CocoRosie: ein Rap- und Rappelzirkus im Dienst der Schönheit.

Foto: Marathon Artists

Manche Menschen ziehen eine Wurzelbehandlung einem CocoRosie-Album vor. Lieber ein kurzer Schmerz als nerviges Gezappel auf Albumlänge. Derartige Aversionen sind dem kindlichen Spieltrieb der beiden Schwestern zuzuschreiben, die als CocoRosie seit 16 Jahren gemeinsam musizieren. Bianca und Sierra Casady haben in der Zeit eine Weltkarriere hingelegt. Die Sprunghaftigkeit ihrer Kunst hat sie sogar in Bereiche abseits der klassischen Popbühnen geführt, etwa ans Theater. Zudem wurden sie zu Vorzeigekünstlerinnen für jene Festivals, bei denen die politische Positionierung manchmal wichtiger erscheint als die Kunst.

CocoRosie verstanden ihre Band von Anbeginn als offenes System; so überwanden sie stilistische Grenzen ebenso wie die Zuschreibungen von Geschlechterrollen. Nach fünf Jahren Veröffentlichungspause erscheint am Freitag Put the Shine On.

Gelassenheit

Zwar prägt auch das siebente Studioalbum das Dogma des Undogmatischen, gleichzeitig bietet es Songs, die eine lebenserfahrene Gelassenheit spüren lassen. Etwa den schönen Song Restless. Zwar kräht da irgendwo mittendrin ein Hahn, muss ja, die fast schon majestätische Anmutung des Lieds stört er nicht.

Restless – natürlich kräht irgendwann ein Hahn. Muss ja.
CocoRosie

Andernorts rappelt und zappelt es immer noch im Karton, wie eine Montessori-Klasse auf Zucker. Doch das Leben und seine Prüfungen verleihen den Songs der Schwestern eine Schwere, die ihnen gut ansteht. Nach fünf Jahren Absenz hat sich innerfamiliär und thematisch einiges auf gestaut. Von psychischen Erkrankungen und Scheidungen ist die Rede, und die Mutter der Schwestern ist gestorben. Noch auf dem Totenbett hat sie für den Song Ruby Red einen finalen Gastbeitrag eingesungen.

Stilmischmasch

CocoRosie kommen aus den USA. Ursprünglich aus Iowa, doch nach der Trennung der Eltern sind die beiden Girls mit ihrer Mutter quer durchs Land gereist, haben da wie dort gewohnt. Mit 20 zog Sierra nach Paris, um Oper zu studieren. Sie ist also jene im Verband, die richtig singen kann, was einmal mehr nicht stört. Doch schnöder Schönklang ist natürlich kein Auftrag, weshalb CocoRosie auf Put the Shine On wieder Genres wie Hip-Hop beleihen, irgendwie müssen sie die Baseballmützen auf dem Haupt ja erklären.

CocoRosie

Sosehr ihr Stilmischmasch manchmal fordern mag, über die volle Distanz erblüht daraus auf Put the Shine On wieder eine eigene Ästhetik, eine eigene Schönheit. Keine gefallsüchtige Cheerleader-Schönheit, sondern eine ramponierte, gekränkte, beleidigte, wütende, herzensgebrochene die ganze Welt umarmende Schönheit.

Bei so einem Unterfangen kann man sich leicht überheben. CocoRosie sind aber instinktsicher genug, um zu wissen, wann sie Platz zum Luftholen einplanen müssen. Dann streuen sie zärtliche elektronische Balladen ein wie das nachdenkliche Where Did All the Soldiers Go. Wer da immer noch lieber zum Zahnarzt geht, dem ist echt nicht mehr zu helfen. Ein schönes Album.