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Die Augen der Heuschrecke verleihen ihr beinahe Rundumsicht. Ihre Wahrnehmung fokussiert aber nicht auf Details in der Umgebung, sondern auf das blitzschnelle Erkennen von Bewegung. Das Leben im Schwarm wird auf diese Art einfacher.

Foto: Picturedesk.com / Science Photo Library

Fische, Vögel, Insekten – eine ganze Reihe von Tieren findet in Schwärmen zusammen. Die Selbstorganisation in großen Gruppen hat Vorteile. Das Risiko, Opfer von Fressfeinden zu werden, wird reduziert. Die Nahrungssuche verläuft effizienter. Jungtiere sind besser geschützt.

Auch die Physiologie der Tiere hat sich im Lauf der Evolution auf das Leben im Schwarm eingestellt. Richtige Spezialisten sind hier die Heuschrecken. Sinne und Nervensystem sind bestens darauf ausgerichtet, schnell auf Bewegungen der eng nebeneinander schwirrenden Tiere zu reagieren.

Für Manfred Hartbauer vom Institut für Biologie der Universität Graz ist diese Reaktionsgeschwindigkeit etwas, das sich Menschen für ihre Technologien abschauen können. Im Rahmen des Forschungsprojekts "BioKollAvoid" arbeitet der Bionikforscher mit Kollegen und gemeinsam mit der FH Joanneum, dem Fraunhofer Austria und dem Unternehmen Drone Rescue Systems an einer Methode, die Flugdrohnen zur Kollisionsvermeidung dienen soll.

Das, was sich beim Heuschreckenflug im Kopf der Tiere abspielt, soll in Algorithmen gegossen und auf einen Mikrochip gebannt werden, der Drohnen bei unvorhergesehenen Ereignissen schnell reagieren lässt.

Auf diese Weise könnten zum Beispiel die oft beschworenen Paketdrohnen der Zukunft ihre Fracht sicherer ans Ziel bringen. Unterstützt wird das 2019 gestartete Projekt im Rahmen des Take-off-Programms der Förderagentur FFG mit Mitteln des Umweltministeriums.

Anpassungskünstler

"Wanderheuschrecken, wie wir sie im Projekt verwenden, sind evolutionär gesehen sehr alte Tiere. Schwarmverhalten, Reproduktionsrate und Ausstattung mit Sensorik machen sie zu sehr überlebensfähigen Tieren, die sich rasch an Umwelteinflüsse anpassen – was aber auch ihre Bekämpfung schwierig macht", beschreibt Hartbauer, den an diesem Projekt die Wahrnehmung der Tiere interessiert. "Heuschrecken können visuelle Signale extrem schnell verarbeiten und innerhalb von zehn bis 30 Millisekunden mit einer Bewegung reagieren."

Die visuelle Signalverarbeitung im Nervensystem der Heuschrecken könne man sich Hartbauer zufolge als Filterprozess vorstellen. Die Signale der Rezeptorzellen in den – fast rundum sehenden – Augen werden von Tausenden Neuronen parallel verarbeitet.

Wenige, sehr spezifische Aspekte werden extrahiert: in erster Linie Bewegungen und aus diesen wiederum all das, was einer "raschen Kantenexpansion" entspricht – also wenn eine wahrgenommene Struktur schnell zunehmend größer erscheint; Objekte, die dem Gesichtsfeld entschwinden, werden dagegen ignoriert.

Ein Neuron pro Auge

Die Nervenzellen, die dieses Bewegungssehen organisieren, sind in weiterer Folge nur auf jeweils ein Neuron pro Auge verschaltet, das letztendlich nur bei Bedarf einer Kurskorrektur feuert und somit ein Ausweichmanöver veranlassen.

Nachdem sich die Aktivität dieser beiden – auch physisch überproportionierten – Neuronen von den anderen abhebt, können ihre Signale anhand von Hakenelektroden am Hals des Tieres leicht gemessen werden. Das machen sich auch die Forscher in dem Projekt zunutze.

Eine künstliche Imitation dieser Signalverarbeitungsmethode für Flugdrohnen habe laut Hartbauer Vorteile, weil der Bedarf an Rechenleistung und Sensortechnologie vergleichsweise überschaubar ist. Bestehende Systeme nutzen aufwendige Artificial-Intelligence-Algorithmen oder mathematisch aufwendige Modellierungen – Systeme, die sich letztlich auch auf Gewicht und Energieverbrauch der Fluggeräte auswirken.

Hartbauers "bionischer Algorithmus" wird dagegen mithilfe eines sogenannten FPGA ("Field Programmable Gate Array") umgesetzt, also eines "programmierbaren" Computerchips, dessen Logikschaltungen flexibel an den Verwendungszweck angepasst werden können.

Das Chipdesign, mit dem sich Christian Netzberger und Kollegen von der FH Joanneum beschäftigen, soll – wie im Gehirn der Heuschrecke – in vielen gleichzeitig ablaufenden Rechenschritten eine relevante Kantenexpansion aus den Bildern herausfiltern.

Ausgangspunkt ist ein Kamerabild mit niedriger räumlicher, aber hoher zeitlicher Auflösung. Die Information jedes Bildpunkts wird im Chip parallel verarbeitet. Für sie werden eine Reihe einfacher Rechenschritte ausgeführt.

Ähnlich wie im Heuschreckengehirn werden in mehreren hintereinanderliegenden Verarbeitungsebenen irrelevante Bildbereiche "gehemmt", relevante Veränderungen in den Graustufen aber betont, sodass zuletzt nur bei Kollisionsgefahr ein Alarm ausgelöst wird.

Kino für Heuschrecken

Um den Algorithmus zu verbessern, haben die Forscher ein eigenes "Imax-Kino für Heuschrecken" gebaut. Das Tier samt Elektroden am Hals wird vor zwei gekrümmten Monitoren in einer Halterung fixiert, um ihm Aufnahmen einer Drohnenkamera zu zeigen.

Immer dann, wenn ein an den Neuronen der Heuschrecke ablesbarer Bewegungsimpuls ausgelöst wird, sollte auch die Drohne reagieren. Die so gewonnenen Daten werden also für die Kalibrierung des künstlichen Ausweichsystems genutzt.

Letztlich soll der Chip, verbunden mit zwei Miniaturkameras an der Drohne, 100 Bilder pro Sekunde verarbeiten können. Bei einer drohenden Kollision wird ein Ausweichvektor errechnet, der, umgerechnet in eine Flugbahn, wiederum an den Drohnen-Controller weitergegeben wird.

Geht sich ein Ausweichmanöver nicht mehr aus, weil zum Beispiel ein Vogel plötzlich knapp vor der Drohne die Flugbahn kreuzt, wird blitzschnell ein Fallschirmmechanismus gezündet – eine Entwicklung eines der Projektpartner. Setzt sich die Technologie durch, hat auch die Wanderheuschrecke ein wenig an der Drohnentechnik der Zukunft mitgebaut. (Alois Pumhösel, 14.3.2020)