Wenige Branchen haben einen so schlechten Ruf wie die Pharmaindustrie. Obwohl sie lebenswichtige Arzneimittel herstellt, gibt es immer wieder Leute, die dahinter reine Geschäftemacherei vermuten. Das beste Beispiel ist die Grippeimpfung. Es liegt in der wandelbaren Natur des Influenzavirus, dass man jedes Jahr wieder geimpft werden muss. Doch die Impfung wird von den meisten Menschen ignoriert, während Impfgegner Gerüchte über Nebenwirkungen oder Impfschäden streuen.

Durch die Coronakrise hat sich das Blatt gewendet. Plötzlich wird der Ruf nach Medikamenten und Impfungen laut. Wenn ein Keim das soziale Leben und die Weltwirtschaft lahmlegt, ist es plötzlich ganz still in Sachen Impfskepsis. Der Coronavirus ist eine Art Testlauf dafür, wie es ist, wenn Menschen gegenüber einem Virus hilflos sind.

Ein Wirkstoff macht noch kein Medikament für die breite Bevölkerung aus.
Foto: imago/Christian Ohde

Fakt ist: Viele pharmazeutische Unternehmen haben hochinteressante Konzepte im Talon, und einige nutzen die Gunst der Stunde, um auf ihre hilfreiche Rolle im Gesundheitssystem aufmerksam zu machen.

Allein: Ein Wirkstoff macht noch kein Medikament für die breite Bevölkerung aus. Bevor ein Arzneimittel oder eine Impfung gegen das Coronavirus zur Zulassung kommen, müssen sie noch viele Hürden nehmen. Klinischen Studien liegt ein erprobtes, mehrstufiges Konzept für maximale Patientensicherheit zugrunde. Zuerst wird an kleinen Gruppen getestet, dann an größeren. Dosis, Wirkung, Nebenwirkung: Alles muss dokumentiert sein. Oft muss sich ein Wirkstoff auch gegen ein Scheinmedikament, ein Placebo, beweisen.

Diese Sicherheitsprüfungen sind auch in Krisenzeiten unabdingbar. Man stelle sich vor, jemand würde nicht durch das Coronavirus, sondern wegen eines zu schnell zugelassenen Medikaments oder eines Impfstoffs zu Schaden kommen. Das darf nicht passieren.

Wenn es gelingt, das Virus jetzt zu stoppen, gewinnt man die Zeit, die man für die klinischen Prüfungen braucht. Diese Zeit brauchen auch die Pharmaunternehmen, um Medikamente und Impfungen in großer Menge produzieren zu können. Aber auch die jetzige Angst ist für die Industrie kein Garant dafür, dass die Menschen die teuer und aufwendig entwickelten Arzneien dann auch tatsächlich haben wollen. Ist die Epidemie einmal im Griff, dürfte auch die Angst wieder vergehen – und das Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie könnte wieder Einzug halten. Medikamentenentwicklung ist und bleibt ein hochriskantes Business. (Karin Pollack, 10.3.2020)