Vor ihrem Laden wirbt Adilisha Patrom mit einem Schild für Gesichtsmasken.

Foto: Frank Hermann

Adilisha Patrom in ihrer Miniapotheke in Trinidad, einem Stadtteil im Nordosten Washingtons.

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Adilisha Patrom ist Geschäftsfrau – "zu hundert Prozent Geschäftsfrau", wie sie über sich sagt. Sie stammt aus Florida, hat in Washington studiert, dann blieb sie in der Hauptstadt, um Geld zu verdienen. Als Erstes machte sie einen Friseursalon, spezialisiert auf Haarverlängerung, auf. Nun hat sie einen leerstehenden Eckladen zu einer Miniapotheke umfunktioniert. Drei Tische, darauf ein überschaubares Sortiment, Mundschutzmasken und Desinfektionsmittel, daneben Flugblätter mit Hinweisen auf das Verhalten in Zeiten der Coronavirus-Krise.

Die ersten Masken kaufte sie im November, nachdem bei ihrem Vater Krebs diagnostiziert worden war. Ärzte rieten den Angehörigen, sie zu tragen, um den Patienten mit dem geschwächten Immunsystem nicht mit irgendetwas anzustecken. Patrom deckte sich reichlich damit ein, und als ihr schwante, dass sich das Coronavirus auch in den USA ausbreiten würde, hat sie weitere geordert, mehrere Tausend, dazu kleine Plastikflaschen mit "Hand Sanitizer".

Letztere sind in den Drogerien nur noch schwer zu bekommen. In den Baumärkten gibt es keine Schutzmasken mehr. Wer im Internet bestellt, wird in aller Regel frühestens in drei, vier Wochen beliefert. Bei Adilisha Patrom ist das alles etwas teurer, als es normalerweise kosten würde, aber nicht exorbitant teurer. Von Wucherpreisen kann keine Rede sein. Und während sie bedient, gibt die 29-Jährige nützliche Alltagstipps. Nach dem Tanken, erzählt sie, greife sie inzwischen sofort, noch bevor sie das Lenkrad ihres Autos anfasse, zum Desinfektionsmittel.

Noch herrscht Ruhe

Nun ist es nicht so, dass sich vor dem Laden in Trinidad, einem Viertel im Nordosten Washingtons, lange Warteschlangen bilden. Generell scheint die Stadt die Krise eher gelassen zu nehmen. In den U-Bahn-Waggons herrscht das übliche Gedränge, nur achten die Passagiere darauf, sich nicht mit nackten Händen an Haltegriffen und -stangen festzuhalten.

Und auch sonst, quer durchs Land, ist von Panik bisher nur wenig zu spüren. Beim Vorwahlduell um die demokratische Präsidentschaftskandidatur haben weder Joe Biden noch Bernie Sanders bislang auf Großveranstaltungen verzichtet: Am Samstag trat Sanders in Chicago vor 15.000 Anhängern auf. Dagegen steht, dass bereits sechs Bundesstaaten den Notstand ausgerufen haben, dass die Digitalmesse South by Southwest im texanischen Austin abgesagt wurde, dass die Aktienmärkte einbrechen. Trügt sie, die Alltagsgelassenheit?

Immer klarer wird jedenfalls, dass die Regierung Donald Trumps die Gefahr erst unterschätzte und sie dann sogar herunterspielte. Der Präsident, schreibt die "New York Times", habe die Epidemie kaum ernst genommen, solange nur andere Länder betroffen gewesen seien. Ein Ende Jänner verhängter Einreisestopp für Reisende aus China habe ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermittelt. Auf diese Weise, so habe man im Weißen Haus offenbar geglaubt, lasse sich die Ausbreitung des Virus wirksam aufhalten. Tatsächlich, so sehen es Fachleute, ging nur wertvolle Zeit verloren, fast ein Monat, in dem viel zu wenig geschah, zumal der Schlendrian regierte.

Eigener US-Test

"Wir wussten, was kommen würde. Aber wir haben Däumchen gedreht, während Covid-19 heranwalzte", doziert der Harvard-Professor William Hanage, ein hochangesehener Spezialist für Seuchenbekämpfung. Statt einen Test der Weltgesundheitsorganisation anzuwenden und möglichst viele Verdachtspersonen rasch auf das Virus zu überprüfen, entwickelte die amerikanische Seuchenschutzbehörde, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), einen eigenen Test.

Der erwies sich allerdings als fehlerhaft. Und da es an Testkapazitäten mangelte, wurden die Kriterien dafür, wer überprüft wird, ausgesprochen eng definiert. Bis zum Wochenende, so die CDC, habe man in eigener Regie 1.583 Verdachtsfälle getestet. Große private Laborunternehmen, die mit Arztpraxen zusammenarbeiten, sind erst seit wenigen Tagen eingebunden.

510 Fälle und 21 Tote

Aktuell sind in den Vereinigten Staaten 510 Coronavirus-Fälle registriert, 21 Menschen starben an den Folgen der Infektion. Die Dunkelziffer der Infizierten, vermuten Fachleute, dürfte allerdings weit über den offiziellen Zahlen liegen, zumal der Regierung der Überblick fehlt – oder zumindest wochenlang fehlte. Hinzu kommt, dass Trump mit bisweilen bizarren Auftritten nicht dazu beiträgt, das Gefühl von Kompetenz zu vermitteln.

Erst am Freitag, bei einem Besuch der CDC-Zentrale in Atlanta, sprach er von einem "supergenialen" Onkel, der in Boston an einer der führenden Hochschulen des Landes lehrte und von dem er offenbar das Wissenschafter-Gen geerbt habe. "Die Leute sind überrascht, wie viel ich davon verstehe", prahlte er. "Vielleicht bin ich ein Naturtalent." (Frank Herrmann, 10.3.2020)