Das Volkstheater hat seinen Kartenverkauf bereits eingestellt.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Die Regierung verkündete Dienstagmittag, dass Freiluftveranstaltungen mit mehr als 500 Besuchern und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit über 100 Gästen bis Anfang April untersagt werden. Die Kulturbranche trifft die Maßnahme hart. Sowohl in den kulturpolitischen Gremien in Wien als auch im Bund tagen am Dienstagnachmittag die Krisenstäbe.

"Die heutige Ankündigung ist für den österreichischen Kunst- und Kulturbetrieb eine große Herausforderung. Es ist eine außergewöhnliche und noch nie dagewesene Situation. Wir sind dabei die Folgen abzuschätzen. Es ist klar, dass der Kunst- und Kultursektor ein für Österreich essentieller Wirtschaftsfaktor ist, auch für den Tourismus. Wir sind dabei zu klären, ob und wie die Auswirkungen auf die Kulturbranche abgefedert werden können", so Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne).

"Wir gehen davon aus, dass hier das Epidemiegesetz des Bundes zur Anwendung kommt, in dem Entschädigungen klar geregelt sind. Aber wir versuchen auch, mit besonders stark betroffenen Kultureinrichtungen Kontakt aufzunehmen, damit wir die Informationen einholen und gemeinsam an Lösungen arbeiten können", sagte ein Sprecher der Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ). Man werde mit dem Bund über Ausfallsentschädigungen sprechen müssen und die gesetzlich vorgesehene Unterstützung seitens des Bundes einfordern. Zunächst kümmere man sich um unmittelbar bevorstehende Premieren und Veranstaltungen, in einem zweiten Schritt müsse man auch über die kommenden städtischen Großveranstaltungen wie die Wiener Festwochen und das Popfest im Mai sprechen.

Hannes Tschürtz hat das unabhängige Plattenlabel Ink Music mit Sitz in Wien 2001 gegründet.

Konzerthaus schließt

Mittlerweile gibt es erste konkrete Reaktionen aus dem Kulturbetrieb: Sowohl das Theater in der Josefstadt als auch das Wiener Konzerthaus sagen aufgrund der von der Regierung verkündeten Maßnahmen alle geplanten Veranstaltungen bis Ende März ab.

"Das betrifft natürlich alle Veranstaltungen bei uns", sagte eine Konzerthaus-Sprecherin. Ob auch die beiden für Dienstagabend geplanten Konzerte abgesagt werden müssen, sei noch nicht klar, man warte noch auf den konkreten Erlass der Bundesregierung. Das Konzerthaus wird nun alle Konzerte in den nächsten Wochen durchgehen, um zu prüfen, welche nachgeholt werden können. Die Kunden werden über die Absagen beziehungsweise die Verschiebungen informiert, sagte die Sprecherin. Wird kein Ersatzkonzert angeboten, können die Tickets innerhalb von sechs Monaten zurückgegeben werden.

Popkonzerte bis April vorerst abgesagt

Für den Konzertveranstalter Barracuda Music bedeute das Veranstaltungsverbot die Absage von 40 Konzerten bis Ende März. "Wir haben überall über 100", sagte Geschäftsführer Martin Vögel. "Für uns heißt das, dass einmal bis Anfang April nichts stattfinden kann. Wir haben zwar noch keinen Erlass der Regierung vorliegen, aber der wird voraussichtlich am Nachmittag kommen. Jetzt sind wir mal dran, unsere Websites upzudaten und die Leute zu informieren." Bei Barracuda Music, einem der größten Konzertveranstalter im Popbereich in Österreich, sind somit alle Events bis Anfang April betroffen. Für diese arbeite man an Ersatzterminen. "Wir treten jetzt mit allen Konzertagenturen in Kontakt. Was nicht zu verschieben ist, wird abgesagt und der Kartenpreis zurückerstattet." Die Branche werde dadurch hart getroffen. Wer für Ausfälle haften wird, ist (noch) nicht geklärt.

Der Konzertveranstalter Live Nation sucht für in den kommenden Wochen in Österreich geplante Events Ersatztermine. Konkret betroffen sind davon das Gastspiel des Cirque du Soleil Ende März in der Wiener Stadthalle, ein Auftritt des Komikers Ricky Gervais am Freitag ebenfalls in der Stadthalle sowie das Konzert von Phil X im Wiener B72. Verschoben wurde unterdessen eine Tour von Rea Garvey, die Konzerte finden damit ab 25. Mai in Wien, Linz, Innsbruck und Graz statt. "Live Nation bemüht sich intensiv darum, die behördlich bis Anfang April abgesagten Veranstaltungen über 100 Personen in Österreich neu anzusetzen", heißt es in einem Statement des Unternehmens. "Die Gesundheit der Konzertbesucher, Künstler und Mitarbeiter ist unsere oberste Priorität, und wir beobachten die Entwicklung natürlich sehr genau. Wir arbeiten intensiv an Alternativen und bitten alle Beteiligten für den Zeitraum dieser Überprüfung um Geduld. Eintrittskarten behalten ihre Gültigkeit."

Die Wiener Stadthalle sagt 23 Events bis zum Ende des Monats ab. Ersatztermine würden aber nach Möglichkeit gesucht. Karten können bei der jeweiligen Vorverkaufsstelle zurückgegeben werden.

Nicht stattfinden werden jedenfalls Konzerte im Wiener WUK in den nächsten Tagen. Abgesagt wurden Kakkmaddafakka (heute Abend), Lou Asril (Donnerstag) sowie Josh. (Freitag). Voraussichtlich sind auch alle weiteren Konzerte bis Anfang April betroffen, wie es aus dem WUK heißt. Weiterhin stattfinden soll hingegen eine Performance-Premiere diesen Donnerstag ("Oceans of Notions (Swimming)" von Anna Nowak, da bei dieser weniger als 100 Besucher vorgesehen sind. Wie es mit weiteren Vorstellungen aussieht, wolle man nach Erhalt des Erlasses der Regierung entscheiden.

Zum Donaufestival und dem Osterfestival Imago Dei in Krems wird es erst am Mittwoch genau Informationen geben, hieß es gegenüber dem STANDARD, man wolle sich aber an öffentliche Direktiven halten.

Kinos mit viel Freiraum

Der Kinobetreiber Cineplexx will seine Kinos offen halten und Filme nur mit bis zu 95 Karten pro Vorstellung verkaufen, wobei zwischen zwei Zuschauern immer ein Platz frei bleiben soll. "Das haben wir in unserem Online-Reservierungs-Tool bereits veranlasst. Umfassende Hygienemaßnahmen in unseren Standorten sind grundsätzlich auf einem sehr hohen Standard und wurden bereits in den letzten Wochen nochmals verstärkt."

Auch das Filmmuseum wird die Ticketzahl je Vorstellung auf unter 100 Plätze begrenzen. "Darüber hinaus kommt es in unserem Spielbetrieb vorläufig zu keinen weiteren Einschränkungen", heißt es auf der Website. Auch andere Häuser schlagen einen ähnlichen Weg ein. So sollen etwa im Gartenbaukino in Wien bis auf weiteres die Vorstellungen der nächsten Tage stattfinden, wobei man die Besucherzahlen unter 100 halten werde. Allerdings betonte man, auf den konkreten Wortlaut im Erlass der Regierung sowie Empfehlungen seitens des Fachbereichs in der Wirtschaftskammer warten zu wollen. Dasselbe Vorgehen wählen das Filmcasino und das Filmhaus Kino am Spittelberg, die für Dienstagnachmittag beziehungsweise Mittwoch nähere Informationen in Aussicht stellten.

Das Grazer Filmfestival Diagonale (24.–29. März) geht davon aus, dass der Termin heuer abgesagt werden muss. Ein Ausweichen sei logistisch nicht möglich, es werde keinen Ersatztermin geben, weil Verträge nicht lang genug laufen.

Bundestheater machen dicht

Die Bundestheaterholding hat sich beraten und beschlossen, ab sofort alle Veranstaltungen in Burgtheater, Staatsoper und Volksoper bis Ende März abzusagen. Der Vorverkauf für Termine ab April geht aber ungestört weiter, ebenso Probentätigkeiten, hieß es zum STANDARD.

"Wir haben keine Wahl, wir müssen ab heute schließen", sagt Staatsoperndirektor Dominique Meyer. Für die entfallenen Einnahmen werde es finanzielle Unterstützung vom Staat brauchen. "Jede abgesagte Vorstellung bedeutet viel Verlust, künstlerisch und budgetär." Auch die Wiederöffnung im April sei möglicherweise gefährdet. Es stelle sich nämlich die Frage, ob weiterhin geprobt werden dürfe, denn auch hier seien oft über hundert Personen anwesend. "Man kann nur öffnen, wenn geprobt wurde", so Meyer. "Meine Hoffnung ist, dass unser Theater am 1. April bereit ist." Vorstellungen zu verlegen, werde schwierig, da die Staatsoper jeden Tag bespielt wird, und viele Sänger, die im März beschäftigt hätten werden sollen, zu einem späteren Zeitpunkt womöglich nicht frei seien. Er verstehe die Entscheidung der Regierung, größere Veranstaltungen zu untersagen. Allerdings würden der Staatsoper dadurch pro Tag durchschnittlich 130.000 bis 140.000 Euro an Einnahmen entgehen. "Ich glaube wirklich, dass wir da Unterstützung brauchen vom Staat."

Das Theater in der Josefstadt hat bekanntgegeben, alle Vorstellungen ab Dienstagabend abzusagen. Vorstellungen vor reduziertem Publikum wird es nicht geben. Schon verkaufte Karten würden auf Vorstellungen ab April umgebucht.

Das Volkstheater hat seinen Kartenverkauf bereits eingestellt. Vorstellungen in der Halle E im Museumsquartier werden abgesagt, Termine im Volx/Margareten und den Bezirken bleiben laut aktueller Aussendung aufrecht, die Kapazität der Spielstätten wird dabei auf 99 Anwesende reduziert. Ob man auch vor leerem Haus spielen würde, um die Aufführung live zu streamen, wie es in Venedig etwa die Oper La Fenice tut, würde geprüft, heißt es gegenüber dem STANDARD. Das sei aber auch eine Frage der technischen Ressourcen.

In Graz werden alle Veranstaltungen auf den Bühnen von Oper, Schauspielhaus, Next Liberty, Orpheum, Dom im Berg und Schloßbergbühne Kasematten ab sofort bis Anfang April abgesagt.

Kleinere Bühnen tendieren hingegen dazu, offen zu halten. Entweder liegen sie mit ihrer Bestuhlung sowieso unter dem Grenzwert oder würden einige Plätze nicht verkaufen, sodass die Gesamtanzahl der Menschen im Publikum sowie die Zahl der Schauspieler und technischen Angestellten unter 100 liegt. Im Wiener Kosmos-Theater laufe der Spielbetrieb "bis auf weiteres uneingeschränkt weiter", teilte man dem STANDARD mit. Ebenso finde die Premiere von "Sex Smells" am Mittwoch statt. Man behalte aber die aktuellen Ereignisse laufend im Blick und reagiere bei Bedarf sofort darauf.

Das Wiener Theater an der Gumpendorfer Straße will erst am Mittwoch entscheiden, ob geplante Vorstellungstermine bis Ende März mit eingeschränkter Sitzplatzkapazität stattfinden werden, man wartet mit der Entscheidung den Erlass des Ministeriums ab.

Museen im Ungewissen

Die Bundesmuseen beraten noch über das Vorgehen.

Die Albertina wird die für Donnerstag vorgesehene Eröffnung der neuen Albertina modern im umgebauten Künstlerhaus absagen. Das sagte Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder am Dienstag. Ob sich die am Dienstag von der Regierung verlautbarten Maßnahmen, die einen Verbot von Indoor-Veranstaltungen über 100 Personen betreffen, auch auf den Museumsbetrieb auswirken, könne er noch nicht sagen. "Wir müssen die genaue Formulierung des Erlasses abwarten." Derzeit seien in der Albertina bereits massive Besucherrückgänge zu verzeichnen. Besucher aus Spanien, Frankreich, Italien, asiatischen Ländern oder den USA seien in den vergangenen Tagen kaum mehr zu verzeichnen gewesen, mit 2.100 bis 2.300 Besuchern pro Tag liege man um 1.500 bis 1.700 Besucher unter dem Tagesdurchschnitt. Nehme man dies als Maßstab, sei in den insgesamt 64 Räumen der Albertina der geforderte soziale Abstand im Augenblick mehr als gewährleistet, sagte der Museumschef. Eine Verschiebung der für Freitag geplanten ersten Publikums-Öffnung der Albertina modern sei aus diesem Grund auch keine Option, die man erwäge.

Die Kunstmesse Art Vienna, die von 27. bis 29. März hätte stattfinden sollen, wurde inzwischen abgesagt.

Literaturfestival verschoben

Ausgerechnet die Jubiläumsausgabe der Rauriser Literaturtage wird heuer dem Corona-Virus zum Opfer fallen. Das 50. Festival, das heuer für die Zeit von 25. bis 29. März angesetzt war, wird auf das kommende Jahr verschoben. Zum Jubiläum waren eine ganze Reihe früherer Preisträger eingeladen, allen voran Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller.

Die Buchhandlungskette Thalia hat indes Lesungen abgesagt.

"Schockwelle" mit offenen Fragen

Für Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich, ist die Absage von Veranstaltungen über 100 Personen "eine Schockwelle, die sehr viele Fragen aufwirft". Es handle sich um eine "drastische Maßnahme, von der ich hoffe, dass man sie sich sehr gut überlegt hat", sagte Gimpel. Die Restriktivität habe die Veranstalter "aus dem Nichts getroffen". Die IG Kultur ist ein bundesweiter Dachverband und die Interessenvertretung von mehr als 700 autonomen Kulturinitiativen in Österreich. Insgesamt schätzt Gimpel die Zahl der österreichweit im zeitgenössischen Kulturbereich arbeitenden Vereine und Initiativen auf über 2.000. Dass sich diese in den nächsten Wochen als Gewinner der Coronavirus-Krise erweisen könnten, da viele von ihnen über Veranstaltungsorte mit Kapazitäten von unter 100 Plätzen verfügten, sei "eine sehr optimistische Lesart der Dinge", meinte Gimpel. Die Realität sei, dass bereits sehr viele Anfragen eingingen, wie man mit der neuen Situation umgehen solle. Einerseits seien viele Förderungen an die Durchführung der Veranstaltungen gebunden, andererseits seien gerade die kleinen Initiativen in hohem Maß auf Eintrittsgelder angewiesen. "Da wird es wohl Entschädigungen geben müssen." (APA, red, 10.3.2020)