Harri Ölz im Kleinen Café in der Wiener Innenstadt, wo er immer wieder Geduld beweisen muss. Er kellnert seit gut 40 Jahren.

Foto: Nathan Murrell

"Manchmal schadet es nicht, wenn der Geduldsfaden aus Draht ist. Erst gestern* kam eine Frau um zehn Uhr morgens ins Lokal und hat andere Gäste belästigt. Ich merkte nicht sofort, dass sie einen Rausch hatte und suchte für sie ein einsameres Plätzchen im weniger besuchten Teil des Cafés, doch das kam ihr nicht gelegen, und sie siedelte wieder zurück.

Ich bat sie höflich und in aller Ruhe, ihr Bier auszutrinken und zu gehen. Das passte ihr auch nicht. Sie hielt sich sogar mit beiden Armen am Tisch fest. Erst meine Absicht, die Rettung zu rufen und ihr eine kleine sogenannte Alkoholbehandlung in Aussicht zu stellen, gemahnte sie, Abschied zu nehmen. In solchen Fällen kündige ich lieber die Rettung als die Polizei an. Außer es wird wirklich haarig, wenn zum Beispiel Waffen im Spiel sind.

Dabei mag ich die Zeit, in der das Café aufsperrt, besonders gern. Wenn wir die neuen Zeitungen aufhängen, den Orangensaft pressen, das Besteck in Servietten wickeln, die Wassergläser bereitstellen etc. Der Mise en Place, also der Vorbereitung, ist in der Gastronomie ein großer Stellenwert zuzuschreiben. Ich verstehe das Café als eine Art Bühne. Um zehn geht der Vorhang auf, die Vorstellung beginnt. Man könnte das Lokal auch als Wohnzimmer sehen. Mein Job ist es, den Menschen in diesem eine angenehme Zeit zu ermöglichen, sie zu bedienen, aber auch in Interaktion mit ihnen zu treten.

Überblick behalten

Ich genieße die Gegenwart von Menschen und finde es schön, dass bei dieser Arbeit immer wieder Unvorhergesehenes passiert. Klar kann man sich seine Gäste nicht aussuchen, aber es ist sehr wohl möglich, gleich einem Dirigenten die Dynamik mit einem Taktstock zu gestalten. Wichtig ist vor allem, den Überblick zu behalten. Dabei kommen verschiedene Werkzeuge zum Einsatz. Dazu zähle ich die Wahl der Musik, die Art der Begrüßung, Aufmerksamkeit, sich um Sitzplätze zu kümmern etc. Der Gast soll in Ruhe ankommen können. Das ist sozusagen die Ouvertüre.

Auch wenn viel los ist, darf man diesen Überblick nicht verlieren. Am besten behält man ihn aus einer Art Vogelperspektive. Ich verstehe die Gastronomie als etwas Egalitäres. Trinkgeld soll bei der Behandlung von Gästen keine Rolle spielen. Ich möchte niemanden benachteiligen, egal woher er kommt, ob es sich um einen gestressten Italiener handelt, der seinen Kaffee subito will, oder um einen Chinesen, der eine Sachertorte plus Melange bestellt, beides mit dem Smartphone fotografiert und geht, ohne seine Bestellung überhaupt angerührt zu haben. So viel zu Geduld.

Früher war's gemütlicher

Im Café Amacord, wo ich auch schon gekellnert habe, bediente ich vor einigen Jahren einen sehr netten älteren Herrn, der sich mittags durch die Speisekarte schlemmte. Dann, nach Kaffee und Mehlspeis’, bestellte er auch noch ein Packerl Marlboro und meinte genüsslich paffend: ‚Bitte rufen Sie die Polizei, ich bin ein Zechpreller!‘ Ob mich das aus der Ruhe brachte? Nein, ich fand das sehr amüsant. Natürlich haben wir nicht die Polizei gerufen, uns lediglich das Gesicht des Gastes gemerkt.

Damals wurde in der Gastronomie noch freier mit gewissen Dingen umgegangen. Wenn etwas nicht gepasst hat, wurde halt ein Schnapserl spendiert. Allein durch das Kassasystem ist man heute direkt mit dem Finanzamt verbunden. Klar wurde früher viel Schindluder getrieben, aber es war nicht so restriktiv und beschränkt. Vieles heute widerspricht dem Wesen der Gastronomie, steckt sie in ein Korsett, das ihr nicht guttut.

Das Rauchverbot ist auch so ein Thema. Das hat viel verändert, das Kleine Café ist seither viel touristischer. Mein egalitäres Prinzip hat natürlich weiterhin Gültigkeit, aber auch viele Nichtraucher haben mir bestätigt, dass es früher gemütlicher war. Generell wurde die Dynamik schärfer, die Atmosphäre ist heute mit Ungeduld getränkt. Viele Touristen kommen über das Wochenende, haben wenig Zeit. Das heißt, alles muss schnell gehen.

Alternative Stepptänzer

In Sachen Geduld hilft mir nicht nur mein Wesen, sondern auch meine Routine und mein Alter. Mit Unterbrechungen arbeite ich seit 40 Jahren in der Gastronomie. Ich bediente bereits im Grünen Café, im U4, in der Blue Box, im Amerlingbeisl, im Porgy und Bess, im Amacord und im Gasthaus Wild.

Zum Thema Geduld und Schmäh fällt mir auch etwas aus meiner Zeit im Porgy & Bess ein. Eine recht bekannte österreichische Popsängerin rief mir, nachdem ich sie nicht bevorzugt und flott genug bedient hatte, Folgendes zu: ‚Oida, wenn du den Job net kapierst, werd Stepptänzer!‘ Mir hat das getaugt. Ich wurde nicht zum Stepptänzer.

Klar spielt Sympathie in Sachen Job und Geduld eine Rolle. Manchmal reicht eine Geste, ein Lächeln oder ein nettes, geduldiges Wort, und ein Gast blüht auf. Das entspricht der seelischen Nahrung eines Kellners.

Nicht so angenehm sind die sogenannten wichtigen Zeitgenossen, die einen von oben herab behandeln und uns Kellner und Kellnerinnen als untere Charge sehen. Aber die kann man gut ignorieren und entsprechend behandeln. Wird jemand wirklich unfreundlich, frage ich einmal ruhig nach, um was es denn eigentlich geht.

Untergriffigkeit hat bei mir keinen Platz. Es gibt Grenzen. Man kann doch nicht einfach hinter die Bar gehen und die Musik abdrehen. Ist auch schon passiert. Empathie, Weitblick und Toleranz, das sind Dinge, die ich durchaus einfordere. Am meisten macht mir zu schaffen, wenn jemand Kollegen angreift, die sich nicht so gut wehren können. Das geht mir richtig an die Nieren und spannt den Geduldsfaden. In einem solchen Fall greife ich auch ein.

Im Team

Jemanden des Lokals zu verweisen, ist sicher die unangenehmste Situation. Manchmal geht so etwas ruhig ab, hin und wieder fährt einem das Adrenalin aber ganz ordentlich ein. Interessanterweise sind solche Unannehmlichkeiten mit Frauen diffiziler zu handeln. Warum? Weil sie meistens ungeduldiger und hysterischer reagieren und Dinge persönlicher nehmen als Männer. So ist zumindest meine Erfahrung.

Aber da wir über Geduld reden: Am ehesten wird sie strapaziert, wenn das Team intern nicht funktioniert. Es gibt Mannschaften, da geschieht alles wie aus einem Guss. Nichts kann einen überfordern, wenn das Team passt. Sollte dieses Werkl nicht laufen, wirkt sich das auch auf den Gast aus. So etwas stresst mich. Genauso wie Ungeduld. Wenn Menschen ins Lokal reinkommen und meinen, alles müsse zack, zack gehen, und sofort zahlen wollen. Ungeduld ist der Feind des Genusses.

Und Wi-Fi. Dabei macht mir interessanterweise ausgerechnet die Jugend Hoffnung. Mir kommt vor, dass die Mid-Ager und älteren Leute viel ungeduldiger sind. Vielleicht haben sie Angst, dass ihnen die Zeit davonläuft? Dabei ist es doch, wenn man hektisch ist, genau umgekehrt." (Michael Hausenblas, RONDO, 15.5.2020)

* Hinweis: Dieser Artikel wurde vor dem Lockdown geschrieben und erschien im RONDO vom 15. März in einer Schwerpunktausgabe zum Thema Geduld.

Foto: nathan murrell