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Der Präsident im Parlament.

Foto: AP/Pavel Golovkin

Die Operation "Machterhalt" ist abgeschlossen. Quasi im letzten Augenblick hat Russlands Präsident Wladimir Putin in die neue Verfassung ein Hintertürchen eingebaut, um weiter regieren zu können. Am Dienstag trat der Staatschef überraschend in der Duma auf, wo die Abgeordneten gerade zur zweiten, der entscheidenden Lesung über die von Putin initiierte Verfassungsänderung zusammengekommen waren.

Nur wenige Stunden zuvor hatte der Kreml die erste Frau im Weltall, Walentina Tereschkowa, vorgeschickt, um den Volkswillen kundzutun, dass Putin bleiben möge. Tereschkowa, inzwischen Duma-Abgeordnete für die Regierungspartei Einiges Russland, machte zwei Vorschläge, um Putin weiter an der Macht zu halten. Variante eins: Die Begrenzung auf zwei Amtszeiten wird völlig aus der Verfassung gestrichen. Variante zwei: Die Amtszeiten von Putin werden mit der neuen Verfassung annulliert, und er hat wie alle anderen Bürger das Recht, erneut anzutreten.

Referendum notwendig

In seiner Rede vor der Duma lehnte Putin zunächst die Abschaffung der Amtszeitbegrenzung ab. Dies sei in Zeiten politischer Unruhen und wirtschaftlicher Turbulenzen vielleicht nötig, da dort "Stabilität" wichtiger als demokratische Freiheiten seien. Doch die Verfassungsänderungen sollten für mindestens "30 oder 50 Jahre" gelten. "Langfristig braucht die Bevölkerung Garantien, dass die Obrigkeit ausgewechselt werden kann", sagte Putin. Darum lehne er die Streichung der Amtszeitbegrenzung ab.

Doch was er künftigen Amtsinhabern verwehrt, nimmt Putin für sich selbst in Anspruch. Denn den Vorschlag Tereschkowas, seine eigene Amtszeit zu annullieren, damit er 2024 noch einmal an treten könne, nahm Putin an. "Im Prinzip wäre diese Variante möglich", sagte er. Es müsste nur das Verfassungsgericht prüfen, ob eine solche Klausel nicht dem Geist der Verfassung widerspräche. Zudem müsste das Volk bei dem für den 22. April angesetzten Referendum zustimmen, fügte er hinzu. Ironie des Schicksals: Das Datum fällt mit dem 150. Geburtstag von Wladimir Lenin zusammen, der in Russland vor 100 Jahren die "Diktatur des Proletariats" errichtet hatte.

Regierbarkeit Russlands

Zuletzt hatte Putin in öffent lichen Auftritten stets sein Inter esse an einer Verlängerung seiner Regierungszeit bestritten. Seine Verfassungsänderungen dienten einzig und allein der besseren Regierbarkeit Russlands und hätten nichts mit dem Wunsch zu tun, seine Regierungszeit zu verlängern. Schon vor der letzten Wahl 2018 antwortete er auf die Frage, ob er 2030 als Präsident zurückkommen wolle: "Das ist ein bisschen lächerlich. Soll ich etwa noch mit 100 Jahren dasitzen."

Nun hat er sich zumindest die Möglichkeit eröffnet, bis zum Alter von 83 an der Macht zu bleiben, denn durch die Annullierung seiner Amtszeiten könnte er theoretisch nicht nur 2024, sondern auch 2030 noch einmal antreten. Dass das Verfassungsgericht sein Veto gegen die Änderung einlegt, ist praktisch ausgeschlossen. Bereits seit 2003 leitet Waleri Sorkin das Verfassungsgericht, und er hat sich in der Zeit als äußerst loyal gegenüber dem Kreml erwiesen. Unter anderem segnete das Verfassungsgericht unter seiner Führung die Abschaffung der Gouverneurswahlen und die Nichtzulassung von Alexej Nawalny bei der Präsidentenwahl 2018 ab. Zudem erlaubte das Verfassungsgericht Russland, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht zu erfüllen, sollten diese der Verfassung widersprechen. Das betrifft unter anderem die milliardenschwere Auseinandersetzung um das Yukos-Erbe.

Viele Forderungen

Auch die Zustimmung zur Verfassungsänderung beim Referendum gilt als gewiss. Um die Bürger zur Zustimmung zu animieren, wurden in die neue Verfassung viele Forderungen hineingeschrieben, die die nationalistisch-konservative Mehrheit befriedigen sollen. Dazu zählen die Erwähnung Gottes, die Festschreibung der Ehe als Bund zwischen Mann und Frau, das Verbot, die Rolle Russlands im Zweiten Weltkrieg herabzuwürdigen oder Territorien abzutreten. (André Ballin aus Moskau, 10.3.2020)