Zwiesprache auf der Höhe lokaler Mundart: Die reale Hanni Anschober (li.) begegnet ihrer Darstellerin Maxi Blaha. In Franzobels Monodrama wird der Courage in finsterer Zeit gedacht.
Foto: Georg Buxhofer

Geschichte ist über weite Strecken Herrschaftsgeschichte, und nur in Ausnahmefällen haben in ihr machtlose Einzelmenschen eine Protagonistenrolle. Doch da gibt es auch die Literatur, die von jeher ihre eigene Auswahl trifft und den offiziellen Annalen Wichtiges nachreicht. Erich Hackl schrieb über Sidonie Adlersburg (Abschied von Sidonie), Jim Shepard über den Warschauer-Ghetto-Arzt Janusz Korczak (Aron und der König der Kinder). Und über Hanni Rittenschober existiert nun ein Monodrama von Franzobel. Das Stück Hanni über die oberösterreichische "Hausfrau" hat am 99. Geburtstag und in Anwesenheit der Titelheldin (10. März) im Brucknerhaus Linz Uraufführung.

Hanni Rittenschober hatte als Tochter eines Knechts in der (Vor-)Kriegszeit nicht viele Wahlmöglichkeiten. Und doch hat sie sich ihrem Gewissen entsprechend für Standpunkte und Taten entschieden, die nicht selbstverständlich und zur damaligen Zeit auch keineswegs ungefährlich waren. Rittenschober wurde gezwungen, beim Bau der Baracken für das Konzentrationslager Gusen mitzuarbeiten. Später wurde sie Zeugin der Verfolgung und Ermordung entflohener Lagerhäftlinge, von den Nazis als "Mühlviertler Hasenjagd" bezeichnet. Sie hat den Opfern geholfen, wo sie konnte. Ihre sechs Kinder hat sie, als ihr kriegstraumatisierter Ehemann alkoholkrank wurde, letztlich allein versorgt.

"Nix gsagt is globt gnua"

Einer ihrer Söhne ist der durch signifikante Porträts von Werner Schwab oder Friederike Mayröcker und Ernst Jandl hervorgetretene Fotograf Joseph Gallus Rittenberg, dessen Bekanntschaft mit Franzobel es zu verdanken ist, dass Hannis Geschichte nun auch über die Grenzen Gallneukirchens hinaus erfahrbar wird. Gerald Resch hat den Monolog vertont, interpretiert und gespielt wird er von der Schauspielerin Maxi Blaha.

Wie kann man gelebter Geschichte in der Kunst gerecht werden? Natürlich nur, indem man als Autor beim Schreiben "seine eigene Wirklichkeit schafft", so Franzobel. Sein Monodrama Hanni ist eine Gratwanderung zwischen real Geschehenem und freiem Erzählen, denn auch im losgelösten Fabulieren kann eine Wahrheit entstehen, von der die Realität noch keine Kenntnis hatte. Viele Texte von Franzobel basieren auf erzählten Geschichten, "sogar die Krimis", wie er sagt, und auch sein auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandetes Buch Das Floß der Medusa.

"Das Leben schreibt viel bessere Geschichten, als ich sie mir ausdenken kann", so Franzobel. "Ich habe kein Talent zum Geschichtenerfinden, bin aber ein guter Zuhörer und habe vielleicht die Gabe, dass sich Menschen mir sehr schnell öffnen, weil ich nicht verurteile". Hanni Rittenschober hat jedenfalls viel erzählt. Ihr Sprachduktus ist erhalten. Als Bundeslandgenosse – Franzobel kommt aus dem Hausruckviertel – fällt es dem Autor leicht, die lokale Mundart lebendig werden zu lassen. "Ich bin in einer eher sprachlosen Gegend aufgewachsen, wo man nach dem Motto lebt: Nix gsagt is globt gnua. Das Oberösterreichische ist eine kehlkopfschonende Sprache."

Kein Anspruch auf Wahrheit

Bei aller Anverwandlung gebührt einer Bühnenfigur aber immer die eigene Kunstsprache. "Ich habe weder einen dokumentarischen Ansatz noch Anspruch auf Wahrheiten", so Franzobel. "Eher ist es so, dass das gelebte Leben zu einem Text inspiriert, der dann im geglückten Fall wieder Menschen anregt. Alles steht für sich und gehört doch zusammen. Wenn ein Text ein paar Leute glücklich macht, ist das bereits sehr viel."

Franzobel, der derzeit für einen Roman in Brasilien recherchiert, ist Autor einer weiteren Uraufführung, die am Freitag im Akademietheater gefeiert wird: Der Leichenverbrenner nach dem gleichnamigen Roman von Ladislav Fuks. Erzählt wird von einem Krematoriumsangestellten im Zweiten Weltkrieg, dem die ideologische Verwüstung des Nationalsozialismus jedes humanistische Weltverständnis raubt. Es inszeniert Nikolaus Habjan. (Margarete Affenzeller, 9.3.2020)