Egal ob Rinderwahnsinn, Dauerwelle oder Möbel im Memphis-Style: Die meisten schlimmen Dinge erledigen sich von selbst. Irgendwann werden die Karten neu gemischt, und dann lachen andere.

Seit kurzem zum Beispiel, da lachen am lautesten all die sperrigen Normalos, die bisher auf Gruppenfotos weggeschnitten wurden. Menschen mit schiefen Nasen, verzerrter Zigarettenstirn und abwegigen Gliedmaßen sind plötzlich der heißeste Scheiß.

Hilfe, hübsch

Ist das nicht gerecht. Es prügeln sich Zuschauer vor den angesagtesten Modeschauen in Paris und New York um Eintrittskarten – nicht um Popstars und Beauty-Ikonen auf den Laufstegen zu bewundern, sondern Menschen, die früher bestenfalls den Müll nach der Party raustragen durften.

Kaum eine Modelagentur, die derzeit nicht verzweifelt nach "Typen" sucht, weil die guten alten Schönlinge nicht mehr über den Ladentisch gehen. Gefragt ist jetzt der U-Bahn-Fahrer von nebenan – Jungs und Mädels, Omis und Opis, mit dünnem, strähnigem Haar und ganz ohne Smile. Das Echte, das Schräge, der Sprung in der Optik entspricht dem Geist unserer post-postmodernen Zeit.

Da fragt man sich natürlich: Was wird aus Langzeit-Beaus wie Sky Dumont oder Marcus Schenkenberg? Aus Cinderellas wie Taylor Swift oder Katy Perry? Die sind in ihrer banalen Hübschheit inzwischen so von gestern, dass kluge Markenstrategen sie auf Events in die hinteren Ränge verbannen. All diese putzigen, dauerselbstoptimierten Erfolgsmenschen wirken auf einmal so anachronistisch wie ein Souvenirteller mit Kaiserin-Sisi-Bild.

Adieu, Coolness

Ist das nicht die beste Nachricht seit langem? Man muss den Normalo-Trend nur um zwei Ecken denken, vom Laufsteg zu privat: Um als Objekt der Begierde infrage zu kommen, braucht man jetzt Haltung – keinen Sixpack, keine Extensions, aufgespritzten Lippen oder tätowierten Augenbrauenbalken.

Foto: imago

Und gleich noch zwei Auslaufmodelle möchte ich hier gebührend verabschieden: Der gute alte Casanova und die "Herumschläferin" – was tun die jetzt eigentlich seit Corona? Jetzt, wo man schon nach Augenkontakt die Hände in Desinfektionsmittel taucht? Wer jeden Tag mit jemand anderem schmusen muss, um das Leben zu spüren: So jemanden nannte man gestern noch bewundernd Womanizer oder Femme fatale. Heute nur mehr Virenschleuder.

Ja, irgendwie hab ich es im Gefühl: Wir werden alle wieder verdammt romantisch werden. Weil so ein Kuss in Zeiten von Corona, der bedeutet jetzt endlich wieder was. (Ela Angerer, RONDO, 26.8.2020)