360 Millionen Tonnen Kunststoff wurden im Jahr 2018 produziert. Erhebliche Teile davon landen in der Umwelt.

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Wissenschafter halten die Bemühungen zur Lösung der des globalen Plastikmüllproblems für "unwirksam und irreführend". Freiwillige Maßnahmen und Marktmechanismen würden nicht ausreichen, um Krise anzugehen. Ein grundlegender Systemwandel sei notwendig, heißt es in einem Bericht der Dachorganisation der nationalen Wissenschaftsakademien in der EU.

Für den am Dienstag veröffentlichten Bericht "Verpackungskunststoffe in der Kreislaufwirtschaft" haben Wissenschafter aus 28 europäischen Ländern zusammengearbeitet, um die gesamte Kunststoffwertschöpfungskette zu untersuchen. Sie verweisen in der Arbeit auf die Diskrepanz von einerseits Millionen Tonnen von Kunststoffabfällen, die in der Umwelt landen, und andererseits einer gleichzeitigen Zunahme der Verwendung von Plastik.

Regeln und Anreize

Seit den 1960er-Jahren ist die weltweite Produktion von Kunststoffen um das 20-fache gestiegen und erreichte 2018 rund 360 Millionen Tonnen pro Jahr, 62 Millionen Tonnen davon in Europa. Ein erklecklicher Anteil davon landet in der Umwelt. "Makro- und Mikrokunststoffe sind auf dem Land, in den Meeren und sogar in der Luft weit verbreitet", erklärte Michael Norton von der Akademien-Dachorganisation EASAC, der auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) angehört. Er betonte, dass die Warnungen des Berichts "keine Dystopie von Umweltaktivisten sind – es ist Wissenschaft".

Weil sie freiwillige Maßnahmen und Marktmechanismen für nicht ausreichend halten, sollten "die europäischen Gesetzgeber Regeln und Anreize verabschieden, um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen zu beschleunigen. Wir müssen Kunststoffwaren und -verpackungen wiederverwenden, unser Recycling drastisch verbessern und vor allem dafür sorgen, dass kein Abfall in die Umwelt gelangt", so Norton. Es seien grundlegende und systemische Reformen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich, um Schäden an der Umwelt, der biologischen Vielfalt und Risiken für die menschliche Gesundheit zu verringern.

Müll-Exportstopp gefordert

Die Wissenschafter der nationalen Akademien haben sieben Empfehlungen an die politischen Entscheidungsträger der EU erarbeitet, wie das System transformiert werden könnte. Dazu zählt etwa ein Verbot des Exports von Kunststoffabfällen aus der EU. "Europa sollte mit seinem eigenen Abfall umgehen und ihn nicht auf andere abladen, die weniger in der Lage sind, damit umzugehen", sagte Annemiek Verrips von der Niederländischen Akademie.

Bei einem Exportstopp sei es aber unerlässlich, Recyclingsysteme zu entwickeln, die alle Kunststoffabfälle verarbeiten können. Notwendig seien "geschlossene Kreisläufe", also etwa das Recycling von PET-Flaschen zu PET-Flaschen, "während die energetische Verwertung ein letzter Ausweg sein sollte, nachdem bessere Optionen wie offener Kreislauf für die Verwendung in einem anderen Produkt und molekulares Recycling ausgeschöpft sind", so Norton.

Irreführende Biomaterialien

Die Wissenschafter sehen derzeit ein sehr begrenztes Potenzial für biologisch abbaubare Kunststoffe, die Umstellung auf viele sogenannte Biomaterialien sei u. a. aus Ressourcen- oder Umweltgründen nicht zu rechtfertigen: "Sie können die Verbraucher in die Irre führen, indem sie ein falsches Bild von Nachhaltigkeit vermitteln und damit die Gefahr einer Verlängerung der heutigen Wegwerfmentalität in Kauf nehmen", so Norton.

Die Wissenschafter empfehlen weiters, Kunststoffabfälle nicht auf Deponien zu entsorgen und die Einmalverwendung von Kunststoffbehältern zu minimieren. Für Kunststoffhersteller und Einzelhändler sollte das Verursacherprinzip gelten. Eine Maßnahme in diese Richtung wären etwa "relevante Steuerermäßigungen" für die Verwendung recycelter Kunststoffe.

Die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen sollte durch die Begrenzung der Verwendung von Additiven verbessert werden, lautet eine weitere Empfehlung. Und schließlich halten die Forscher unbehandelte Plastikrohstoffe für zu billig, die Kosten für Umwelt und Gesellschaft seien darin nicht enthalten. Dies sei ein grundlegendes Hindernis für eine größere Nachfrage nach recycelten Materialien. Der Preis sei auch das wichtigste Signal für die Verbraucher, ihr Verhalten schnell zu ändern. (red, APA, 10.3.2020)