"Als meine Chefin gesagt hat, dass Sie mit einem Esel kommen, dachte ich, das sei ein Scherz!", sagt die Hotelangestellte lachend. Das ist wohl ein Scherz – genau das habe ich mir in den letzten Tagen auch sehr oft gedacht. Denn so lammfromm, wie unser Esel Horstl jetzt vor der freundlichen Italienerin steht, habe ich ihn selten erlebt. Auf unserer Wanderung von Bologna nach Florenz hat er mir mehr an Geduld abverlangt, als ich je für möglich gehalten hätte. Dass die Redensart "störrisch wie ein Esel" einen wahren Kern hat, habe ich schnell gemerkt.

Die berühmte Eselsgeduld haben dagegen wir zweibeinige Begleiter entwickeln müssen. Aber auch, wenn Horstl immer wieder hartnäckig an meinem Geduldsfaden genagt hat, habe ich ihm eigentlich schon lange verziehen. Der Lohn dafür war die wohl intensivste und schönste Reise, die ich je unternommen habe. Aber von Anfang an.

Kein Durchgang

Warum reist man mit einem Esel? Am Anfang stand eine Wette, die meinen Freund vor rund sechs Jahren zum Eselbesitzer gemacht hat. Er musste dafür mit Horstl von Innsbruck bis Rom wandern, dann hätte er Horstl dem Papst schenken sollen. Teil eins der Wette haben die zwei erfüllt – trennen wollte sich Armin dann aber nicht mehr von seinem treuen Gefährten. Seitdem wandern die beiden regelmäßig gemeinsam – und ich bin nun eben die Dritte im Bunde.

Wenn er will, ist Horstl der folgsamste Esel der Welt. Die Bilder täuschen aber! Meistens verhält sich der scheckige Eselwallach so stur, wie es seiner Gattung nachgesagt wird.
Foto: Antonia Rauth

Schon die Anreise zum Startpunkt der Reise ist schwieriger als gedacht – mit Horstl im Pferdeanhänger werden wir nach Bologna kutschiert. Von dort marschieren wir los. Für die erste Geduldsprobe der Reise kann Horstl nichts. Nur zwanzig Minuten, nachdem wir aufgebrochen sind, stehen wir schon vor verschlossenen Toren. Der Weg, den wir eigentlich nehmen sollen, wird durch einen gewaltigen Zaun versperrt.

Kein Mensch, der uns durchlassen könnte, ist weit und breit zu sehen. Unser erster Gedanke: Schnell drüberklettern, wird uns schon niemand erwischen. Der zweite: Für Horstl wird das schwierig. Denn auch wenn er auf gebirgigen Pfaden viel geschickter ist, als man es dem kleinen Kerl zutrauen würde – Klettern ist dann doch etwas viel verlangt. Also müssen wir nach nicht einmal einem Kilometer einen Umweg nehmen. Es wird nicht der letzte bleiben.

Statt entlang von befahrenen Straßen zu gehen, weichen wir meist auf kleinere Wege aus, da Autos Horstl nervös machen.
Foto: Antonia Rauth

Statt entlang von befahrenen Straßen zu gehen, weichen wir meist auf kleinere Wege aus, da Autos Horstl nervös machen (und er schnell einmal für Chaos im Straßenverkehr sorgt). Schotterstraßen versuchen wir ebenfalls zu vermeiden, da Esel darauf schnell ins Rutschen kommen. Und um Häuser mit Hunden machen wir stets einen großen Bogen – da Hunde Horstl nur riechen müssen, um in ohrenbetäubendes Gebell auszubrechen.

An diese Umwege gewöhnen wir uns aber schneller als gedacht. Sie geben uns das stoische Motto unserer Wanderung vor: Es gibt immer einen Weg, wir müssen ihn nur finden.

Störrische Ruhestörung

In unserer ersten (und letzten) Nacht auf einem Zeltplatz will ich Horstl zum ersten Mal zum Metzger bringen. Eine nette Restaurantbetreiberin hat uns angeboten, gemeinsam mit anderen Wanderern in ihrem Garten zu kampieren. Wir erliegen der Verlockung einer Dusche in Reichweite und hoffen, dass Horstl sich in Gesellschaft zu benehmen weiß.

Das Schönste am Reisen mit Esel ist, mit wie viel Begeisterung die Menschen uns überall in Empfang nehmen.
Foto: Antonia Rauth

Solange die Aufmerksamkeit sich ganz auf ihn konzentriert und er mit Weißbrot und Karotten verwöhnt wird, fühlt sich unser Esel auch pudelwohl. Als wir uns ins Zelt zurückziehen, passt ihm das allerdings gar nicht. Er beginnt so herzerweichend zu schreien, dass wir jeden Moment mit einem wütenden Mob von Dorfbewohnern rechnen, die uns mit Fackeln und Mistgabeln verjagen wollen. Schließlich bleibt uns nichts anderes übrig: Armin muss für die Nacht zu Horstl vors Zelt übersiedeln und ihm Gesellschaft leisten. Am nächsten Abend wählen wir unser Nachtlager weiser: auf einem einsamen Berggipfel, wo Horstl natürlich die ganze Nacht über keinen Mucks von sich gibt.

Das Schönste am Reisen mit Esel ist, mit wie viel Begeisterung die Menschen uns überall in Empfang nehmen. Egal, wo wir hinkommen – Kinder wollen den Esel streicheln, italienische Nonnas stecken ihm Leckereien zu (hin und wieder werden wir fast neidisch), und Horstl wird zum Star auf zahlreichen Selfies. Meistens genießen wir die aufgeregte, fast kindliche Freude, die unser ungewöhnlicher Wanderbegleiter bei den Menschen auslöst. Egal, wo wir hinkommen – überall gehen Türen und Herzen auf, und wir kommen wie sonst kaum auf Reisen mit den Einheimischen in Kontakt. Hin und wieder stellt die viele Aufmerksamkeit, die unser Esel bekommt, unsere Geduld aber gehörig auf die Probe. Vor allem, wenn er die Gutmütigkeit der Menschen ausnützt, und er uns wieder einmal in Schwierigkeiten bringt.

Eingewickelt

So auch am letzten Tag unserer Reise. Wir haben uns in Florenz als Belohnung für die geschaffte Wandertour ein Hotel gegönnt, Horstl steht im Garten und ist mit einer mehrere Meter langen Longe angehängt. Nachdem wir das Ende unserer Tour am Abend zuvor mit dem ein oder anderen Glas toskanischen Wein gefeiert haben, reißt uns morgens das Läuten des Zimmertelefons aus dem Schlaf: "Es gibt ein Problem mit Ihrem Esel", ruft eine aufgeregte Stimme aus dem Hörer. Alarmiert laufen wir in den Garten, wo sich uns ein durchaus komisches Bild bietet: Horstl steht am Parkplatz und spielt mit dem aufgelösten Hotelbesitzer, zwei Gästen und einem Mitarbeiter Fangen.

Zerknirscht erzählt uns der Hotelier, wie es dazu kommen konnte. Er hatte beobachtet, dass Horstl sich in seiner Longe verfangen hat (woraus er sich natürlich innerhalb von Sekunden selbst befreien könnte). Daraufhin hat der gutmütige Hotelbesitzer den Poverino, den Ärmsten, kurz losgebunden. Der arme Esel hat diesen Moment allerdings genützt, um seine Freiheit zu erlangen, und hält nun die halbe Belegschaft in Atem. Wir beruhigen den Mann und setzen zur letzten Geduldsprobe unserer Reise an – den etwas zu cleveren Esel wieder einzufangen.

Meistens genießen wir die aufgeregte, fast kindliche Freude, die unser ungewöhnlicher Wanderbegleiter bei den Menschen auslöst.
Foto: Antonia Rauth

Als wir nach der Tour schließlich heim nach Tirol kommen und Horstl wieder auf seine Koppel darf, schauen wir unserem vierbeinigen Freund noch einige Zeit nach. "Ein bisschen glaube ich nach dieser Tour schon, dass wir die größeren Esel sind", sinniert Armin. "I a", antworte ich auf Tirolerisch. Ich auch. (Antonia Rauth, 13.3.2020)