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Benny Gantz (links) ist mit seinem Blau-Weiß-Bündnis der stärkste Kontrahent des angeschlagenen Regierungschefs Benjamin Netanjahu (rechts). Um diesen aus dem Amt zu jagen, könnte er auf Avigdor Lieberman (Mitte) zugehen, den Chef der rechtssäkularen Partei Unser Haus Israel.

Foto: Reuters/Cohen

Vor einer Woche ließ sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu noch als Wahlsieger feiern – nun jedoch scheint sich das Blatt zu wenden. Zwar ging Netanjahus rechtskonservativer Likud mit 36 Mandaten als stärkste Partei aus den Wahlen am 2. März hervor. Doch die gegnerischen Parteien verfügen mit 62 Mandaten über eine Mehrheit im Parlament. Und um Netanjahu aus dem Amt zu drängen, sind sie offenbar bereit, ideologische Differenzen hintanzustellen.

Angeführt wird das oppositionelle Lager vom ehemaligen Armeechef Benny Gantz, der dem zentristischen Blau-Weiß-Bündnis vorsteht. Berichten zufolge versucht Gantz, eine Minderheitsregierung auf die Beine zu stellen, gemeinsam mit dem Links-Bündnis Awoda-Gesher-Meretz und Unser Haus Israel von Avigdor Lieberman.

Gemeinsam kommen diese Parteien nur auf 47 Mandate – doch sie könnten sich von der Gemeinsamen Liste, einem Zusammenschluss von vier arabischen Parteien, tolerieren lassen. Derzeit sind die Verhandlungen in vollem Gange; nichts wird offiziell bestätigt, manches lediglich angedeutet oder anonym verbreitet.

Zwei konservative Blau-Weiß-Abgeordnete, die einst für Netanjahu arbeiteten, sperren sich offenbar gegen eine Kooperation mit den arabischen Parteien und plädieren für eine Koalition mit dem Likud. Manche arabische Abgeordnete wiederum sehen Gantz höchst kritisch, schließlich hatte der noch im Wahlkampf jede Kooperation mit den arabischen Parteien ausgeschlossen. Dennoch zeichnet sich erstmals seit langem eine realistische Option ab, die Ära Netanjahu zu beenden.

Zu den entscheidenden Akteuren gehört Lieberman, der mit den sieben Mandaten seiner Partei sowohl Netanjahu als auch Gantz zur Mehrheit verhelfen könnte. Eine Zusammenarbeit mit Netanjahu, seinem einstigen Verbündeten, schließt er jedoch aus – und das Verhältnis der beiden gilt als derart vergiftet, dass die Beteuerung glaubwürdig klingt.

Inhaltlicher Spagat

Doch auch eine Einigung zwischen dem rechten Lieberman und den arabischen Parteien ist angesichts der inhaltlichen Differenzen schwer vorstellbar. Allein die Tatsache, dass Lieberman nun zu einer von den Arabern tolerierten Minderheitsregierung bereit scheint, wird in Israel als Tabubruch bestaunt und, je nach politischer Orientierung, gefeiert oder beklagt. Dass möglich scheint, was zuvor als unmöglich galt, zeigt, wie gewaltig der gemeinsame Groll gegen Netanjahu ist.

Bis zum 17. März muss Präsident Reuven Rivlin entscheiden, wem er das erste Mandat zur Regierungsbildung gibt. Nach den Wahlen im April und im September 2019 kam Netanjahu jeweils als Erstes zum Zuge, weil er mehr Fürsprecher im Parlament vorweisen konnte als Gantz. Lieberman hatte Neutralität bewahrt. Sollte Gantz diesmal sowohl Liebermans Partei als auch die arabischen Abgeordneten für sich gewinnen, wäre das ein starkes Argument dafür, ihm den Vortritt zu geben.

Für die Phase danach kursieren verschiedene Szenarien: Während manche aus dem Blau-Weiß-Lager sich mit der Aussicht auf eine Minderheitsregierung offenbar angefreundet haben, hoffen andere, über kurz oder lang eine Partei aus dem rechts-religiösen Block zum Überlaufen zu bewegen. Zudem planen Gantz und Lieberman Berichten zufolge ein Gesetz, das Politikern, die unter Anklage stehen, die Regierungsbildung untersagt – was Netanjahu den Weg zur Macht dauerhaft versperren könnte. Der amtierende Premier ist wegen Verdachts auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt – der Prozess soll am 17. März beginnen.

Vergleich mit Erzfeind Iran

Netanjahu kritisiert seine Gegner gewohnt scharf: Sie würden den Willen von Millionen Wählern missachten: Nicht einmal der Iran verhält sich so." Sein Rivale Gantz sieht sich derweil Todesdrohungen im Internet ausgesetzt. Sein Personenschutz wurde vergangenen Samstag verstärkt. (Mareike Enghusen aus Tel Aviv, 9.3.2020)