Lena, die aktuell als Fitnessbetreuerin arbeitete, lud ihren Liebsten Paul und seinen Kumpel Franz zum Training ins Gym ein. Beim gemeinsamen Turnen stellte die Frau ohne Eigenschaften bald fest, dass sie alle unterschiedliche Vorstellungen von ihrem Training hatten. Während Lena und Paul zunächst brav auf den Spinningrädern strampelten, stürzte sich Franz gleich auf die Kabelzugstation und behauptete lässig: "Bin eh zu Fuß hergekommen und aufgewärmt!"

Als Lena und Paul später vom Cardio- zum Krafttraining übergingen, wählte sie die Abduktions- und Glutaeusgeräte, um die Bein-Po-Partie zu bearbeiten, während er mit Präzision und Stöhngeräuschen seine Butterflys absolvierte, also sich auf seinen Oberkörper fokussierte.

Lena las zwischendurch in einer der Fitnesszeitschriften, die im Bistrobereich bereit lagen, dass es Männern beim Training um den Aufbau von Muskeln ginge, weil sie Brust und Schultern vergrößern und definieren wollten. Frauen wiederum verfolgten eher das Ziel, ihre Körperpartien durch Muskeltraining zu straffen.

Körperpflege oder Schlankheitswahn?

"Woher kommt der Drang, sich selbst zu formen?", fragte sich die Frau ohne Eigenschaften. "Sind Männer wirklich so scharf auf die Pumperei? Und wollen Frauen in erster Linie nur ihren Body stylen, damit ihre Körper eine klare Linie annehmen? Hat es etwas mit Zeitgeist und Trend zu tun, welchen Sport wir betreiben? Wer gibt unsere Körperbilder vor? Wir selbst? Die Gesellschaft? Die Werbung?"

Ein paar Tage später nahm Lena die Mitglieder im Fitnessstudio und deren Trainingsverhalten genauer unter die Lupe. Wieder fiel ihr auf, dass Frauen eher am Laufband und am Stepper unterwegs waren, später auf der Matte ihre Bauchmuskeln trainierten und gerne die Beinpresse verwendeten. Im Hantelbereich bewegten sie sich weniger. Das Gym bot Gruppenkurse an, die vorwiegend von Frauen besucht wurden, während Männer es vorzogen, alleine oder maximal mit einer zweiten Person zu trainieren. Langhanteln, Geräte für die Schulter und die Kabelzugstation erfreuten sich größerer Beliebtheit bei den männlichen Gästen.

Lena betrachtete alle "diese gebräunten und muskulösen Tennisspieler", Triathleten und Diskopumper, "die nach höchsten Rekorden aussehen, obgleich sie gewöhnlich ihre Sache bloß gut beherrschen", warf schon ihr guter alter Freund Robert Musil rund hundert Jahre zuvor in den Raum. Und auch er fragte sich damals, ob "man für den Körper als Ganzes nur Modevorbilder" hat, "nach denen er sich gestaltet, oder höchstens eine Art moralischer Naturheilphilosophie."

Ich und mein Treibholz
Foto: Michael Grilz

Heterotopie Fitnessstudio

"Was ist das Fitnessstudio für ein Ort? Was machen die Menschen dort? Was passiert ausschließlich beim Sport? Und sonst nirgendwo anders?", fragte sich Lena und nahm sich vor, mehr auf diese Fragen zu achten und die inneren Züge des Raums, den sie tagtäglich aufsuchte, stärker wahrzunehmen.

Vom Beinzuggerät zischte es regelmäßig. Das Gewicht der Reverse Mashine für die Schulter schmetterte, wenn jemand das Gewicht zu früh los ließ. Der Ventilator vom Air Bike wirbelte zügig rasch, während ein gleichmäßiges Stampfen vom Ergometer zu vernehmen war. Das Fitnessstudio hatte eine ganz eigenwillige Geräuschkulisse.

Der Ort folgt eigenen Regeln. Aber nur zwischen 6 Uhr und 23 Uhr. Es war ein Treffpunkt der Arbeit – der Körperarbeit, wo die Musik niemals ruhte. Ein Ort, wo der Sport lebt, weil er "Kraft und Schwung" versprach – "beliebt bei Alt und Jung", mit der Frau ohne Eigenschaften dazwischen. (Katharina Ingrid Godler, 12.3.2020)

Fingerzeig

  • Die Folge entstand in musikalischer Begleitung von Rainhard Fendrichs Lied "Es lebe der Sport". Aus dem Liedtext wird im letzten Absatz zitiert. Außerdem dienten "Holz" von 275ers und "Maschin" von Bilderbuch als Mood Booster für den Beitrag.
  • Die Zitate zu Körper und Modevorbilder stammen aus Robert Musils Buch "Der Mann ohne Eigenschaften - Erstes Buch"

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