Die längste Zeitspanne, die Restauratorin Michaela Kratochwil mit einer Textilie an ihrem Tisch verbrachte, betrug etwa ein Jahr.

Foto: Nathan Murrell

"Schon als Kind haben mich alte Mantel- und Degenfilme mit ihren opulenten Roben fasziniert. Meine Mutter hat sie auch gerne gesehen und nebenher gestrickt. Dieses Bild vor dem Fernseher fällt mir als Erstes zum Thema Job und Geduld ein. Stricken ist ja auch etwas, das Geduld vermittelt, hat auch etwas Entspannendes. Geduld bedeutet für mich, sich auf etwas einzulassen, mit diesem Etwas Zeit zu verbringen und in die Tiefe zu gehen.

Handarbeiten lagen mir bereits in der Schule am Herzen. Ich besuchte die Fachschule für Mode in der Wiener Siebeneichengasse, dann absolvierte ich einen Bühnenlehrgang der Modeschule Herbststraße. Die aufwendigen Kostüme aus dem 17. und 18. Jahrhundert mit ihren Krinolinen, tollen Stoffen und Unterbauten hatten es mir weiterhin angetan. Das Sticken und die Materialien haben mich dabei mehr interessiert als der Entwurf selbst.

Nach einem zweijährigen Restauratorenlehrgang bin ich dann in der Textilrestaurierung des Kunsthistorischen Museums gelandet. Hier beschäftigen sich meine Kollegin und ich mich vor allem mit der Konservierung von Paramenten. So werden künstlerisch aufwendig gestaltete Textilien genannt, die im Kirchenraum und in der Liturgie zum Einsatz kommen. Aus diesem Bereich verfügen wir über circa 1800 Objekte im Depot, die viel Zeit und Geduld in Anspruch nehmen. Da schließt sich ein Kreis, so wie in vielen Museen.

Mein Alltag besteht vorwiegend aus sogenannter Nähkonservierung. Bei dieser sitze ich in unserer Werkstatt an einem Tisch, auf dem das betreffende textile Objekt liegt. In erster Linie handelt es sich um kirchliche Gewänder, die irgendeine Problemstelle aufweisen. Das kann eine schadhafte Stelle sein, ein Fleck etc.

Dabei arbeite ich mit feinen Nadeln und hauchdünnen Fäden. Auch Färben gehört zu meinem Job. Im Moment habe ich gerade eine Kasel fertiggestellt. So nennt man ein liturgisches Gewand, das ein Geistlicher bei der Messe trug. Die betreffende Kasel wurde von Kaiserin Maria Theresia 1779 für die Hofburg-Kapelle gestiftet. Wir wissen das so genau, weil die Jahreszahl eingestickt ist.

Ein anderes, sehr prominentes Stück bei uns ist der kirchliche Ornat, den Papst Pius VI. anlässlich eines Besuchs 1782 bei Kaiser Joseph II. in Wien stiftete. Eines der ältesten Stücke ist der sogenannte Burgunder-Ornat, der von ‚Philipp dem Guten‘, also aus dem 15. Jahrhundert, stammt. Klar hat man Respekt vor dieser Geschichte.

Deshalb empfinde ich meinen Job auch nicht als etwas Alltägliches. Schon morgens, wenn ich hierherkomme, tauche ich in eine Welt ein, die per se eine andere Zeitrechnung vorgibt. Die Uhren gehen hier anders, was nicht heißt, dass es nicht auch manchmal Stress gibt, zum Beispiel wenn ein Stück für eine Ausstellung vorbereitet werden muss. Aktuell beschäftigen wir uns mit der Vorbereitung der Leihgaben für eine spannende Modeausstellung, die unter dem Titel ‚Mode schauen‘ auf Schloss Ambras in Innsbruck zu sehen sein wird.

"Ich war schon als Kind sehr geduldig"

Ich denke, mir ist es angeboren, geduldig zu sein. Ich war schon als Kind sehr geduldig und konnte mich stundenlang mit Dingen beschäftigen. Es gibt Menschen in diesem Job, die das erst lernen müssen. Ich kann nicht einschätzen, wie aufwendig das ist, denn bei mir ist die Geduld einfach da.

Mein Geduldsfaden reißt sehr selten, wenn dann eher zu Hause. Aber klar, es ist manchmal mühsam, wenn beim stundenlangen Setzen von Spannstichen der Nacken schmerzt oder das Licht gerade nicht passt. Wir haben hier Rollos, die das für die Textilien schädliche Tageslicht aussperren. Wie auch immer, läuft’s mal nicht perfekt, verlasse ich für einige Minuten den Arbeitsplatz, und alles ist wieder gut.

Meine Arbeit hat etwas Meditatives, Beruhigendes. Wenn ich mal am Objekt dran bin, schaue ich auch nicht mehr auf die Uhr. Ich denke, die Menschen da draußen vor meinen Fenstern haben immer weniger Geduld. Es mag daran liegen, dass das Leben und die Zeit immer schneller vergehen.

Das heißt, die Zeit vergeht natürlich nicht schneller, aber es kommt uns so vor, weil wir immer schneller und einfacher an immer mehr Informationen gelangen und so gut wie immer erreichbar sind. Man kann immer mehr und mehr erledigen und tut das dann auch. Früher musste man für eine Information vielleicht zwei Stunden in einer Bibliothek verbringen, heute googelt man die Fragestellung, und die Sache ist in drei Minuten erledigt. Bei meinem Job geht nichts ohne Sitzfleisch.

Die längste Zeit, die ich mit einer Textilie an meinem Tisch verbracht habe, war etwa ein Jahr. Dabei handelte es sich um einen Heroldsrock aus der Schatzkammer, der konserviert werden musste. Dieses Objekt habe ich nicht nur konserviert, also nähtechnisch gesichert und dokumentiert, der Rock wies auch einen großen Fleck auf, von dem ich Proben genommen habe, die in unserem naturwissenschaftlichen Labor untersucht wurden. Man möchte doch wissen, um was für einen Fleck es sich handelt, oder?

Dabei denke ich weniger daran, wie dieser Fleck auf den Stoff kam, also die Geschichte dahinter, sondern mehr an das Material des Objekts und ob der Fleck schädigende Substanzen enthält und konservatorisch behandelt werden muss.

In einer solch langen Zeit entwickelt man natürlich eine Beziehung zum Objekt. Ich freue mich, wenn die Objekte später in der Schatzkammer ausgestellt sind und ich sehe, dass sich meine lange geduldige Arbeit gelohnt hat." (Michael Hausenblas, RONDO, 18.6.2020)