Die Stadt Vathy auf Samos. Im Hintergrund, am Hang, sind die Behelfsunterkünfte der mittlerweile über 8.000 Flüchtlinge zu sehen. Ausgelegt war das Camp auf maximal 650 Personen.

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Am Freitag wurde das Auto einer Krankenschwester, die für eine Hilfsorganisation auf Samos arbeitet, in Pythagoreion angezündet.

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Um nicht zur Zielscheibe des Frustes zu werden, haben NGOs Logos von ihren Fahrzeuge und Gebäuden entfernt.

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Vathy/Mytilini – Auf der Insel Samos leben rund 8.000 Flüchtlinge unweit des Hauptorts Vathy in einem Camp, das offiziell nur 650 Menschen Platz bietet. Eine Tirolerin, deren Partner dort für eine Hilfsorganisation arbeitet und die derzeit selbst vor Ort ist, berichtet dem STANDARD von großen Problemen für Einheimische wie Schutzsuchende. Mangels Kanalisation im Camp wurde etwa das Trinkwasser von Vathy kontaminiert. Um die Kälte in den Zelten zu überdauern, holzten Flüchtlinge ganze Olivenhaine ab.

Das Video wurde am Freitag vergangener Woche in der Bucht von Mourtia auf Samos aufgenommen. Die Filmerin war privat unterwegs, als sie auf zwei Militärfahrzeuge in der Bucht traf. Die Soldaten schossen Salven in Richtung offenes Meer. Es dürfte sich um die von der Regierung in Athen angekündigten Schießübungen der Grenztruppen handeln.
DER STANDARD

Von Aggression sei dennoch kaum etwas spüren. Nur das griechische Militär, das hier an der türkischen Grenze im Einsatz ist, tritt massiver auf und veranstaltet offenbar bereits die von der Athener Regierung angekündigten Schießübungen. Die Tirolerin geriet am Freitag in der Bucht von Mourtia selbst inmitten einer solchen. Sie hielt die Szene auf Video fest. Soldaten hätten begonnen, auf das offene Meer zu feuern, Boote waren dort nicht zu sehen.

Auto von Krankenschwester wurde angezündet

Der Unmut der Einheimischen auf Samos entlädt sich indes gegenüber den NGOs, die auf der Insel tätig sind. Am Freitag wurde das Auto einer Krankenschwester in Pythagoreion angezündet. Hilfsorganisationen versuchen daher, möglichst nicht aufzufallen, und entfernen ihre Logos von Fahrzeugen und Gebäuden. Teils geben die NGO-Mitarbeiter sogar vor, nicht für Hilfsorganisationen, sondern für die EU-Grenzschutzorganisation Frontex zu arbeiten, um Konfrontationen zu vermeiden.

Der Alltag in Vathy, so berichtet die Frau, sei hingegen ruhig, auch wenn er von der Anwesenheit der Flüchtlinge geprägt ist. Weil das Camp unweit der Stadt an einem Hang liegt, verbringen viele der Bewohner ihre Zeit im Ort. Rund um den lokalen Supermarkt, der kostenlosen WLAN-Zugang anbietet, sitzen den ganzen Tag über geflohene Menschen, um sich mit ihren Telefonen dort einzuloggen.

Im Landesinneren wird offenbar an einem "Detention Camp" für Flüchtlinge gearbeitet. Die Augenzeugin berichtet, dass dort Baufahrzeuge mit aufgestochenen Reifen die Zufahrt blockieren. An den Fahrzeugen hängen Transparente mit griechischen Aufschriften, die den Unmut der Einheimischen über den Bau weiterer Lager ausdrücken.

"Katastrophale Zustände" auf Lesbos

Noch angespannter ist die Situation auf der Insel Lesbos. Eigentlich wollte er nur eine Woche bleiben, er habe aber "angesichts der katastrophalen Zustände" sofort die Notwendigkeit gesehen, den Einsatz hier im Flüchtlingslager Moria, auf der griechischen Insel Lesbos zu verlängern, sagt der erfahrende Katastrophenhelfer der Caritas, Thomas Preindl, im Telefongespräch mit dem STANDARD. Moria war ursprünglich als Aufnahmezentrum für rund 3.000 Asylsuchende angelegt.

Die Lebensumstände, die Versorgungs- und Hygienesituation für die jetzt weit mehr als 20.000 Flüchtlinge "sind absolut menschenunwürdig", sagt Preindl, der schon nach Naturkatastrophen in Nepal, Haiti, Pakistan und den Philippinen als Helfer vor Ort war.

Frust entlädt sich auch in Form von Gewalt

"Keine Toiletten, Berge von Müll, keine Waschanlagen für die Flüchtlinge, darunter eben tausende Kinder und Jugendliche, die völlig auf sich allein gestellt sind. Die Kinder sind nicht geschützt, wie auch die Frauen nicht. Wie kann das sein, wir sind auf dem Boden der EU, das ist Europa", sagt Preindl.

"Die Menschen wissen jetzt, dass sie hier festsitzen, sie können nicht mehr zurück in die Türkei, nach Syrien oder Afghanistan. Sie sind verzweifelt, zumal auch keine Asylanträge mehr angenommen werden. Sie leben zusammengepfercht auf engsten Raum, das erzeugt natürlich enormen psychischen Druck, der sich auch in Gewalt entlädt", sagt Preindl, der nun mit anderen Helfern versucht, mit einem Schlauch zumindest eine provisorische Wasserversorgung zu installieren. (Walter Müller, Steffen Arora, 9.3.2020)