Abgesagte oder verschobene Filme, Messen, Konzerte, Festivals und gänzlich abgeriegelte Länder wie Italien. Stundenlange Staus an Grenzen: So sieht der europäische Alltag aktuell aus. Alles soll das Corona-Virus an einer Ausbreitung hindern.

Gleichzeitig verändern sich auch Gesellschaften: Japan entdeckt eine Work-Life-Balance, Tech-Unternehmen wie Twitter und Microsoft schicken immer mehr Mitarbeiter ins Homeoffice und bei Amazon werden kranke Kollegen nach Hause geschickt - und gleichzeitig droht Amazon Mitarbeiten in den Verteilzentren mit Verdienstausfall, wenn diese krankheitsbedingt zu Hause bleiben. Die gesamte Situation ist: undurchdringlich.

Gleichzeitig entdeckten auch viele Konzerne die Vorteile des Livestreams: Pressekonferenzen laufen über Twitters Periscope-Stream, Produkt-Ankündigungen wie Sonys Playstation 5 oder Hausmessen von Google und Facebok sollen gestreamt werden und selbst der Papst segnet aktuell nur noch per Livestream. Alles scheint auf dem digitalen Weg so viel vorteilhafter.

Sport, Bildung oder Beruf: Streaming und Online als Corona-Lösung?

Livestreams gehören zum Live-Marketing und haben sich in den letzten Jahren zur Königsdisziplin der Social-Media-Strategie von Unternehmen entwickelt. Die Popularität derartiger Marketinginstrumente hat Gründe: 

Beim Anbieter Livestream.com veröffentliche Zahlen zur Darstellung von Nutzerpräferenzen zeigen: Über Livestreams wurden 2019 über 1,1 Milliarden Stunden übertragen, 80 Prozent der Nutzer sehen von einer Marke lieber Live-Videos als Blogartikel zu lesen, ein Video auf der Website kann Conversions (also Verkäufe) um bis zu 80 Prozent steigern und so weiter. 

Nutzer, die Live-Videos konsumieren, schauen sich das Video sogar zwölfmal länger an. Live-Videos haben Event-Charakter. Während On-Demand-Videos dazu verleiten, dass der Nutzer den Konsum aufschiebt, wird bei Live-Videos ein gewisser Druck erzeugt, das Video zum angekündigten Zeitpunkt aufzurufen. Doch warum ist Streaming plötzlich so viel populärer? Sport, Bildung und Beruf können je ein Indiz aufzeigen:

Im Sport wurden bis zum Stillstand der meisten europäischen Fußball-Ligen bereits viele Spiele digital übertragen. Neben verstärkten Neukundenangeboten bei Sky plant der gleichnamige Sender auch mögliche Szenarien aus, wie die Bundesliga als Streaming weitergehen könnte. E-Sports wird populärer, weswegen auch überlegt wird, ob man diese digitalen Inhalte im klassischen Fußball stärker einsetzen sollte. Der Anbieter FuPa überlegt bei seinem Streamangebot "FuPa TV" sogar alte Kreisligaspiele als Stream zu zeigen, um die Zuschauer interessiert zu halten.

In der Bildung stellen aktuell viele Hochschulen, aber auch private Bildungsanbieter auf Livestream- und E-Learning-Angebote um. Beispielsweise betreiben die deutschen Volkshochschulen bereits seit Jahren ein eigenes Cloud-Angebot und wollen unter Federführung des  Deutschen Volkshochschulverbands (DVV) den Lehrbetrieb in den nächsten Wochen auf Onlinekurse umstellen. Dann sollen, wenn möglich, Kurse komplett als Livestream angeboten werden.

Zuletzt das Geschäftsleben: Streaminganbieter und Mediatheken wie Netflix oder die ORF-TVthek verzeichnen steigende Zugriffe. Auch immer mehr Berufstätige gehen freiwillig oder verordnet ins Homeoffice. Die Kommunikation mit den Kollegen findet immer häufiger über Livestreams statt. Dieses Wochenende treffen sich digital auch viele Akteure in Deutschland zum #WirVsVirus Hackathon der Bundesregierung.

Der Hackathon (als Kofferwort aus Hacking und Marathon) soll dazu dienen innerhalb von 48 Stunden auf technische Ideen zum besseren Umgang mit der Corona-Krise zu kommen und diese gleich umzusetzen. Das gesamte Event soll digital über Webchat und Livestream funktionieren.

Klickscham: Livestreams gut gegen Corona, aber schlecht für den Umweltschutz?

Livestream ist ohnehin gerade ein Buzzword in den Zeiten der Corona-Krise. Alles soll als Livestream gelöst werden. Mag gut klingen für eine virenfreie Kommunikation. Die Sache mit Livestream und Ökobilanz ist allerdings viel komplexer. Dass Flugzeuge eine schlechte Ökobilanz haben, ist inzwischen vielen bekannt. Doch auch nur zehn Minuten online ein Video schauen verbraucht bereits so viel Strom wie ein Elektroherd bei voller Leistung in fünf Minuten. 

Eine Studie der französischen Denkfabrik "The Shift Project" zeigt sehr deutlich auf: Die vermeintlich so viel sauberere Informationstechnologie hat keinen guten ökologischen Fußabdruck, was aber gern ignoriert wird. 

Breaking Lab

Es gibt viele Gründe: Die verstärkte Miniaturisierung der Endgeräte ebenso wie die für die meisten nicht sichtbare, aber aufwändige Infrastruktur sorgen dafür, dass die Informationstechnologie als vermeintlich sauber empfunden wird. Auch in anderen Branchen ist es ähnlich: Selbst Musik-Streaming ist umweltschädlicher als das Kaufen von CDs.

Fazit: Livestreams sind virenfrei - aber schlecht für die Umwelt

Durch Live-Videos lassen sich hervorragend Interaktionen zwischen Akteuren herstellen, was Engagement, Verbundenheit und Sympathien weckt. Ob nun zur Unterhaltung wie bei Netflix oder zur Zusammenarbeit wie bei Skype, Zoom, MEGA und anderen Videotelefonie-Anbietern.

Die Corona-Pandemie sorgt für ein Umdenken: Nicht mehr jedes Meeting muss persönlich abgehalten werden; ein Livestream tut es auch. Das spart einerseits Spritkosten und senkt den CO2-Fußabdruck beim Verkehr. Doch andererseits wird mehr gestreamt und digital gesendet. Das verursacht wieder starke Belastungen der Umwelt.

Außerdem: Livestreams verhindern direkten Austausch und Kontakt unter Menschen. In Zeiten von Corona-Virus kann der fehlende direkte Kontakt zwar vorteilhaft sein, doch häufiger verhindert er auch den Austausch von Ideen. Livestreams können uns im Bestfall näher zueinander bringen, doch sind schlussendlich immer nur Technologie zum Ziel. (Christian Allner, 21.3.2020) 

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