Die harte Linie in der Flüchtlingsfrage hat ihren Preis. Kanzler Sebastian Kurz mag an Parteichefstärke zulegen. Gleichzeitig verliert er aber an Kanzlerstatur.

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Der Chef der neuen Volkspartei, Sebastian Kurz, kann zufrieden sein. Fast zwei Drittel der Bürger sind wie er der Auffassung, dass Österreich sich nicht an einer humanitären EU-Aktion zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland beteiligen soll. Das andere Drittel der Bevölkerung würde das hingegen begrüßen. Ersteres unterstützen zu mehr als drei Vierteln FPÖ- und ÖVP-Wähler. Für humanitäre Hilfe in der katastrophalen Lage auf griechischen Inseln sind extrem viele Grünen-Wähler. Bei SPÖ und Neos halten sich Zustimmung und Ablehnung die Waage.

Das geht aus einer aktuellen Profil-Umfrage hervor, die vergangene Woche gleich nach den Erklärungen des Bundeskanzlers der Republik zu der vom türkischen Präsidenten initiierten Eskalation an der türkisch-griechischen Grenze gemacht wurde. Für einen Parteichef sind das, eng betrachtet, traumhafte Werte.

In der Innenpolitik geht es vor allem darum, sich breite Mehrheiten zu sichern, politische Gegner kleinzuhalten. Das scheint Kurz seit dem Jahr 2015, als er seinen Kurs im Gleichschritt mit Beschlüssen des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs auf eine restriktive Asyl- und Migrationspolitik umpolte, gut zu gelingen. Legitim.

Kein internationales Renommee

Er scheint auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt zu sein. Und doch, vielleicht sogar gerade deswegen, hat er keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit, sosehr ihm Hofschranzen seiner türkisen Bewegung auch schmeicheln mögen, wie "goldrichtig" seine "harte Linie" in Sachen Migration sei.

Die Sache hat einen Preis: Kurz mag an Parteichefstärke zulegen. Gleichzeitig verliert er aber an Kanzlerstatur. Er redet sich ganz besonders beim Thema Flüchtlinge und Migration noch mehr in eine polarisierende Rolle hinein, anstatt an breit anerkannter Souveränität zu gewinnen, was normalerweise langfristig erfolgreichen Regierungschefs eigen ist. Der erbitterte Widerstand bis hin zur Verachtung durch seine Gegner ist ihm damit zu Hause sicher.

International bringt es ihm kein Renommee. Spalten statt einen mag im Moment Recep Tayyip Erdoğan oder Wladimir Putin auszeichnen, aber einen Bundeskanzler? Auch dass das angesichts der Krisenlage in Europa vernünftig ist, darf bezweifelt werden. Die wichtigsten Hinweise darauf kamen ausgerechnet vom konservativen deutschen Innenminister Horst Seehofer, als früherer CSU-Chef nicht gerade ein Weichei. Er erinnerte nach der türkisch-griechischen Eskalation in Evros an den wichtigsten Grundsatz europäischer Politik und Werte. Europäische Migrationspolitik müsse auf zwei Säulen ruhen, auf "Ordnung und Humanität". Das könne und dürfe man nicht trennen.

Natürlich könnten illegale Akte, Schlepperei, Chaos auf dem Rücken von Migranten und durch sie nicht geduldet werden. Das sieht er wie Kurz, und das ist wohl richtig. Aber für Flüchtlinge, vor allem Minderjährige zwischen allen Fronten, müsse es menschliche Lösungen geben, eben weil viele Fehler passieren. Seehofer schlug vor, dass EU-Staaten 5000 unbegleitete Minderjährige – nicht "Frauen und Kinder" – aus griechischen Lagern holen, Deutschland und Frankreich voran.

Österreich hat sich mit Verweis auf unbestritten große Leistungen bei der Flüchtlingsaufnahme seit 2015 verweigert. Ein politischer Fehler. Mehr noch, Kurz setzte dem besonders martialische Worte entgegen. Er tut alles, um sein Image als "kalter Kanzler" zu pflegen. Das tut Österreich nicht gut. (Thomas Mayer, 9.3.2020)