir da jetzt was unternommen. Und jeder von uns kann dann sein gewohntes Leben weiterführen so wie immer.

Drastische Maßnahmen

Wessen es wahrlich bedarf, sind Einschnitte, drastische Maßnahmen, Opfer. Es bedarf der Reduktion des Flugverkehrs. Wie viele Menschen weltweit können es sich mittlerweile leisten, einmal im Jahr irgendwo hinzufliegen? 1,5 Milliarden? Zwei Milliarden? Mehr? Einen Flug so einfach buchen zu können müsste erheblich erschwert werden. Welch ein Einschnitt für das moderne Individuum, das ein Anrecht auf Selbstverwirklichung und Selbstbesichtung jeder Sehenswürdigkeit am anderen Ende der Welt zu haben glaubt!

Es bedarf der Reduktion des Autoverkehrs. Privat wie wirtschaftlich. Dafür wäre ein unangenehm spürbares Roadpricing erforderlich, das unnütze Privatfahrten und den Lkw-Irrsinn unterbindet. Welch eine drastische Maßnahme für eine Gesellschaft, für die Mobilität und Konsumvielfalt Dogmen sind, denen widerspruchslos zu huldigen ist.

Es bedarf einer Reduktion des Versandhandels. Was da an Verpackungsmaterial anfällt, das zuerst produziert und sogleich wieder als Abfall die Halden dieser Erde hochtürmt, was da an Abgasen für überflüssige Fahrten in die Atmosphäre geblasen wird! Welch ein Opfer für eine zur Bequemlichkeit angefixte Bevölkerung, die ihre Privatgeschäfte nur noch von daheim aus abwickeln will.

Einhalt muss dem Klimaanlagenwahnsinn geboten werden, ein Verbot für gekühlte Bürogebäude, Geschäfte, Einkaufszentren oder sogar Gastronomie- oder Veranstaltungsfreiflächen, deren Temperaturen mancherorts bis in groteske Tiefen gesenkt werden.

Mutige Politiker

Natürlich, solche Maßnahmen gefährden bestehende Arbeitsplätze, werden aber auch neue, regionale Arbeitsplätze entstehen lassen. Natürlich, solche Maßnahmen stellen die moderne Lebensführung, die uns zur Selbstverständlichkeit geworden ist, infrage, erschüttern unsere Werte, die wir für naturgegeben halten. Natürlich, solche Maßnahmen senken ein Stück weit die Lebensqualität und den Wohlstand, schützen aber ein viel größeres Stück weit die Zukunft des Klimas, des Planeten, unserer Kinder und Enkelkinder.

Tja, wessen bedarf es, um dies alles zu bewerkstelligen? Das sind ja massive Beeinträchtigungen des täglichen Lebens, die da aufgezählt sind. Keine Städte-, keine Fernreisen mehr. Kein ständiges, automobilbezogenes Autonomiegefühl mehr. Kein Couchkonsum mehr. Dafür Schwitzen im Sommer.

Es bedarf mutiger Politiker, die diese Maßnahmen umsetzen. Vor allem aber bedarf es eines Wahlvolkes, das diese Politiker für die mutigen Maßnahmen belohnt. Aber ehe das geschieht, ehe ein Wahlvolk die Politik für dringendst notwendige Einschränkungen mit Wählerstimmen belohnt, werde ich wohl eines Kreises mit vier Ecken und ebenso vielen gleichlangen Seiten ansichtig werden. Da hilft auch die Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung nicht das Geringste. (Martin Wildner, 8.3.2020)