So frech und görenhaft, wie sie sich inszeniert, ist ihre Musik gar nicht. Die Singer-Songwriterin aus Nashville würzt ihre Songs mit Nostalgie.

Foto: Ziff

Das Schöne am Singer-Songwriter-Fach ist das Vertraute. Menschen sind Gewohnheitstiere, von Natur aus schüchtern und schutzbedürftig. Dem kommt so eine Singer-Songwriterin entgegen. Natürlich lässt sich das bei anderen Fächern ebenfalls behaupten. Doch anders als beim, sagen wir einmal, Black Metal, führt so eine mit Gitarre und sensibler Band antretende Frau wie Sophia Allison mit einer gewissen Behutsamkeit in ihr neues Album. Sie veröffentlicht als Soccer Mommy – eben ist das vierte Album der erst 22-jährigen Frau erschienen. Es heißt Color Theory.

Bereits der Opener macht alles richtig, mit Bloodstream geht die Tür auf. Dann ist es, als betrete man Allisons Haus in Nashville. Alles Zeugs ist hübsch angesammelt, ein bisschen unordentlich da hinten, aber gemütlich, heimelig.

Platten und Bücher

Platten stehen rum, Magazine und Bücher stapeln sich, Kaffeehäferln, der Laptop leuchtet neben dem Bett, das Handy klebt an seiner Besitzerin. Generation Screen-Slave. Das ist vielleicht das Einzige, was nicht zum Klischee passt. Und genau das macht’s aus.

Der Bruch zeigt sich in den Songs, deren Lyrics sind zwar den ewigen Themen gewidmet, doch Beziehungen stehen heute eben vermehrt unter dem Eindruck, wie darin kommuniziert wird: Whats-app, Babe?

Soccer Mommy

Das rückt den Begriff der Soccer Mom in ein neues Licht. Bezeichnet der eigentlich überengagierte Mütter, die das Heil ihrer Familie und ihrer Blagen über das eigene stellen, ist das einzig überlieferte Zwänglerische bei Soccer Mommy ihre Abhängigkeit von Social Media. Das empfindet der Junkie natürlich nie als so schlimm wie seine Umgebung, vielleicht entstand deshalb Allisons Verharmlosungsversuch von der Mom zur Mommy.

Trotz und Forderung

Mit ihrem beim Label Fat Possum erschienenen Vorgänger Clean fiel Allison erstmals einem größeren Publikum auf, ihr Songwriting schien einen Nerv zu treffen, Color Theory verdichtet nun diesen Verdacht. Soccer Mommy singt in einer einnehmenden Mischung aus Trotz und Forderung. Sie steht damit in Verwandtschaft zu Kolleginnen wie Liz Phair oder der kaum älteren Lucy Dacus.

Soccer Mommy

Am souveränsten wirkt Sophia Allison, wenn sie in gepflegt rumpelnden Midtempo-Songs das Leben betrachtet: Da sind die Sujets dann meist der altersgemäße Alltag. Das durchbricht sie allerdings mit verträumten Titeln wie Night Swimming, bei dem sie sich eine kleine Teenager-Nostalgie zu gönnen scheint. Nice, wie man sagt, und ein Indiz dafür, dass Allison nicht nur am Bildschirm klebt. Hin und wieder scheint sie den Blick auch in die Ferne schweifen zu lassen. Dorthin, wo solche Erinnerungen liegen. (Karl Fluch, 10.3.2020)